Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gesichert, und mit den Worten auf dem Umschlag: "Lesen Sie
den Brief, Liebste! und lassen Sie mir sagen, ob Sie wohl
einmal schreiben. Ich bin ganz beschämt!" Nun spreche ich
es ihr noch zurechte! Kurz, es muß ihr wohl sein -- in der
Schale -- und sie muß mich nicht quälen! Und nun von uns.
Keiner von uns will mehr, daß mein ehrliches Leben auch ge-
schaut werde von solchen, die es selbst sind; und genug findet
man immer, unter Deutschlands Lesern, wenn man nur druk-
ken läßt. Immerfort erzeugt die Erde auch wieder solche.
Ich weiß, welche Freude, welches Behagen mir ein Fünkchen
Wahrheit in einer Schrift aufbewahrt macht! Nur davon be-
kömmt die Vergangenheit Leben, die Gegenwart Festigkeit;
und einen künstlerischen Standpunkt, betrachtet zu werden;
nur Empfindungen, Betrachtungen durch eine Historie erregt,
schaffen Muße, Götterzeit, und Freiheit; wo sonst nur allein
Stoßen und Dringen und Drängen, und schwindliches Sehen
und Thun möglich ist; im wirklichen Leben des bedingten be-
schränkten Tages, wie er vor uns steht! Nicht weil es mein
Leben ist, aber weil es ein wahres ist; weil ich auch vieles
um mich her oft, mit kleinen unbeabsichtigten Zügen, für For-
scher, wie z. E. ich einer bin, wahr, und sogar geschicht-er-
gänzend aussprach. Und endlich, weil ich ein Kraftstück der
Natur bin, ein Eckmensch in ihrem Gebilde der Menschheit,
weil sie mich hinwarf, nicht legte, zum grimmigen Kampf mit
dem, was das Schicksal nur konnte verabfolgen lassen; jeder
Kampfgesell der Natur, der größern Geschichte, ist in einen
Geschichtsmoment geworfen, wo er kämpfen muß, wie bei einem
Thiergefecht in der Arene; glückliche Veteranen, wirken weiter,

geſichert, und mit den Worten auf dem Umſchlag: „Leſen Sie
den Brief, Liebſte! und laſſen Sie mir ſagen, ob Sie wohl
einmal ſchreiben. Ich bin ganz beſchämt!“ Nun ſpreche ich
es ihr noch zurechte! Kurz, es muß ihr wohl ſein — in der
Schale — und ſie muß mich nicht quälen! Und nun von uns.
Keiner von uns will mehr, daß mein ehrliches Leben auch ge-
ſchaut werde von ſolchen, die es ſelbſt ſind; und genug findet
man immer, unter Deutſchlands Leſern, wenn man nur druk-
ken läßt. Immerfort erzeugt die Erde auch wieder ſolche.
Ich weiß, welche Freude, welches Behagen mir ein Fünkchen
Wahrheit in einer Schrift aufbewahrt macht! Nur davon be-
kömmt die Vergangenheit Leben, die Gegenwart Feſtigkeit;
und einen künſtleriſchen Standpunkt, betrachtet zu werden;
nur Empfindungen, Betrachtungen durch eine Hiſtorie erregt,
ſchaffen Muße, Götterzeit, und Freiheit; wo ſonſt nur allein
Stoßen und Dringen und Drängen, und ſchwindliches Sehen
und Thun möglich iſt; im wirklichen Leben des bedingten be-
ſchränkten Tages, wie er vor uns ſteht! Nicht weil es mein
Leben iſt, aber weil es ein wahres iſt; weil ich auch vieles
um mich her oft, mit kleinen unbeabſichtigten Zügen, für For-
ſcher, wie z. E. ich einer bin, wahr, und ſogar geſchicht-er-
gänzend ausſprach. Und endlich, weil ich ein Kraftſtück der
Natur bin, ein Eckmenſch in ihrem Gebilde der Menſchheit,
weil ſie mich hinwarf, nicht legte, zum grimmigen Kampf mit
dem, was das Schickſal nur konnte verabfolgen laſſen; jeder
Kampfgeſell der Natur, der größern Geſchichte, iſt in einen
Geſchichtsmoment geworfen, wo er kämpfen muß, wie bei einem
Thiergefecht in der Arene; glückliche Veteranen, wirken weiter,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0480" n="466"/>
ge&#x017F;ichert, und mit den Worten auf dem Um&#x017F;chlag: &#x201E;Le&#x017F;en Sie<lb/>
den Brief, Lieb&#x017F;te! und la&#x017F;&#x017F;en Sie mir &#x017F;agen, ob Sie wohl<lb/>
einmal &#x017F;chreiben. Ich bin ganz be&#x017F;chämt!&#x201C; Nun &#x017F;preche ich<lb/>
es ihr noch zurechte! Kurz, es muß ihr wohl &#x017F;ein &#x2014; in der<lb/>
