Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Es fehlte mir noch, daß Sie so in Ihrem Innern mit
Varnhagen stehen! Also wenn der kommt, welches auch Sie
schon für mich wünschten, hab' ich diesem Bruche mit zuzu-
sehen, der sich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück,
daß nichts in der Art mich schreckt, weil ich auf nichts mehr
hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt so kommt, wie wir,
wie ich sie bestelle. Dies ist mein Glück, sonst müßt' ich ver-
zweifeln. Varnhagen ist also mein Freund, der mich am
meisten liebt; für dessen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin-
gung bin: und es ist nicht genug, daß ich ihn ganz kenne
und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog' auf Wog'
unter, Klippen an mit ihm durch, und all unsre Freunde le-
gen die ganze Last ganz auf mich. "Sie trägt so viel, so
gut, warum nicht auch dies!" Dies sagt sich niemand; aber
so geschieht's, weil -- ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich
bin zu krank heute, jetzt! Auch schicke ich nun diesen Brief
nicht ab, bis das Folgende steht. Adieu! -- --


Im Bette, Sie müssen Geduld haben, mein lieber Freund,
und bedenken, daß Sie es sind. Sehen Sie mich an wie
eine Krankheit des menschlichen Geschlechts, es giebt solche
Menschen, in der Reihe der geboren wordenen und werden-
den; auf die sich Widersprechendes ladet, und sie biegen und
brechen; wie es in einem Menschenleben Momente giebt, mit
denen es eben so geht, und die man kranke nennt und fühlt.
die auch nichts anders sind, als Träger der Verwirrung, des
nicht Aufgegangenen für die gesammten Organisationen die-

Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit
Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie
ſchon für mich wünſchten, hab’ ich dieſem Bruche mit zuzu-
ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück,
daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr
hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir,
wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt’ ich ver-
zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am
meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin-
gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne
und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog’ auf Wog’
unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le-
gen die ganze Laſt ganz auf mich. „Sie trägt ſo viel, ſo
gut, warum nicht auch dies!“ Dies ſagt ſich niemand; aber
ſo geſchieht’s, weil — ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich
bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief
nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu! — —


Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund,
und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie
eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche
Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden-
den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und
brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit
denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt.
die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des
nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0014" n="6"/>
            <p>Es fehlte mir noch, daß Sie &#x017F;o in Ihrem Innern mit<lb/>
Varnhagen &#x017F;tehen! Al&#x017F;o wenn der kommt, welches auch Sie<lb/>
&#x017F;chon für mich wün&#x017F;chten, hab&#x2019; ich die&#x017F;em Bruche mit zuzu-<lb/>
&#x017F;ehen, der &#x017F;ich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück,<lb/>
daß nichts in der Art mich &#x017F;chreckt, weil ich auf nichts mehr<lb/>
hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt &#x017F;o kommt, wie wir,<lb/>
wie ich &#x017F;ie be&#x017F;telle. Dies i&#x017F;t mein Glück, &#x017F;on&#x017F;t müßt&#x2019; ich ver-<lb/>
zweifeln. Varnhagen i&#x017F;t al&#x017F;o mein Freund, der mich am<lb/>
mei&#x017F;ten liebt; für de&#x017F;&#x017F;en ganze Lebenseinrichtung ich Bedin-<lb/>
gung bin: und es i&#x017F;t nicht genug, daß ich ihn <hi rendition="#g">ganz</hi> kenne<lb/>
und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog&#x2019; auf Wog&#x2019;<lb/>
unter, Klippen an mit ihm durch, und all un&#x017F;re Freunde le-<lb/>
gen die ganze La&#x017F;t <hi rendition="#g">ganz</hi> auf mich. &#x201E;Sie trägt &#x017F;o viel, &#x017F;o<lb/>
gut, warum nicht auch dies!&#x201C; Dies &#x017F;agt &#x017F;ich niemand; aber<lb/>
&#x017F;o ge&#x017F;chieht&#x2019;s, weil &#x2014; ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich<lb/>
bin zu krank heute, jetzt! Auch &#x017F;chicke ich nun die&#x017F;en Brief<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> ab, bis das Folgende &#x017F;teht. Adieu! &#x2014; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#right">Freitags, 10 Uhr Morgens.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Im Bette, Sie mü&#x017F;&#x017F;en Geduld haben, mein lieber Freund,<lb/>
und bedenken, daß Sie es &#x017F;ind. Sehen Sie mich an wie<lb/>
eine Krankheit des men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts, es giebt &#x017F;olche<lb/>
Men&#x017F;chen, in der Reihe der geboren wordenen und werden-<lb/>
den; auf die &#x017F;ich Wider&#x017F;prechendes ladet, und &#x017F;ie biegen und<lb/>
brechen; wie es in einem Men&#x017F;chenleben Momente giebt, mit<lb/>
denen es eben &#x017F;o geht, und die man kranke nennt und fühlt.<lb/>
die auch nichts anders &#x017F;ind, als Träger der Verwirrung, des<lb/>
nicht Aufgegangenen für die ge&#x017F;ammten Organi&#x017F;ationen die-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0014] Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie ſchon für mich wünſchten, hab’ ich dieſem Bruche mit zuzu- ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück, daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir, wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt’ ich ver- zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin- gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog’ auf Wog’ unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le- gen die ganze Laſt ganz auf mich. „Sie trägt ſo viel, ſo gut, warum nicht auch dies!“ Dies ſagt ſich niemand; aber ſo geſchieht’s, weil — ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu! — — Freitags, 10 Uhr Morgens. Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden- den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt. die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/14
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/14>, abgerufen am 23.11.2024.