muthet war mir gleich die Handschrift; nie hätte ich sie von ihm so erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tausend solche. Mich interessirt sein Gemüthe so, und mich dünkt ich kenne es so sehr, daß ich für mein Leben gerne wissen möchte, womit du ihn so gekränkt hast. Auch sehr meine Art mich auszudrücken, diese Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende Entschuldigung unter deiner Gestalt hätte machen können! ich hätte ihm unendlich geschmeichelt, seinem Herzen; ich hätte es verstanden, wie man es machen muß. Du schriebest mir ja, er wäre nach Wien, und so sagte ich hier auch immer aus. Mir ist die Geschichte oder Anekdote, woraus er sein Stück schreibt, wie das Meiste, was ich gelesen habe, nicht gegen- wärtig; und du sprichst mir davon wie zu einer Mad. Stael, die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du schreibst gut über seine Art zu schreiben; ich aber wünsche nun schon von ihm eine strengere Manier; du weißt, ich will die Schriftstel- ler schreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier. Von mir hat sich Herr Clemens, wie ich von einem Österrei- cher in seiner Naivetät erfahren habe, wieder plaisant geäu- ßert; was er gesagt hatte, wollte mir der Mensch gleich nicht erzählen, als er sah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen Begehren ich hastig danach fragte, und das Ganze wieder be- schönigen. Ich that das gleich selbst: und erfuhr auch nicht was er gesagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är- gert mich nur in so weit, als es der etwanigen Bekanntschaft zwischen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge- faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachlässig- oder abgeneigt dazu machen muß: ich fürchte mich aber gar
muthet war mir gleich die Handſchrift; nie hätte ich ſie von ihm ſo erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tauſend ſolche. Mich intereſſirt ſein Gemüthe ſo, und mich dünkt ich kenne es ſo ſehr, daß ich für mein Leben gerne wiſſen möchte, womit du ihn ſo gekränkt haſt. Auch ſehr meine Art mich auszudrücken, dieſe Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende Entſchuldigung unter deiner Geſtalt hätte machen können! ich hätte ihm unendlich geſchmeichelt, ſeinem Herzen; ich hätte es verſtanden, wie man es machen muß. Du ſchriebeſt mir ja, er wäre nach Wien, und ſo ſagte ich hier auch immer aus. Mir iſt die Geſchichte oder Anekdote, woraus er ſein Stück ſchreibt, wie das Meiſte, was ich geleſen habe, nicht gegen- wärtig; und du ſprichſt mir davon wie zu einer Mad. Staël, die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du ſchreibſt gut über ſeine Art zu ſchreiben; ich aber wünſche nun ſchon von ihm eine ſtrengere Manier; du weißt, ich will die Schriftſtel- ler ſchreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier. Von mir hat ſich Herr Clemens, wie ich von einem Öſterrei- cher in ſeiner Naivetät erfahren habe, wieder plaiſant geäu- ßert; was er geſagt hatte, wollte mir der Menſch gleich nicht erzählen, als er ſah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen Begehren ich haſtig danach fragte, und das Ganze wieder be- ſchönigen. Ich that das gleich ſelbſt: und erfuhr auch nicht was er geſagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är- gert mich nur in ſo weit, als es der etwanigen Bekanntſchaft zwiſchen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge- faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachläſſig- oder abgeneigt dazu machen muß: ich fürchte mich aber gar
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muthet war mir gleich die Handſchrift; nie hätte ich ſie von
ihm ſo erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tauſend
ſolche. Mich intereſſirt ſein Gemüthe ſo, und mich dünkt ich
kenne es ſo ſehr, daß ich für mein Leben gerne wiſſen möchte,
womit du ihn ſo gekränkt haſt. Auch ſehr meine Art mich
auszudrücken, dieſe Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende
Entſchuldigung unter deiner Geſtalt hätte machen können! ich
hätte ihm unendlich geſchmeichelt, ſeinem Herzen; ich hätte
es verſtanden, wie man es machen muß. Du ſchriebeſt mir
ja, er wäre nach Wien, und ſo ſagte ich hier auch immer aus.
Mir iſt die Geſchichte oder Anekdote, woraus er ſein Stück
ſchreibt, wie das Meiſte, was ich geleſen habe, nicht gegen-
wärtig; und du ſprichſt mir davon wie zu einer Mad. Staël,
die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du ſchreibſt gut
über ſeine Art zu ſchreiben; ich aber wünſche nun ſchon von
ihm eine ſtrengere Manier; du weißt, ich will die Schriftſtel-
ler ſchreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier.
Von mir hat ſich Herr Clemens, wie ich von einem Öſterrei-
cher in ſeiner Naivetät erfahren habe, wieder plaiſant geäu-
ßert; was er geſagt hatte, wollte mir der Menſch gleich nicht
erzählen, als er ſah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen
Begehren ich haſtig danach fragte, und das Ganze wieder be-
ſchönigen. Ich that das gleich ſelbſt: und erfuhr auch nicht
was er geſagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är-
gert mich nur in ſo weit, als es der etwanigen Bekanntſchaft
zwiſchen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge-
faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachläſſig-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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