Schale &#x2014; und &#x017F;ie muß mich nicht quälen! Und nun von uns.<lb/>
Keiner von uns will mehr, daß mein ehrliches Leben auch ge-<lb/>
&#x017F;chaut werde von &#x017F;olchen, die es &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind; und genug findet<lb/>
man immer, unter Deut&#x017F;chlands Le&#x017F;ern, wenn man nur druk-<lb/>
ken läßt. Immerfort erzeugt die Erde auch wieder &#x017F;olche.<lb/>
Ich weiß, welche Freude, welches Behagen mir ein Fünkchen<lb/>
Wahrheit in einer Schrift aufbewahrt macht! Nur davon be-<lb/>
kömmt die Vergangenheit Leben, die Gegenwart Fe&#x017F;tigkeit;<lb/>
und einen kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Standpunkt, betrachtet zu werden;<lb/>
nur Empfindungen, Betrachtungen durch eine Hi&#x017F;torie erregt,<lb/>
&#x017F;chaffen Muße, Götterzeit, und Freiheit; wo &#x017F;on&#x017F;t nur allein<lb/>
Stoßen und Dringen und Drängen, und &#x017F;chwindliches Sehen<lb/>
und Thun möglich i&#x017F;t; im wirklichen Leben des bedingten be-<lb/>
&#x017F;chränkten Tages, wie er vor uns &#x017F;teht! Nicht weil es mein<lb/>
Leben i&#x017F;t, aber weil es ein wahres i&#x017F;t; weil ich auch vieles<lb/>
um mich her oft, mit kleinen unbeab&#x017F;ichtigten Zügen, für For-<lb/>
&#x017F;cher, wie z. E. ich einer bin, wahr, und &#x017F;ogar ge&#x017F;chicht-er-<lb/>
gänzend aus&#x017F;prach. Und endlich, weil ich ein Kraft&#x017F;tück der<lb/>
Natur bin, ein Eckmen&#x017F;ch in ihrem Gebilde der Men&#x017F;chheit,<lb/>
weil &#x017F;ie mich hinwarf, nicht legte, zum grimmigen Kampf mit<lb/>
dem, was das Schick&#x017F;al nur konnte verabfolgen la&#x017F;&#x017F;en; jeder<lb/>
Kampfge&#x017F;ell der Natur, der größern Ge&#x017F;chichte, i&#x017F;t in einen<lb/>
Ge&#x017F;chichtsmoment geworfen, wo er kämpfen muß, wie bei einem<lb/>
Thiergefecht in der Arene; glückliche Veteranen, wirken weiter,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[466/0480] geſichert, und mit den Worten auf dem Umſchlag: „Leſen Sie den Brief, Liebſte! und laſſen Sie mir ſagen, ob Sie wohl einmal ſchreiben. Ich bin ganz beſchämt!“ Nun ſpreche ich es ihr noch zurechte! Kurz, es muß ihr wohl ſein — in der Schale — und ſie muß mich nicht quälen! Und nun von uns. Keiner von uns will mehr, daß mein ehrliches Leben auch ge- ſchaut werde von ſolchen, die es ſelbſt ſind; und genug findet man immer, unter Deutſchlands Leſern, wenn man nur druk- ken läßt. Immerfort erzeugt die Erde auch wieder ſolche. Ich weiß, welche Freude, welches Behagen mir ein Fünkchen Wahrheit in einer Schrift aufbewahrt macht! Nur davon be- kömmt die Vergangenheit Leben, die Gegenwart Feſtigkeit; und einen künſtleriſchen Standpunkt, betrachtet zu werden; nur Empfindungen, Betrachtungen durch eine Hiſtorie erregt, ſchaffen Muße, Götterzeit, und Freiheit; wo ſonſt nur allein Stoßen und Dringen und Drängen, und ſchwindliches Sehen und Thun möglich iſt; im wirklichen Leben des bedingten be- ſchränkten Tages, wie er vor uns ſteht! Nicht weil es mein Leben iſt, aber weil es ein wahres iſt; weil ich auch vieles um mich her oft, mit kleinen unbeabſichtigten Zügen, für For- ſcher, wie z. E. ich einer bin, wahr, und ſogar geſchicht-er- gänzend ausſprach. Und endlich, weil ich ein Kraftſtück der Natur bin, ein Eckmenſch in ihrem Gebilde der Menſchheit, weil ſie mich hinwarf, nicht legte, zum grimmigen Kampf mit dem, was das Schickſal nur konnte verabfolgen laſſen; jeder Kampfgeſell der Natur, der größern Geſchichte, iſt in einen Geſchichtsmoment geworfen, wo er kämpfen muß, wie bei einem Thiergefecht in der Arene; glückliche Veteranen, wirken weiter,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/480
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/480>, abgerufen am 22.12.2024.