Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Es hilft Ihnen nicht, mein lieber Marwitz, daß Sie meine
ganze Unwissenheit überschaut haben: die gelehrtesten Leute
kommen in meine Einsamkeit zu mir, und bleiben von 7 bis
dreiviertel auf 11 tete-a-tete bei mir. Der Philologe Wolf
that das diesen Abend. Sie haben sich nichts mehr zu schä-
men. Dieser Mann denn, sprach diese ganze Zeit auf die
reichhaltigste, geistreichste, naiveste, offenste Art mit mir. Von
allen seinen Arbeiten (wovon er mir schon morgen die Wol-
ken schickt, und einen Aufsatz über die deutsche Sprache, und
mir alles geben wird, was ich nur irgend verstehen kann),
Plänen, Gesinnungen, über alle Gelehrte, und Stadtgenossen.
Über sein früheres Leben, seine Liebschaften, Heirath, Ehe, Frau,
Kinder und ihre Erziehung. Über die Art und Weise wie er
seine Arbeiten konzipirt, und unergründlich liebenswürdig was
er davon hält; was er noch zu schreiben gedenkt, wie er
vieles verfaßte, was er vom Übersetzen denkt; von Voß,
Schiller, Schleiermacher, Humboldt, Friedrich Schlegel, des-
sen Frau und Bruder, Goethe, dessen Ehe, und Geschichte;
seinem Leben mit ihm; vom Herzog, der Herzogin; Deutsch-
land, und seine Meinung darüber (meine Satisfaktion! es
war meine.), von Mad. Herz, Frau von Berg, Gräfin
Voß, ihrem Mann, Stein und Varnhagen. Kurz, ich kann
mich des lebendigen Gesprächs und der Gegenstände nicht al-
ler erinnren; für mich Arme fiel es aber doch zu einem Leid
aus; mit welchem Jammer bedauerte ich, daß Sie vier Mei-
len weit waren, mit welcher Anstrengung wollt' ich alles für
Sie behalten. Wie schön sprach er über die Wolken! Welche
Vorrede für mich! Mit welchem großartigen Zutrauen

34 *

Es hilft Ihnen nicht, mein lieber Marwitz, daß Sie meine
ganze Unwiſſenheit überſchaut haben: die gelehrteſten Leute
kommen in meine Einſamkeit zu mir, und bleiben von 7 bis
dreiviertel auf 11 tête-à-tête bei mir. Der Philologe Wolf
that das dieſen Abend. Sie haben ſich nichts mehr zu ſchä-
men. Dieſer Mann denn, ſprach dieſe ganze Zeit auf die
reichhaltigſte, geiſtreichſte, naiveſte, offenſte Art mit mir. Von
allen ſeinen Arbeiten (wovon er mir ſchon morgen die Wol-
ken ſchickt, und einen Aufſatz über die deutſche Sprache, und
mir alles geben wird, was ich nur irgend verſtehen kann),
Plänen, Geſinnungen, über alle Gelehrte, und Stadtgenoſſen.
Über ſein früheres Leben, ſeine Liebſchaften, Heirath, Ehe, Frau,
Kinder und ihre Erziehung. Über die Art und Weiſe wie er
ſeine Arbeiten konzipirt, und unergründlich liebenswürdig was
er davon hält; was er noch zu ſchreiben gedenkt, wie er
vieles verfaßte, was er vom Überſetzen denkt; von Voß,
Schiller, Schleiermacher, Humboldt, Friedrich Schlegel, deſ-
ſen Frau und Bruder, Goethe, deſſen Ehe, und Geſchichte;
ſeinem Leben mit ihm; vom Herzog, der Herzogin; Deutſch-
land, und ſeine Meinung darüber (meine Satisfaktion! es
war meine.), von Mad. Herz, Frau von Berg, Gräfin
Voß, ihrem Mann, Stein und Varnhagen. Kurz, ich kann
mich des lebendigen Geſprächs und der Gegenſtände nicht al-
ler erinnren; für mich Arme fiel es aber doch zu einem Leid
aus; mit welchem Jammer bedauerte ich, daß Sie vier Mei-
len weit waren, mit welcher Anſtrengung wollt’ ich alles für
Sie behalten. Wie ſchön ſprach er über die Wolken! Welche
Vorrede für mich! Mit welchem großartigen Zutrauen

