Genüssen dienen soll? Ich bin ganz so weit darin, als Sie. Erinnern Sie sich an meinen Brief, den ich Ihnen über Prin- zeß Louis schrieb; und an mein "Blasirt". Wenn es mög- lich ist, sollen Sie doch wissen, wie es in ein paar Haupt- punkten um meine arme Seele steht. Sie sollen auch wissen, daß Ihre Lieblinge gewiß die meinigen sein werden: -- ge- wisser, als meine Ihre -- und daß, wenn ich gesagt habe: ich müsse mit einem Menschen alles sprechen können, ich ge- meint habe: wenn ihm auch nicht alles einfällt, er doch alles gleich verstehen und in die Familien seines Wissens aufneh- men muß, was ich ihm nur irgend Neues oder Unerhörtes sagen kann. Und seine ganze Klugheit, sein ganzer Geist muß darin bestehen, dahin gehen, alle Härten, alle Härte zu verlieren, zu hassen, zu vermeiden. Härte im Umgang: und für das, was sie frivol nennen, Gründe zu finden, und zu haben; und Einsicht dafür. Denn es ist nicht frivol. Es giebt auch nichts Eiteles; als Herzensdürre; Kopfhärte, Ar- muth, Naturarmuth. Gott! wie klein, wie unwürdig beschäf- tigt komme ich mir vor, daß ich mich erst legitimiren muß! Lebten wir zusammen, so liebten Sie mich nur, und könn- ten nicht ohne mich leben. Dann wollt' ich Ihnen noch sa- gen, daß Sie mich allerdings benachrichtigen lassen, wenn ich Sie sehen soll: daß Sie aber, wenn Sie einmal eine kleine Zeit haben, unverhofft kommen: mein Mädchen weiß immer wo ich bin; und Sie schicken mir, wo ich auch sein mag, gleich einen Wagen, (Ist es denn nicht schrecklich genug!) wenn Metternich wieder nach Brandeis fährt, wie gestern. Den ganzen Tag schrieb ich Ihnen gestern, und anderes, als
Genüſſen dienen ſoll? Ich bin ganz ſo weit darin, als Sie. Erinnern Sie ſich an meinen Brief, den ich Ihnen über Prin- zeß Louis ſchrieb; und an mein „Blaſirt“. Wenn es mög- lich iſt, ſollen Sie doch wiſſen, wie es in ein paar Haupt- punkten um meine arme Seele ſteht. Sie ſollen auch wiſſen, daß Ihre Lieblinge gewiß die meinigen ſein werden: — ge- wiſſer, als meine Ihre — und daß, wenn ich geſagt habe: ich müſſe mit einem Menſchen alles ſprechen können, ich ge- meint habe: wenn ihm auch nicht alles einfällt, er doch alles gleich verſtehen und in die Familien ſeines Wiſſens aufneh- men muß, was ich ihm nur irgend Neues oder Unerhörtes ſagen kann. Und ſeine ganze Klugheit, ſein ganzer Geiſt muß darin beſtehen, dahin gehen, alle Härten, alle Härte zu verlieren, zu haſſen, zu vermeiden. Härte im Umgang: und für das, was ſie frivol nennen, Gründe zu finden, und zu haben; und Einſicht dafür. Denn es iſt nicht frivol. Es giebt auch nichts Eiteles; als Herzensdürre; Kopfhärte, Ar- muth, Naturarmuth. Gott! wie klein, wie unwürdig beſchäf- tigt komme ich mir vor, daß ich mich erſt legitimiren muß! Lebten wir zuſammen, ſo liebten Sie mich nur, und könn- ten nicht ohne mich leben. Dann wollt’ ich Ihnen noch ſa- gen, daß Sie mich allerdings benachrichtigen laſſen, wenn ich Sie ſehen ſoll: daß Sie aber, wenn Sie einmal eine kleine Zeit haben, unverhofft kommen: mein Mädchen weiß immer wo ich bin; und Sie ſchicken mir, wo ich auch ſein mag, gleich einen Wagen, (Iſt es denn nicht ſchrecklich genug!) wenn Metternich wieder nach Brandeis fährt, wie geſtern. Den ganzen Tag ſchrieb ich Ihnen geſtern, und anderes, als
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Genüſſen dienen ſoll? Ich bin ganz ſo weit darin, als Sie.
Erinnern Sie ſich an meinen Brief, den ich Ihnen über Prin-
zeß Louis ſchrieb; und an mein „Blaſirt“. Wenn es mög-
lich iſt, ſollen Sie doch wiſſen, wie es in ein paar Haupt-
punkten um meine arme Seele ſteht. Sie ſollen auch wiſſen,
daß Ihre Lieblinge gewiß die meinigen ſein werden: — ge-
wiſſer, als meine Ihre — und daß, wenn ich geſagt habe:
ich müſſe mit einem Menſchen alles ſprechen können, ich ge-
meint habe: wenn ihm auch nicht alles einfällt, er doch alles
gleich verſtehen und in die Familien ſeines Wiſſens aufneh-
men muß, was ich ihm nur irgend Neues oder Unerhörtes
ſagen kann. Und ſeine ganze Klugheit, ſein ganzer Geiſt
muß darin beſtehen, dahin gehen, alle Härten, alle Härte
zu verlieren, zu haſſen, zu vermeiden. Härte im Umgang:
und für das, was ſie frivol nennen, Gründe zu finden, und
zu haben; und Einſicht dafür. Denn es iſt nicht frivol. Es
giebt auch nichts Eiteles; als Herzensdürre; Kopfhärte, Ar-
muth, Naturarmuth. Gott! wie klein, wie unwürdig beſchäf-
tigt komme ich mir vor, daß ich mich erſt legitimiren muß!
Lebten wir zuſammen, ſo liebten Sie mich nur, und könn-
ten nicht ohne mich leben. Dann wollt’ ich Ihnen noch ſa-
gen, daß Sie mich allerdings benachrichtigen laſſen, wenn ich
Sie ſehen ſoll: daß Sie aber, wenn Sie einmal eine kleine
Zeit haben, unverhofft kommen: mein Mädchen weiß immer
wo ich bin; und Sie ſchicken mir, wo ich auch ſein mag,
gleich einen Wagen, (Iſt es denn nicht ſchrecklich genug!)
wenn Metternich wieder nach Brandeis fährt, wie geſtern.
Den ganzen Tag ſchrieb ich Ihnen geſtern, und anderes, als
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/115>, abgerufen am 04.12.2024.
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