Abend bei mir: recht gut; aber er müßte erst wieder kurze Zeit unter eben so Klugen leben, als er ist: die Salons haben ihn engourdirt. Er braucht ein weniges sich zu entrosten. Wir sprachen viel. Das Stück in der Zeitung, worin Mett. vor- kommt, ist nicht in so schönem Ton geschrieben, als "Aussicht der Gegenwart." Es thut mir leid. Glaube nur, dies Land hier will glimpflich bei den größten Schlachten bleiben: und Alle söhnen sich aus: nur Partikuliers bleiben dann sitzen, und werden aufgeopfert. Dies alles unmaßgeblich, und nur zur Erinnerung! Du bist übrigens überzeugt, daß wenn ich die Sache an sich, ganz richtig, edel, und ersprießlich für Alle hielte; mich keine Rücksicht ihr abspenstig machte. Das böse Prinzip aber, ist anderweitig zu finden, und zu verfolgen: und mit einem gelassenen, nicht ironischen Ton, wie du ihn schon gefunden hast. Nicht wahr? -- Nun muß ich mich ge- schwind anziehen; -- es ist gefroren, ich will auch endlich ausgehen. Willisen hat an Marwitz geschrieben aus einem Orte des Reichs, den der nicht kennt: lauter kriegrische Dinge. Ich schicke ein Stück der Addresse mit, die vor mir liegt. Zur Ergötzung. Viele Grüße, und die herzlichste Umarmung! Dan- zig soll über sein! Adieu!
Sonntag, den 28. November 1813.
So wie kein Dichter sich ausdenken kann, was besser, mannigfaltiger und sonderbarer wäre, als was sich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den besten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was ge- schieht zu sehen, und in seiner Seele auseinander zu halten:
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Abend bei mir: recht gut; aber er müßte erſt wieder kurze Zeit unter eben ſo Klugen leben, als er iſt: die Salons haben ihn engourdirt. Er braucht ein weniges ſich zu entroſten. Wir ſprachen viel. Das Stück in der Zeitung, worin Mett. vor- kommt, iſt nicht in ſo ſchönem Ton geſchrieben, als „Ausſicht der Gegenwart.“ Es thut mir leid. Glaube nur, dies Land hier will glimpflich bei den größten Schlachten bleiben: und Alle ſöhnen ſich aus: nur Partikuliers bleiben dann ſitzen, und werden aufgeopfert. Dies alles unmaßgeblich, und nur zur Erinnerung! Du biſt übrigens überzeugt, daß wenn ich die Sache an ſich, ganz richtig, edel, und erſprießlich für Alle hielte; mich keine Rückſicht ihr abſpenſtig machte. Das böſe Prinzip aber, iſt anderweitig zu finden, und zu verfolgen: und mit einem gelaſſenen, nicht ironiſchen Ton, wie du ihn ſchon gefunden haſt. Nicht wahr? — Nun muß ich mich ge- ſchwind anziehen; — es iſt gefroren, ich will auch endlich ausgehen. Williſen hat an Marwitz geſchrieben aus einem Orte des Reichs, den der nicht kennt: lauter kriegriſche Dinge. Ich ſchicke ein Stück der Addreſſe mit, die vor mir liegt. Zur Ergötzung. Viele Grüße, und die herzlichſte Umarmung! Dan- zig ſoll über ſein! Adieu!
Sonntag, den 28. November 1813.
So wie kein Dichter ſich ausdenken kann, was beſſer, mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als was ſich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den beſten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was ge- ſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele auseinander zu halten:
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Abend bei mir: recht gut; aber er müßte erſt wieder kurze Zeit
unter eben ſo Klugen leben, als er iſt: die Salons haben ihn
engourdirt. Er braucht ein weniges ſich zu entroſten. Wir
ſprachen viel. Das Stück in der Zeitung, worin Mett. vor-
kommt, iſt nicht in ſo ſchönem Ton geſchrieben, als „Ausſicht
der Gegenwart.“ Es thut mir leid. Glaube nur, dies Land
hier will glimpflich bei den größten Schlachten bleiben: und
Alle ſöhnen ſich aus: nur Partikuliers bleiben dann ſitzen, und
werden aufgeopfert. Dies alles unmaßgeblich, und nur zur
Erinnerung! Du biſt übrigens überzeugt, daß wenn ich die
Sache an ſich, ganz richtig, edel, und erſprießlich für Alle
hielte; mich keine Rückſicht ihr abſpenſtig machte. Das böſe
Prinzip aber, iſt anderweitig zu finden, und zu verfolgen:
und mit einem gelaſſenen, nicht ironiſchen Ton, wie du ihn
ſchon gefunden haſt. Nicht wahr? — Nun muß ich mich ge-
ſchwind anziehen; — es iſt gefroren, ich will auch endlich
ausgehen. Williſen hat an Marwitz geſchrieben aus einem
Orte des Reichs, den der nicht kennt: lauter kriegriſche Dinge.
Ich ſchicke ein Stück der Addreſſe mit, die vor mir liegt. Zur
Ergötzung. Viele Grüße, und die herzlichſte Umarmung! Dan-
zig ſoll über ſein! Adieu!
Sonntag, den 28. November 1813.
So wie kein Dichter ſich ausdenken kann, was beſſer,
mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als was ſich wirklich
in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den beſten
Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was ge-
ſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele auseinander zu halten:
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/155>, abgerufen am 26.11.2024.
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