Es fehlte mir noch, daß Sie so in Ihrem Innern mit Varnhagen stehen! Also wenn der kommt, welches auch Sie schon für mich wünschten, hab' ich diesem Bruche mit zuzu- sehen, der sich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück, daß nichts in der Art mich schreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt so kommt, wie wir, wie ich sie bestelle. Dies ist mein Glück, sonst müßt' ich ver- zweifeln. Varnhagen ist also mein Freund, der mich am meisten liebt; für dessen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin- gung bin: und es ist nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog' auf Wog' unter, Klippen an mit ihm durch, und all unsre Freunde le- gen die ganze Last ganz auf mich. "Sie trägt so viel, so gut, warum nicht auch dies!" Dies sagt sich niemand; aber so geschieht's, weil -- ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich bin zu krank heute, jetzt! Auch schicke ich nun diesen Brief nicht ab, bis das Folgende steht. Adieu! -- --
Freitags, 10 Uhr Morgens.
Im Bette, Sie müssen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es sind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menschlichen Geschlechts, es giebt solche Menschen, in der Reihe der geboren wordenen und werden- den; auf die sich Widersprechendes ladet, und sie biegen und brechen; wie es in einem Menschenleben Momente giebt, mit denen es eben so geht, und die man kranke nennt und fühlt. die auch nichts anders sind, als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die gesammten Organisationen die-
Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie ſchon für mich wünſchten, hab’ ich dieſem Bruche mit zuzu- ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück, daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir, wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt’ ich ver- zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin- gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog’ auf Wog’ unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le- gen die ganze Laſt ganz auf mich. „Sie trägt ſo viel, ſo gut, warum nicht auch dies!“ Dies ſagt ſich niemand; aber ſo geſchieht’s, weil — ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu! — —
Freitags, 10 Uhr Morgens.
Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden- den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt. die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die-
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[6/0014]
Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit
Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie
ſchon für mich wünſchten, hab’ ich dieſem Bruche mit zuzu-
ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück,
daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr
hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir,
wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt’ ich ver-
zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am
meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin-
gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne
und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog’ auf Wog’
unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le-
gen die ganze Laſt ganz auf mich. „Sie trägt ſo viel, ſo
gut, warum nicht auch dies!“ Dies ſagt ſich niemand; aber
ſo geſchieht’s, weil — ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich
bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief
nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu! — —
Freitags, 10 Uhr Morgens.
Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund,
und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie
eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche
Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden-
den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und
brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit
denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt.
die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des
nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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