meine letzte Widrigkeit -- Kalamität drückt mir ganz was anders aus. Von Augustens Krankheit wird Ihnen mein Bru- der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit im Hause. -- Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen- tir de l'etat de ma jambe; ich muß immer so abgebrochene, ungeborene Phrasen schreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech- nen Sie das ja ab! Es gefällt mir rasend von Ihnen, daß Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die sich nicht auf äußere Bedingungen bezieht, als: Versprechen, Erlaubniß, und dergleichen, ist eine Zartheit, die ich sehr liebe. Wissen Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So ist Zartheit Gefühl mit Geist. Nicht anders! Punktum. Mir machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber keine Furcht, Lieber! Ich denke immer so, haben wir ihn ge- trieben, warum soll er uns nicht treiben. Und dann können noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt: doch bin ich noch ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can- tian habe ich einen sehr hübschen zweckmäßigen kurzen Brief heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich freue mich recht sehr seines Avancements, weil er's verdient: er ist die Ordnung, Bescheidenheit, in Ausgaben und allem, selbst; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird sich der Vater gefreut haben. Sein Sie so gütig, sie zu grüßen: ich weiß nicht, wo ich hin schreiben soll, wenn ich ihm auch antworten will. H.'s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein- schaftlichen Freunden sehr viel Gutes und Rühmliches von ihm gehört; sauf le respect pour le ciel hätte wohl ein Anderer
meine letzte Widrigkeit — Kalamität drückt mir ganz was anders aus. Von Auguſtens Krankheit wird Ihnen mein Bru- der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit im Hauſe. — Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen- tir de l’état de ma jambe; ich muß immer ſo abgebrochene, ungeborene Phraſen ſchreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech- nen Sie das ja ab! Es gefällt mir raſend von Ihnen, daß Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die ſich nicht auf äußere Bedingungen bezieht, als: Verſprechen, Erlaubniß, und dergleichen, iſt eine Zartheit, die ich ſehr liebe. Wiſſen Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So iſt Zartheit Gefühl mit Geiſt. Nicht anders! Punktum. Mir machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber keine Furcht, Lieber! Ich denke immer ſo, haben wir ihn ge- trieben, warum ſoll er uns nicht treiben. Und dann können noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt: doch bin ich noch ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can- tian habe ich einen ſehr hübſchen zweckmäßigen kurzen Brief heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich freue mich recht ſehr ſeines Avancements, weil er’s verdient: er iſt die Ordnung, Beſcheidenheit, in Ausgaben und allem, ſelbſt; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird ſich der Vater gefreut haben. Sein Sie ſo gütig, ſie zu grüßen: ich weiß nicht, wo ich hin ſchreiben ſoll, wenn ich ihm auch antworten will. H.’s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein- ſchaftlichen Freunden ſehr viel Gutes und Rühmliches von ihm gehört; sauf le respect pour le ciel hätte wohl ein Anderer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0167"n="159"/>
meine letzte Widrigkeit — Kalamität drückt mir ganz was<lb/>
anders aus. Von Auguſtens Krankheit wird Ihnen mein Bru-<lb/>
der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit<lb/>
im Hauſe. —<hirendition="#aq">Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen-<lb/>
tir de l’état de ma jambe;</hi> ich muß immer ſo abgebrochene,<lb/>
ungeborene Phraſen ſchreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech-<lb/>
nen Sie das <hirendition="#g">ja</hi> ab! Es gefällt mir raſend von Ihnen, daß<lb/>
Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie<lb/>
darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die ſich nicht<lb/>
auf äußere Bedingungen bezieht, als: Verſprechen, Erlaubniß,<lb/>
und dergleichen, iſt eine Zartheit, die ich ſehr liebe. Wiſſen<lb/>
Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So iſt<lb/>
Zartheit Gefühl mit Geiſt. Nicht anders! Punktum. Mir<lb/>
machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber<lb/>
keine Furcht, Lieber! Ich denke immer ſo, haben wir ihn ge-<lb/>
trieben, warum ſoll er uns nicht treiben. Und dann können<lb/>
noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt:<lb/>
doch bin ich <hirendition="#g">noch</hi> ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can-<lb/>
tian habe ich einen ſehr hübſchen zweckmäßigen kurzen Brief<lb/>
heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich<lb/>
freue mich recht ſehr ſeines Avancements, weil er’s verdient:<lb/>
er iſt die Ordnung, Beſcheidenheit, in Ausgaben und allem,<lb/>ſelbſt; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird ſich der Vater<lb/>
gefreut haben. Sein Sie ſo gütig, ſie zu grüßen: ich weiß<lb/>
nicht, wo ich hin ſchreiben ſoll, wenn ich ihm auch antworten<lb/>
will. H.’s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein-<lb/>ſchaftlichen Freunden ſehr viel Gutes und Rühmliches von ihm<lb/>
gehört; <hirendition="#aq">sauf le respect pour le ciel</hi> hätte wohl ein Anderer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0167]
meine letzte Widrigkeit — Kalamität drückt mir ganz was
anders aus. Von Auguſtens Krankheit wird Ihnen mein Bru-
der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit
im Hauſe. — Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen-
tir de l’état de ma jambe; ich muß immer ſo abgebrochene,
ungeborene Phraſen ſchreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech-
nen Sie das ja ab! Es gefällt mir raſend von Ihnen, daß
Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie
darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die ſich nicht
auf äußere Bedingungen bezieht, als: Verſprechen, Erlaubniß,
und dergleichen, iſt eine Zartheit, die ich ſehr liebe. Wiſſen
Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So iſt
Zartheit Gefühl mit Geiſt. Nicht anders! Punktum. Mir
machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber
keine Furcht, Lieber! Ich denke immer ſo, haben wir ihn ge-
trieben, warum ſoll er uns nicht treiben. Und dann können
noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt:
doch bin ich noch ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can-
tian habe ich einen ſehr hübſchen zweckmäßigen kurzen Brief
heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich
freue mich recht ſehr ſeines Avancements, weil er’s verdient:
er iſt die Ordnung, Beſcheidenheit, in Ausgaben und allem,
ſelbſt; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird ſich der Vater
gefreut haben. Sein Sie ſo gütig, ſie zu grüßen: ich weiß
nicht, wo ich hin ſchreiben ſoll, wenn ich ihm auch antworten
will. H.’s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein-
ſchaftlichen Freunden ſehr viel Gutes und Rühmliches von ihm
gehört; sauf le respect pour le ciel hätte wohl ein Anderer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/167>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.