Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gend ein ganzes Leben hindurch in sich zu verhehlen. Wie
beschämt schwieg ich vor zwei Jahren, als Bettine mir einmal
als von dem Gegenstand ihrer größten Leidenschaft feurig und
schön in dem von Herbstsonne glänzenden, stillen Monbijou
von ihm sprach! Ich that, als kennt' ich ihn gar nicht. So
ging's mir oft; ein andermal schwatz' ich wieder. Du kennst
es. Jetzt muß es Marwitz aushalten. Alle unsere Gespräche
fangen mit ihm an, und hören mit ihm auf. Nun wieder
sein Leben. Die Propyläen las mir Marwitz gestern vor. Und
so geht es immer weg mit ihm: urtheile, da du mich ganz
kennst, wie sich meine Seele freut, daß er weiß, wie man ihn
liebt; und er weiß es nicht. Alles müßt' er sehen, wissen,
hören. Nenne mich nur, wenn du willst. Er wird sich zwar
doch unangenehm wundern, daß es eine so nichtsbedeutende
Person ist; in Welt und Litteratur. Aber mein' ganzes mensch-
liches Sein ihm darzulegen scheue ich mich nicht; und bin
daher nur halb verlegen, daß ich es nur bin. Vor allen Din-
gen muß der Mann nicht mehr rathen, und ich stünde lieber
als der größte Plöter da, als ihn wie vor einem Räthsel zu
sehen. Du kennst meinen gränzenlosen Haß gegen Räthsel,
Errathen u. dgl. Nein, welch einen Goethischen, allerliebsten
Brief er dir schickte! Der ist wohl klug! Ich gönne dir die
lieben himmlischen Worte. Wie gütig! So gütig, glaub'
ich, hat er noch nicht geschrieben an unbekannte Leute. Ich
danke dir auch recht umständlich und ausführlich. Wie froh
ich aber bin, daß das Büchelchen erst unter dem Schutz sei-
ner
Beurtheilung erscheinen soll, das glaubst du nicht! Du
weißt, ich traute dem Dinge nicht gar sehr; und war schon

37 *

gend ein ganzes Leben hindurch in ſich zu verhehlen. Wie
beſchämt ſchwieg ich vor zwei Jahren, als Bettine mir einmal
als von dem Gegenſtand ihrer größten Leidenſchaft feurig und
ſchön in dem von Herbſtſonne glänzenden, ſtillen Monbijou
von ihm ſprach! Ich that, als kennt’ ich ihn gar nicht. So
ging’s mir oft; ein andermal ſchwatz’ ich wieder. Du kennſt
es. Jetzt muß es Marwitz aushalten. Alle unſere Geſpräche
fangen mit ihm an, und hören mit ihm auf. Nun wieder
ſein Leben. Die Propyläen las mir Marwitz geſtern vor. Und
ſo geht es immer weg mit ihm: urtheile, da du mich ganz
kennſt, wie ſich meine Seele freut, daß er weiß, wie man ihn
liebt; und er weiß es nicht. Alles müßt’ er ſehen, wiſſen,
hören. Nenne mich nur, wenn du willſt. Er wird ſich zwar
doch unangenehm wundern, daß es eine ſo nichtsbedeutende
Perſon iſt; in Welt und Litteratur. Aber mein’ ganzes menſch-
liches Sein ihm darzulegen ſcheue ich mich nicht; und bin
daher nur halb verlegen, daß ich es nur bin. Vor allen Din-
gen muß der Mann nicht mehr rathen, und ich ſtünde lieber
als der größte Plöter da, als ihn wie vor einem Räthſel zu
ſehen. Du kennſt meinen gränzenloſen Haß gegen Räthſel,
Errathen u. dgl. Nein, welch einen Goethiſchen, allerliebſten
Brief er dir ſchickte! Der iſt wohl klug! Ich gönne dir die
lieben himmliſchen Worte. Wie gütig! So gütig, glaub’
ich, hat er noch nicht geſchrieben an unbekannte Leute. Ich
danke dir auch recht umſtändlich und ausführlich. Wie froh
ich aber bin, daß das Büchelchen erſt unter dem Schutz ſei-
ner
Beurtheilung erſcheinen ſoll, das glaubſt du nicht! Du
weißt, ich traute dem Dinge nicht gar ſehr; und war ſchon

