mir eine große Gabe verliehen; ich habe ein Herz, was außer sich sein kann; keines Menschen Geist ist mehr darauf gestellt, faßt mehr, was Verzweiflen ist, als meiner; will ich aber einen Gegenstand erwägen, alle seine Seiten betrachten, ihn in seinen Beziehungen richten und messen, so legen sich wie durch ein Gottesgebot alle Wellen des hochbewegten Gemüths; und wie auf einem erhabenen Berge allein, vermag ich zu urtheilen und zu beschließen. Nur eine Leidenschaft, Zorn, kann mich da hinabschleudern. -- Es kommt darauf hier an, in dem was wir vor uns haben, genau zu finden was in Ihrem Gemüthe vorgeht; was dies Gemüth durchaus, gestellt in die Menschen- welt, nicht ertragen kann; und genau zu untersuchen und klar hinzustellen, was sie ist diese Welt 1811, und was unser Vaterland in ihr ist. Ich habe jetzt Ihren Brief wieder gele- sen. Sie werden sich der Dilemma's erinnren, die Sie uns darin vorlegten. Eines davon heißt so: "Soll ich mich nun anschließen an die leibliche Seite meines Vaterlandes, die ich erst begeistern, erst einer großen spekulativen Ansicht unter- werfen muß, wenn sie mir nicht ganz gebrechlich und todt er- scheinen soll." Bei welcher Sache in der Welt muß dies ein Mensch wie Sie nicht? Ist irgend in der Welt etwas so, als es der Haufen sieht, der darum, und darin wühlt? Ma- chen die höheren Beziehungen, die wir allein im Innern be- arbeiten, nicht ganz allein das Hohe einer jeden Angelegen- heit, eines jeden Gegenstandes aus? Wie ein Anderer lüder- lich wird, so wollen Sie sich doch nicht in jene Angelegenheit stürzen, nur damit Sie etwas trägt, hebt, und fortbringt, was nicht Sie ist? Sie ist schön diese große Sache, wie Sie sie
mir
mir eine große Gabe verliehen; ich habe ein Herz, was außer ſich ſein kann; keines Menſchen Geiſt iſt mehr darauf geſtellt, faßt mehr, was Verzweiflen iſt, als meiner; will ich aber einen Gegenſtand erwägen, alle ſeine Seiten betrachten, ihn in ſeinen Beziehungen richten und meſſen, ſo legen ſich wie durch ein Gottesgebot alle Wellen des hochbewegten Gemüths; und wie auf einem erhabenen Berge allein, vermag ich zu urtheilen und zu beſchließen. Nur eine Leidenſchaft, Zorn, kann mich da hinabſchleudern. — Es kommt darauf hier an, in dem was wir vor uns haben, genau zu finden was in Ihrem Gemüthe vorgeht; was dies Gemüth durchaus, geſtellt in die Menſchen- welt, nicht ertragen kann; und genau zu unterſuchen und klar hinzuſtellen, was ſie iſt dieſe Welt 1811, und was unſer Vaterland in ihr iſt. Ich habe jetzt Ihren Brief wieder gele- ſen. Sie werden ſich der Dilemma’s erinnren, die Sie uns darin vorlegten. Eines davon heißt ſo: „Soll ich mich nun anſchließen an die leibliche Seite meines Vaterlandes, die ich erſt begeiſtern, erſt einer großen ſpekulativen Anſicht unter- werfen muß, wenn ſie mir nicht ganz gebrechlich und todt er- ſcheinen ſoll.“ Bei welcher Sache in der Welt muß dies ein Menſch wie Sie nicht? Iſt irgend in der Welt etwas ſo, als es der Haufen ſieht, der darum, und darin wühlt? Ma- chen die höheren Beziehungen, die wir allein im Innern be- arbeiten, nicht ganz allein das Hohe einer jeden Angelegen- heit, eines jeden Gegenſtandes aus? Wie ein Anderer lüder- lich wird, ſo wollen Sie ſich doch nicht in jene Angelegenheit ſtürzen, nur damit Sie etwas trägt, hebt, und fortbringt, was nicht Sie iſt? Sie iſt ſchön dieſe große Sache, wie Sie ſie
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mir eine große Gabe verliehen; ich habe ein Herz, was außer
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faßt mehr, was Verzweiflen iſt, als meiner; will ich aber einen
Gegenſtand erwägen, alle ſeine Seiten betrachten, ihn in ſeinen
Beziehungen richten und meſſen, ſo legen ſich wie durch ein
Gottesgebot alle Wellen des hochbewegten Gemüths; und wie
auf einem erhabenen Berge allein, vermag ich zu urtheilen
und zu beſchließen. Nur eine Leidenſchaft, Zorn, kann mich
da hinabſchleudern. — Es kommt darauf hier an, in dem was
wir vor uns haben, genau zu finden was in Ihrem Gemüthe
vorgeht; was dies Gemüth durchaus, geſtellt in die Menſchen-
welt, nicht ertragen kann; und genau zu unterſuchen und
klar hinzuſtellen, was ſie iſt dieſe Welt 1811, und was unſer
Vaterland in ihr iſt. Ich habe jetzt Ihren Brief wieder gele-
ſen. Sie werden ſich der Dilemma’s erinnren, die Sie uns
darin vorlegten. Eines davon heißt ſo: „Soll ich mich nun
anſchließen an die leibliche Seite meines Vaterlandes, die ich
erſt begeiſtern, erſt einer großen ſpekulativen Anſicht unter-
werfen muß, wenn ſie mir nicht ganz gebrechlich und todt er-
ſcheinen ſoll.“ Bei welcher Sache in der Welt muß dies ein
Menſch wie Sie nicht? Iſt irgend in der Welt etwas ſo,
als es der Haufen ſieht, der darum, und darin wühlt? Ma-
chen die höheren Beziehungen, die wir allein im Innern be-
arbeiten, nicht ganz allein das Hohe einer jeden Angelegen-
heit, eines jeden Gegenſtandes aus? Wie ein Anderer lüder-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/526>, abgerufen am 22.12.2024.
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