zu ihrem und der Menschen Bewußtsein; unglückliche, zer- schellen; mich trugen Gedanken und Unschuld, als ich zer- schellt schon war, empor, zwischen Himmel und Erde. Kurz, wie es mit mir ist, kann ich nicht sagen; ich will nichts mehr. Kein Plan, kein Bild; es schwankt und schwindet die Erde mit den Lebensgütern; der Lebensschatz ist alles! Sehen, lie- ben, verstehen, nichts wollen, unschuldig sich fügen. Das große Sein verehren, nicht hämmern, erfinden und bessern wollen: und lustig sein, und immer güter! So wie ich war und werde, mögen meine Brüder mich sehen! Ich aber selbst will aus meinen Briefen alles suchen, und verwerfen; und nicht in vier- zig, fünfzig Jahren, wie du der Guten schreibst, sondern viel früher; ich will noch leben, wenn man's liest. Ich mache mir nichts aus der Welt. Ich habe keinen Plan; wer den nicht auszuführen hat, hat keine Rücksicht; und Schande kann ich nicht haben: Schande, die mir das Leben hemmte; andere achte ich, wie du weißt, nicht. Nur meine Billigung ist mir nöthig und wichtig. Adieu, Lieber! Diesen Sommer, und das früh, und wahrscheinlich sehr bald, komme ich nach Töplitz, und auch wohl vorher nach Prag.
Lebe wohl! R. L.
Freitag, den 9. März 1810.
Unglück bringt Schande; Glück Ehre. Es ist heute sehr schönes Frühlingswetter. Ich bin gepeinigt, und darf den Frühling nicht empfangen, wie ich könnte.
30 *
zu ihrem und der Menſchen Bewußtſein; unglückliche, zer- ſchellen; mich trugen Gedanken und Unſchuld, als ich zer- ſchellt ſchon war, empor, zwiſchen Himmel und Erde. Kurz, wie es mit mir iſt, kann ich nicht ſagen; ich will nichts mehr. Kein Plan, kein Bild; es ſchwankt und ſchwindet die Erde mit den Lebensgütern; der Lebensſchatz iſt alles! Sehen, lie- ben, verſtehen, nichts wollen, unſchuldig ſich fügen. Das große Sein verehren, nicht hämmern, erfinden und beſſern wollen: und luſtig ſein, und immer güter! So wie ich war und werde, mögen meine Brüder mich ſehen! Ich aber ſelbſt will aus meinen Briefen alles ſuchen, und verwerfen; und nicht in vier- zig, fünfzig Jahren, wie du der Guten ſchreibſt, ſondern viel früher; ich will noch leben, wenn man’s lieſt. Ich mache mir nichts aus der Welt. Ich habe keinen Plan; wer den nicht auszuführen hat, hat keine Rückſicht; und Schande kann ich nicht haben: Schande, die mir das Leben hemmte; andere achte ich, wie du weißt, nicht. Nur meine Billigung iſt mir nöthig und wichtig. Adieu, Lieber! Dieſen Sommer, und das früh, und wahrſcheinlich ſehr bald, komme ich nach Töplitz, und auch wohl vorher nach Prag.
Lebe wohl! R. L.
Freitag, den 9. März 1810.
Unglück bringt Schande; Glück Ehre. Es iſt heute ſehr ſchönes Frühlingswetter. Ich bin gepeinigt, und darf den Frühling nicht empfangen, wie ich könnte.
30 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0481"n="467"/>
zu ihrem und der Menſchen Bewußtſein; unglückliche, zer-<lb/>ſchellen; mich trugen Gedanken und Unſchuld, als ich zer-<lb/>ſchellt ſchon war, empor, zwiſchen Himmel und Erde. Kurz,<lb/>
wie es mit mir iſt, kann ich nicht ſagen; ich will nichts mehr.<lb/>
Kein Plan, kein Bild; es ſchwankt und ſchwindet die Erde<lb/>
mit den Lebensgütern; der Lebensſchatz iſt alles! Sehen, lie-<lb/>
ben, verſtehen, nichts wollen, unſchuldig ſich fügen. Das große<lb/>
Sein verehren, nicht hämmern, erfinden und beſſern wollen:<lb/>
und luſtig ſein, und immer güter! So wie ich war und werde,<lb/>
mögen meine Brüder mich ſehen! Ich aber ſelbſt will aus<lb/>
meinen Briefen alles ſuchen, und verwerfen; und nicht in vier-<lb/>
zig, fünfzig Jahren, wie du der Guten ſchreibſt, ſondern viel<lb/>
früher; ich will noch leben, wenn man’s lieſt. Ich <hirendition="#g">mache</hi><lb/>
mir nichts aus der Welt. Ich habe keinen <hirendition="#g">Plan</hi>; wer den<lb/>
nicht auszuführen hat, hat keine Rückſicht; und Schande kann<lb/>
ich nicht haben: Schande, die mir das Leben hemmte; andere<lb/>
achte ich, wie du weißt, nicht. Nur <hirendition="#g">meine</hi> Billigung iſt mir<lb/>
nöthig und wichtig. Adieu, Lieber! Dieſen Sommer, und das<lb/>
früh, und wahrſcheinlich ſehr bald, komme ich nach Töplitz,<lb/>
und auch wohl vorher nach Prag.</p><closer><salute>Lebe wohl! <hirendition="#et">R. L.</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Freitag, den 9. März 1810.</hi></dateline><lb/><p>Unglück bringt Schande; Glück Ehre. Es iſt heute ſehr<lb/>ſchönes Frühlingswetter. Ich bin gepeinigt, und darf den<lb/>
Frühling nicht empfangen, wie ich könnte.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><fwplace="bottom"type="sig">30 *</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[467/0481]
zu ihrem und der Menſchen Bewußtſein; unglückliche, zer-
ſchellen; mich trugen Gedanken und Unſchuld, als ich zer-
ſchellt ſchon war, empor, zwiſchen Himmel und Erde. Kurz,
wie es mit mir iſt, kann ich nicht ſagen; ich will nichts mehr.
Kein Plan, kein Bild; es ſchwankt und ſchwindet die Erde
mit den Lebensgütern; der Lebensſchatz iſt alles! Sehen, lie-
ben, verſtehen, nichts wollen, unſchuldig ſich fügen. Das große
Sein verehren, nicht hämmern, erfinden und beſſern wollen:
und luſtig ſein, und immer güter! So wie ich war und werde,
mögen meine Brüder mich ſehen! Ich aber ſelbſt will aus
meinen Briefen alles ſuchen, und verwerfen; und nicht in vier-
zig, fünfzig Jahren, wie du der Guten ſchreibſt, ſondern viel
früher; ich will noch leben, wenn man’s lieſt. Ich mache
mir nichts aus der Welt. Ich habe keinen Plan; wer den
nicht auszuführen hat, hat keine Rückſicht; und Schande kann
ich nicht haben: Schande, die mir das Leben hemmte; andere
achte ich, wie du weißt, nicht. Nur meine Billigung iſt mir
nöthig und wichtig. Adieu, Lieber! Dieſen Sommer, und das
früh, und wahrſcheinlich ſehr bald, komme ich nach Töplitz,
und auch wohl vorher nach Prag.
Lebe wohl! R. L.
Freitag, den 9. März 1810.
Unglück bringt Schande; Glück Ehre. Es iſt heute ſehr
ſchönes Frühlingswetter. Ich bin gepeinigt, und darf den
Frühling nicht empfangen, wie ich könnte.
30 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/481>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.