37 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0593" n="579"/>
gend ein ganzes Leben hindurch <hi rendition="#g">in</hi> &#x017F;ich zu verhehlen. Wie<lb/>
be&#x017F;chämt &#x017F;chwieg ich vor zwei Jahren, als Bettine mir einmal<lb/>
als von dem Gegen&#x017F;tand ihrer größten Leiden&#x017F;chaft feurig und<lb/>
&#x017F;chön in dem von Herb&#x017F;t&#x017F;onne glänzenden, &#x017F;tillen Monbijou<lb/>
von ihm &#x017F;prach! Ich that, als kennt&#x2019; ich ihn gar nicht. So<lb/>
ging&#x2019;s mir oft; ein andermal &#x017F;chwatz&#x2019; ich wieder. Du kenn&#x017F;t<lb/>
es. Jetzt muß es Marwitz aushalten. Alle un&#x017F;ere Ge&#x017F;präche<lb/>
fangen mit ihm an, und hören mit ihm auf. Nun wieder<lb/>
&#x017F;ein Leben. Die Propyläen las mir Marwitz ge&#x017F;tern vor. Und<lb/>
&#x017F;o geht es immer weg mit ihm: urtheile, da du mich ganz<lb/>
kenn&#x017F;t, wie &#x017F;ich meine Seele freut, daß er weiß, wie man ihn<lb/>
liebt; und er weiß es <hi rendition="#g">nicht</hi>. Alles müßt&#x2019; er &#x017F;ehen, wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
hören. Nenne mich nur, wenn du will&#x017F;t. Er wird &#x017F;ich zwar<lb/>
doch unangenehm wundern, daß es eine &#x017F;o nichtsbedeutende<lb/>
Per&#x017F;on i&#x017F;t; in Welt und Litteratur. Aber mein&#x2019; ganzes men&#x017F;ch-<lb/>
liches Sein ihm darzulegen &#x017F;cheue ich mich nicht; und bin<lb/>
daher nur halb verlegen, daß ich es nur bin. Vor allen Din-<lb/>
gen muß der Mann nicht mehr rathen, und ich &#x017F;tünde lieber<lb/>
als der größte Plöter da, als ihn wie vor einem Räth&#x017F;el zu<lb/>
&#x017F;ehen. Du kenn&#x017F;t meinen gränzenlo&#x017F;en Haß gegen Räth&#x017F;el,<lb/>
Errathen u. dgl. Nein, welch einen Goethi&#x017F;chen, allerlieb&#x017F;ten<lb/>
Brief er dir &#x017F;chickte! Der i&#x017F;t wohl klug! Ich gönne dir die<lb/>
lieben himmli&#x017F;chen Worte. Wie gütig! So gütig, glaub&#x2019;<lb/>
ich, hat er noch nicht ge&#x017F;chrieben an unbekannte Leute. Ich<lb/>
danke dir auch recht um&#x017F;tändlich und ausführlich. Wie froh<lb/><hi rendition="#g">ich</hi> aber bin, daß das Büchelchen er&#x017F;t unter dem Schutz <hi rendition="#g">&#x017F;ei-<lb/>
ner</hi> Beurtheilung er&#x017F;cheinen &#x017F;oll, das glaub&#x017F;t du nicht! Du<lb/>
weißt, ich traute dem Dinge nicht gar &#x017F;ehr; und war &#x017F;chon<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">37 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[579/0593] gend ein ganzes Leben hindurch in ſich zu verhehlen. Wie beſchämt ſchwieg ich vor zwei Jahren, als Bettine mir einmal als von dem Gegenſtand ihrer größten Leidenſchaft feurig und ſchön in dem von Herbſtſonne glänzenden, ſtillen Monbijou von ihm ſprach! Ich that, als kennt’ ich ihn gar nicht. So ging’s mir oft; ein andermal ſchwatz’ ich wieder. Du kennſt es. Jetzt muß es Marwitz aushalten. Alle unſere Geſpräche fangen mit ihm an, und hören mit ihm auf. Nun wieder ſein Leben. Die Propyläen las mir Marwitz geſtern vor. Und ſo geht es immer weg mit ihm: urtheile, da du mich ganz kennſt, wie ſich meine Seele freut, daß er weiß, wie man ihn liebt; und er weiß es nicht. Alles müßt’ er ſehen, wiſſen, hören. Nenne mich nur, wenn du willſt. Er wird ſich zwar doch unangenehm wundern, daß es eine ſo nichtsbedeutende Perſon iſt; in Welt und Litteratur. Aber mein’ ganzes menſch- liches Sein ihm darzulegen ſcheue ich mich nicht; und bin daher nur halb verlegen, daß ich es nur bin. Vor allen Din- gen muß der Mann nicht mehr rathen, und ich ſtünde lieber als der größte Plöter da, als ihn wie vor einem Räthſel zu ſehen. Du kennſt meinen gränzenloſen Haß gegen Räthſel, Errathen u. dgl. Nein, welch einen Goethiſchen, allerliebſten Brief er dir ſchickte! Der iſt wohl klug! Ich gönne dir die lieben himmliſchen Worte. Wie gütig! So gütig, glaub’ ich, hat er noch nicht geſchrieben an unbekannte Leute. Ich danke dir auch recht umſtändlich und ausführlich. Wie froh ich aber bin, daß das Büchelchen erſt unter dem Schutz ſei- ner Beurtheilung erſcheinen ſoll, das glaubſt du nicht! Du weißt, ich traute dem Dinge nicht gar ſehr; und war ſchon 37 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/593
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/593>, abgerufen am 23.12.2024.