34 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0545" n="531"/>
            <p>Es hilft Ihnen nicht, mein lieber Marwitz, daß Sie meine<lb/>
ganze Unwi&#x017F;&#x017F;enheit über&#x017F;chaut haben: die gelehrte&#x017F;ten Leute<lb/>
kommen in meine Ein&#x017F;amkeit zu mir, und bleiben von 7 bis<lb/>
dreiviertel auf 11 <hi rendition="#aq">tête-à-tête</hi> bei mir. Der Philologe Wolf<lb/>
that das die&#x017F;en Abend. Sie haben &#x017F;ich nichts mehr zu &#x017F;chä-<lb/>
men. Die&#x017F;er Mann denn, &#x017F;prach die&#x017F;e ganze Zeit auf die<lb/>
reichhaltig&#x017F;te, gei&#x017F;treich&#x017F;te, naive&#x017F;te, offen&#x017F;te Art mit mir. Von<lb/>
allen &#x017F;einen Arbeiten (wovon er mir &#x017F;chon morgen die Wol-<lb/>
ken &#x017F;chickt, und einen Auf&#x017F;atz über die deut&#x017F;che Sprache, und<lb/>
mir alles geben wird, was ich nur irgend ver&#x017F;tehen kann),<lb/>
Plänen, Ge&#x017F;innungen, über alle Gelehrte, und Stadtgeno&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Über &#x017F;ein früheres Leben, &#x017F;eine Lieb&#x017F;chaften, Heirath, Ehe, Frau,<lb/>
Kinder und ihre Erziehung. Über die Art und Wei&#x017F;e wie er<lb/>
&#x017F;eine Arbeiten konzipirt, und unergründlich liebenswürdig was<lb/>
er davon hält; was er noch zu &#x017F;chreiben gedenkt, wie er<lb/>
vieles verfaßte, was er vom Über&#x017F;etzen denkt; von Voß,<lb/>
Schiller, Schleiermacher, Humboldt, Friedrich Schlegel, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Frau und Bruder, Goethe, de&#x017F;&#x017F;en Ehe, und Ge&#x017F;chichte;<lb/>
&#x017F;einem Leben mit ihm; vom Herzog, der Herzogin; Deut&#x017F;ch-<lb/>
land, und &#x017F;eine Meinung darüber (meine Satisfaktion! es<lb/>
war meine.), von Mad. Herz, Frau von Berg, Gräfin<lb/>
Voß, ihrem Mann, Stein und Varnhagen. Kurz, ich kann<lb/>
mich des lebendigen Ge&#x017F;prächs und der Gegen&#x017F;tände nicht al-<lb/>
ler erinnren; für mich Arme fiel es aber doch zu einem Leid<lb/>
aus; mit welchem Jammer bedauerte ich, daß Sie vier Mei-<lb/>
len weit waren, mit welcher An&#x017F;trengung wollt&#x2019; ich alles für<lb/>
Sie behalten. Wie &#x017F;chön &#x017F;prach er über die Wolken! Welche<lb/><hi rendition="#g">Vorrede für mich</hi>! Mit welchem großartigen Zutrauen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">34 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[531/0545] Es hilft Ihnen nicht, mein lieber Marwitz, daß Sie meine ganze Unwiſſenheit überſchaut haben: die gelehrteſten Leute kommen in meine Einſamkeit zu mir, und bleiben von 7 bis dreiviertel auf 11 tête-à-tête bei mir. Der Philologe Wolf that das dieſen Abend. Sie haben ſich nichts mehr zu ſchä- men. Dieſer Mann denn, ſprach dieſe ganze Zeit auf die reichhaltigſte, geiſtreichſte, naiveſte, offenſte Art mit mir. Von allen ſeinen Arbeiten (wovon er mir ſchon morgen die Wol- ken ſchickt, und einen Aufſatz über die deutſche Sprache, und mir alles geben wird, was ich nur irgend verſtehen kann), Plänen, Geſinnungen, über alle Gelehrte, und Stadtgenoſſen. Über ſein früheres Leben, ſeine Liebſchaften, Heirath, Ehe, Frau, Kinder und ihre Erziehung. Über die Art und Weiſe wie er ſeine Arbeiten konzipirt, und unergründlich liebenswürdig was er davon hält; was er noch zu ſchreiben gedenkt, wie er vieles verfaßte, was er vom Überſetzen denkt; von Voß, Schiller, Schleiermacher, Humboldt, Friedrich Schlegel, deſ- ſen Frau und Bruder, Goethe, deſſen Ehe, und Geſchichte; ſeinem Leben mit ihm; vom Herzog, der Herzogin; Deutſch- land, und ſeine Meinung darüber (meine Satisfaktion! es war meine.), von Mad. Herz, Frau von Berg, Gräfin Voß, ihrem Mann, Stein und Varnhagen. Kurz, ich kann mich des lebendigen Geſprächs und der Gegenſtände nicht al- ler erinnren; für mich Arme fiel es aber doch zu einem Leid aus; mit welchem Jammer bedauerte ich, daß Sie vier Mei- len weit waren, mit welcher Anſtrengung wollt’ ich alles für Sie behalten. Wie ſchön ſprach er über die Wolken! Welche Vorrede für mich! Mit welchem großartigen Zutrauen 34 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/545
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/545>, abgerufen am 22.12.2024.