Habe die Güte Fräulein Saaling beifolgende Quittung zukommen zu lassen. Ich hatte noch Socken und Schuhe, und ich fragte österreichische Offizierfrauen -- meine Nachba- rinnen --, wo ich dies und anderes am besten hinzuschicken habe; sie antworteten mir, sie und ich wir wollten es selbst übernehmen, und einzelnen Bedürftigen vertheilen, das sei am besten und sichersten. So thaten wir. Vor fünf Tagen hat mich die Frau Oberstburggräfin zu sich zitiren lassen: gewiß wegen der Hemden. Ich darf aber nicht ausgehen. Nun schrieb ich der Baronin Heer ein ostensibles Billet, damit die Soldaten nicht auf meine Krankheit zu warten hätten. Die Baronin ließ mir sagen, sie würde kommen, war aber noch nicht da. Referire dies gütigst den Arnstein'schen Damen. Und wie unfähig ich zu schreiben war. Bei Gott es war wahr! Für Goethe küss' ich dir die Hand. Diesen Gott las- sen sie nicht ungeschoren! Ich will's verschweigen, wie Gentz sich darüber als Maulwurf, blinder, wühlender, anderthalb- sinniger äußerte. Lebe wohl, Theure! dich zu sehen, ist meine ganze Hoffnung jetzt. --
An Ernestine Robert.
Prag, Montag Mittag 1 Uhr den 20. December 1813.
Es wäre liebenswürdig, gerecht, und äußerst erfreulich für mich, liebes Ernestinchen, wenn Sie mir schrieben; und nicht warteten bis ich Wicht Ihnen schreibe! hören Sie, wem ich alles schreiben muß. Nach Hause, damit Ihr alle von mir
Habe die Güte Fräulein Saaling beifolgende Quittung zukommen zu laſſen. Ich hatte noch Socken und Schuhe, und ich fragte öſterreichiſche Offizierfrauen — meine Nachba- rinnen —, wo ich dies und anderes am beſten hinzuſchicken habe; ſie antworteten mir, ſie und ich wir wollten es ſelbſt übernehmen, und einzelnen Bedürftigen vertheilen, das ſei am beſten und ſicherſten. So thaten wir. Vor fünf Tagen hat mich die Frau Oberſtburggräfin zu ſich zitiren laſſen: gewiß wegen der Hemden. Ich darf aber nicht ausgehen. Nun ſchrieb ich der Baronin Heer ein oſtenſibles Billet, damit die Soldaten nicht auf meine Krankheit zu warten hätten. Die Baronin ließ mir ſagen, ſie würde kommen, war aber noch nicht da. Referire dies gütigſt den Arnſtein’ſchen Damen. Und wie unfähig ich zu ſchreiben war. Bei Gott es war wahr! Für Goethe küſſ’ ich dir die Hand. Dieſen Gott laſ- ſen ſie nicht ungeſchoren! Ich will’s verſchweigen, wie Gentz ſich darüber als Maulwurf, blinder, wühlender, anderthalb- ſinniger äußerte. Lebe wohl, Theure! dich zu ſehen, iſt meine ganze Hoffnung jetzt. —
An Erneſtine Robert.
Prag, Montag Mittag 1 Uhr den 20. December 1813.
Es wäre liebenswürdig, gerecht, und äußerſt erfreulich für mich, liebes Erneſtinchen, wenn Sie mir ſchrieben; und nicht warteten bis ich Wicht Ihnen ſchreibe! hören Sie, wem ich alles ſchreiben muß. Nach Hauſe, damit Ihr alle von mir
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Habe die Güte Fräulein Saaling beifolgende Quittung
zukommen zu laſſen. Ich hatte noch Socken und Schuhe,
und ich fragte öſterreichiſche Offizierfrauen — meine Nachba-
rinnen —, wo ich dies und anderes am beſten hinzuſchicken
habe; ſie antworteten mir, ſie und ich wir wollten es ſelbſt
übernehmen, und einzelnen Bedürftigen vertheilen, das ſei am
beſten und ſicherſten. So thaten wir. Vor fünf Tagen hat
mich die Frau Oberſtburggräfin zu ſich zitiren laſſen: gewiß
wegen der Hemden. Ich darf aber nicht ausgehen. Nun
ſchrieb ich der Baronin Heer ein oſtenſibles Billet, damit die
Soldaten nicht auf meine Krankheit zu warten hätten. Die
Baronin ließ mir ſagen, ſie würde kommen, war aber noch
nicht da. Referire dies gütigſt den Arnſtein’ſchen Damen.
Und wie unfähig ich zu ſchreiben war. Bei Gott es war
wahr! Für Goethe küſſ’ ich dir die Hand. Dieſen Gott laſ-
ſen ſie nicht ungeſchoren! Ich will’s verſchweigen, wie Gentz
ſich darüber als Maulwurf, blinder, wühlender, anderthalb-
ſinniger äußerte. Lebe wohl, Theure! dich zu ſehen, iſt meine
ganze Hoffnung jetzt. —
An Erneſtine Robert.
Prag, Montag Mittag 1 Uhr den 20. December 1813.
Es wäre liebenswürdig, gerecht, und äußerſt erfreulich für
mich, liebes Erneſtinchen, wenn Sie mir ſchrieben; und nicht
warteten bis ich Wicht Ihnen ſchreibe! hören Sie, wem ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/163>, abgerufen am 26.11.2024.
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