schen werden Sie nach und nach verstehen, und am Ende sich selbst. Hier springt mir eine Frage vor's Gesicht, die gar nicht hieher zu passen scheint: was lieben Sie denn an mir? So heißt die Frage. Bald sind Sie böse auf mich, bald seh- nen Sie sich nach mir. Noch nie habe ich diesen Widerspruch bewirkt. Am häufigsten bin ich nicht beachtet worden; viel mißachtet; lange, lange nicht geliebt; gehaßt oft; geliebt übernatürlich selten, von Geliebten äußerst kurz, von ein paar Freunden nur; von Freundinnen sehr ernst und sehr lange. Aber auf solche doppelte Weise, wie bei Ihnen, lebt' ich noch in keiner Brust. Eine Zeile Ärger, eine Zeile Sehnsucht, eine Stolz, eine Demuth; bin ich an diesem Wechsel schuld? Überlegen Sie's: ich gebe mich ganz Ihrem Ausspruch. Ich erinnere mich nicht, in Bezug unseres Umgangs, des ferneren, geschrieben zu haben, "daß ich meinen Gefühlen Gewalt an- thue, und nicht handle wie die mir diktiren." Sie sagen "ich habe Unrecht es zu thun, es ist ein Zwang bei dem nichts herauskommt"; und "geniren Sie sich nicht, würden Sie sa- gen, wenn Sie nicht wüßten, daß ich keine Rücksicht auf Sie nehme." Das nennt man den Stuhl vor die Thüre setzen. Aber in demselben Brief laden Sie mich so oft wieder hinein, daß ich mich drinnen glaube. "Heraus" kommt auch etwas, und wären's nur meine letzten beiden Briefe; diesen nicht mit- gerechnet. Ich bilde mir auf mein Wesen nichts Besonderes ein; aber wahr und einfach, weiß ich, daß ich bin, und dies kann ich nicht mit Wissen läugnen lassen. Ich sage stolz von mir wie ich denke: und thue ich bescheiden, so habe ich die Leute nur zum Narren: d. h. ich spreche nach ihren schwachen
ſchen werden Sie nach und nach verſtehen, und am Ende ſich ſelbſt. Hier ſpringt mir eine Frage vor’s Geſicht, die gar nicht hieher zu paſſen ſcheint: was lieben Sie denn an mir? So heißt die Frage. Bald ſind Sie böſe auf mich, bald ſeh- nen Sie ſich nach mir. Noch nie habe ich dieſen Widerſpruch bewirkt. Am häufigſten bin ich nicht beachtet worden; viel mißachtet; lange, lange nicht geliebt; gehaßt oft; geliebt übernatürlich ſelten, von Geliebten äußerſt kurz, von ein paar Freunden nur; von Freundinnen ſehr ernſt und ſehr lange. Aber auf ſolche doppelte Weiſe, wie bei Ihnen, lebt’ ich noch in keiner Bruſt. Eine Zeile Ärger, eine Zeile Sehnſucht, eine Stolz, eine Demuth; bin ich an dieſem Wechſel ſchuld? Überlegen Sie’s: ich gebe mich ganz Ihrem Ausſpruch. Ich erinnere mich nicht, in Bezug unſeres Umgangs, des ferneren, geſchrieben zu haben, „daß ich meinen Gefühlen Gewalt an- thue, und nicht handle wie die mir diktiren.“ Sie ſagen „ich habe Unrecht es zu thun, es iſt ein Zwang bei dem nichts herauskommt“; und „geniren Sie ſich nicht, würden Sie ſa- gen, wenn Sie nicht wüßten, daß ich keine Rückſicht auf Sie nehme.“ Das nennt man den Stuhl vor die Thüre ſetzen. Aber in demſelben Brief laden Sie mich ſo oft wieder hinein, daß ich mich drinnen glaube. „Heraus“ kommt auch etwas, und wären’s nur meine letzten beiden Briefe; dieſen nicht mit- gerechnet. Ich bilde mir auf mein Weſen nichts Beſonderes ein; aber wahr und einfach, weiß ich, daß ich bin, und dies kann ich nicht mit Wiſſen läugnen laſſen. Ich ſage ſtolz von mir wie ich denke: und thue ich beſcheiden, ſo habe ich die Leute nur zum Narren: d. h. ich ſpreche nach ihren ſchwachen
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ſchen werden Sie nach und nach verſtehen, und am Ende ſich
ſelbſt. Hier ſpringt mir eine Frage vor’s Geſicht, die gar
nicht hieher zu paſſen ſcheint: was lieben Sie denn an mir?
So heißt die Frage. Bald ſind Sie böſe auf mich, bald ſeh-
nen Sie ſich nach mir. Noch nie habe ich dieſen Widerſpruch
bewirkt. Am häufigſten bin ich nicht beachtet worden; viel
mißachtet; lange, lange nicht geliebt; gehaßt oft; geliebt
übernatürlich ſelten, von Geliebten äußerſt kurz, von ein paar
Freunden nur; von Freundinnen ſehr ernſt und ſehr lange.
Aber auf ſolche doppelte Weiſe, wie bei Ihnen, lebt’ ich noch
in keiner Bruſt. Eine Zeile Ärger, eine Zeile Sehnſucht, eine
Stolz, eine Demuth; bin ich an dieſem Wechſel ſchuld?
Überlegen Sie’s: ich gebe mich ganz Ihrem Ausſpruch. Ich
erinnere mich nicht, in Bezug unſeres Umgangs, des ferneren,
geſchrieben zu haben, „daß ich meinen Gefühlen Gewalt an-
thue, und nicht handle wie die mir diktiren.“ Sie ſagen „ich
habe Unrecht es zu thun, es iſt ein Zwang bei dem nichts
herauskommt“; und „geniren Sie ſich nicht, würden Sie ſa-
gen, wenn Sie nicht wüßten, daß ich keine Rückſicht auf Sie
nehme.“ Das nennt man den Stuhl vor die Thüre ſetzen.
Aber in demſelben Brief laden Sie mich ſo oft wieder hinein,
daß ich mich drinnen glaube. „Heraus“ kommt auch etwas,
und wären’s nur meine letzten beiden Briefe; dieſen nicht mit-
gerechnet. Ich bilde mir auf mein Weſen nichts Beſonderes
ein; aber wahr und einfach, weiß ich, daß ich bin, und dies
kann ich nicht mit Wiſſen läugnen laſſen. Ich ſage ſtolz von
mir wie ich denke: und thue ich beſcheiden, ſo habe ich die
Leute nur zum Narren: d. h. ich ſpreche nach ihren ſchwachen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/499>, abgerufen am 22.12.2024.
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