muß ich Abschied von Ihnen nehmen! Mittwoch reise ich. Also bis Dienstag kann ich nur noch Nachricht von Ihnen haben -- erkundigen Sie sich doch nach der Posten Lauf und Ankunft -- schnelle, nahe Nachricht. Wie unangenehm, mich zu entfernen, ohne einen Brief zu entfernen! Vieles habe ich zu besorgen und zu thun. Mir alles Verhaßtes! Schwer wird's mir zu reisen: ich sehe nun, ohne schöne Heimath reist es sich schlecht, und schwer. Thätig sein ohne Glück, und daß ich's sage, ohne irgend eine Hoffnung, ist nur Narren möglich; vom Unwesen sich verzehren, erschlagen lassen wie vom Gewit- ter, das kann man allenfalls in seiner Herzens-morgue; -- wie drückt dies selbstgeschmiedete Wort mein Verhältniß zu den beiden Sprachen aus! -- Ich mag nicht über eine Elende grüblen, oder auch nur schwätzen! Das Wetter ist der größte Reiz! Die Sonne plinkt der Erde zu! bald ist sie da, bald nicht. Lebendig reden Schatten und Licht miteinander. "Wäre nur das Mögliche möglich!" aber auch nicht! Und warum büßt, und bessert man sich nicht schnell, wenn es weiter nichts sein soll! Wenn ein Nahbekannter stirbt, und vorher viel leidet, komme ich immer zu der ergrimmten Talbot'schen Laune. Schon die Dinge im Leben, die nicht schnell und mit einem Effort gelitten und abgemacht werden können, eklen mich, nun gar das ganze heilige Dasein! Warum die edle Seele ein- sperren, und warum sie hoch, und niedrig bis zum unfläthig- sten Kothe kommen lassen, wie Wasser, welches bald Sumpf ist, und die niedrigsten Dienste leistet, bald als luftiger Gebirgs- thau Sonne und Sterne abspiegelt. Leben Sie wohl. Mein ganzes Herz ist mit Ihnen, und sprengt die dicke Rinde des
muß ich Abſchied von Ihnen nehmen! Mittwoch reiſe ich. Alſo bis Dienstag kann ich nur noch Nachricht von Ihnen haben — erkundigen Sie ſich doch nach der Poſten Lauf und Ankunft — ſchnelle, nahe Nachricht. Wie unangenehm, mich zu entfernen, ohne einen Brief zu entfernen! Vieles habe ich zu beſorgen und zu thun. Mir alles Verhaßtes! Schwer wird’s mir zu reiſen: ich ſehe nun, ohne ſchöne Heimath reiſt es ſich ſchlecht, und ſchwer. Thätig ſein ohne Glück, und daß ich’s ſage, ohne irgend eine Hoffnung, iſt nur Narren möglich; vom Unweſen ſich verzehren, erſchlagen laſſen wie vom Gewit- ter, das kann man allenfalls in ſeiner Herzens-morgue; — wie drückt dies ſelbſtgeſchmiedete Wort mein Verhältniß zu den beiden Sprachen aus! — Ich mag nicht über eine Elende grüblen, oder auch nur ſchwätzen! Das Wetter iſt der größte Reiz! Die Sonne plinkt der Erde zu! bald iſt ſie da, bald nicht. Lebendig reden Schatten und Licht miteinander. „Wäre nur das Mögliche möglich!“ aber auch nicht! Und warum büßt, und beſſert man ſich nicht ſchnell, wenn es weiter nichts ſein ſoll! Wenn ein Nahbekannter ſtirbt, und vorher viel leidet, komme ich immer zu der ergrimmten Talbot’ſchen Laune. Schon die Dinge im Leben, die nicht ſchnell und mit einem Effort gelitten und abgemacht werden können, eklen mich, nun gar das ganze heilige Daſein! Warum die edle Seele ein- ſperren, und warum ſie hoch, und niedrig bis zum unfläthig- ſten Kothe kommen laſſen, wie Waſſer, welches bald Sumpf iſt, und die niedrigſten Dienſte leiſtet, bald als luftiger Gebirgs- thau Sonne und Sterne abſpiegelt. Leben Sie wohl. Mein ganzes Herz iſt mit Ihnen, und ſprengt die dicke Rinde des
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muß ich Abſchied von Ihnen nehmen! Mittwoch reiſe ich.
Alſo bis Dienstag kann ich nur noch Nachricht von Ihnen
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Ankunft — ſchnelle, nahe Nachricht. Wie unangenehm, mich
zu entfernen, ohne einen Brief zu entfernen! Vieles habe ich
zu beſorgen und zu thun. Mir alles Verhaßtes! Schwer
wird’s mir zu reiſen: ich ſehe nun, ohne ſchöne Heimath reiſt
es ſich ſchlecht, und ſchwer. Thätig ſein ohne Glück, und daß
ich’s ſage, ohne irgend eine Hoffnung, iſt nur Narren möglich;
vom Unweſen ſich verzehren, erſchlagen laſſen wie vom Gewit-
ter, das kann man allenfalls in ſeiner Herzens-morgue; —
wie drückt dies ſelbſtgeſchmiedete Wort mein Verhältniß zu
den beiden Sprachen aus! — Ich mag nicht über eine Elende
grüblen, oder auch nur ſchwätzen! Das Wetter iſt der größte
Reiz! Die Sonne plinkt der Erde zu! bald iſt ſie da, bald
nicht. Lebendig reden Schatten und Licht miteinander. „Wäre
nur das Mögliche möglich!“ aber auch nicht! Und warum
büßt, und beſſert man ſich nicht ſchnell, wenn es weiter nichts
ſein ſoll! Wenn ein Nahbekannter ſtirbt, und vorher viel
leidet, komme ich immer zu der ergrimmten Talbot’ſchen Laune.
Schon die Dinge im Leben, die nicht ſchnell und mit einem
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gar das ganze heilige Daſein! Warum die edle Seele ein-
ſperren, und warum ſie hoch, und niedrig bis zum unfläthig-
ſten Kothe kommen laſſen, wie Waſſer, welches bald Sumpf
iſt, und die niedrigſten Dienſte leiſtet, bald als luftiger Gebirgs-
thau Sonne und Sterne abſpiegelt. Leben Sie wohl. Mein
ganzes Herz iſt mit Ihnen, und ſprengt die dicke Rinde des
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/532>, abgerufen am 22.12.2024.
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