daß ich nicht ärmer werde und nicht in mehr Unordnung komme. Solche sind nicht für mich; und nur in dem Fall erträglich, wenn ich einem Andern dadurch Ordnung in sein materielles Leben schaffe; ist's aber nur für mich, daß ich Listen machen, rechnen, zählen, besprechen, verschließen, etwas zan- ken, bezahlen, besorgen soll: so bin ich meine eigene Dienst- magd. Kommt nun noch dazu, daß ich seit fünfzehn Jahren es mit Mühe, Recht, und Vernunft nicht habe dahin bringen können, dem Einmal nicht ausgesetzt zu sein: daß ich es ewig befürchtet habe, und daß es ärger noch eingetroffen ist: daß ich sonst noch ein Verhältniß habe, das mich kleinlich in die Tagesaugenblicke hinein quält, und mich auf Groschen rech- nen macht, so ist's ein Wunder, daß ich Ihnen schreibe; daß ich die Numancia so beherzigt habe. Künftig von ihr -- die mir göttlich gefällt! -- und von Goethens Roman.
Ihr Kind war hier! das konnten Sie mir nicht einen Augenblick schicken? Sie hätten doch wahrhaftig die acht Meilen fahren können, bloß um es mir zu bringen. Ich ver- göttre Kinder. -- Kommen Sie her! Schönere Briefe als Sie schreibt kein Mensch. Die Handschrift muß sich ordentlich nach den köstlich-fallenden Worten richten; die wie Sommer- Regentropfen sanft, groß, dicht, in gesetzmäßiger Ordnung, und eben daher natürlich, erquicklich, unschuldig, kühlend, aus Sommer erzeugt, niederfallen, sich niederlegen! Wo bekom- men Sie die Ruhe her, die Innigkeit so sanft ausfließen zu lassen! Sie Bösewicht: Sie nehmen einem die Talente alle weg. Niemand, lieber Fouque, goutirt Ihre Briefe so, als ich rasender Kritiker. Sprechen Sie zu mir: ich verdiene es
daß ich nicht ärmer werde und nicht in mehr Unordnung komme. Solche ſind nicht für mich; und nur in dem Fall erträglich, wenn ich einem Andern dadurch Ordnung in ſein materielles Leben ſchaffe; iſt’s aber nur für mich, daß ich Liſten machen, rechnen, zählen, beſprechen, verſchließen, etwas zan- ken, bezahlen, beſorgen ſoll: ſo bin ich meine eigene Dienſt- magd. Kommt nun noch dazu, daß ich ſeit fünfzehn Jahren es mit Mühe, Recht, und Vernunft nicht habe dahin bringen können, dem Einmal nicht ausgeſetzt zu ſein: daß ich es ewig befürchtet habe, und daß es ärger noch eingetroffen iſt: daß ich ſonſt noch ein Verhältniß habe, das mich kleinlich in die Tagesaugenblicke hinein quält, und mich auf Groſchen rech- nen macht, ſo iſt’s ein Wunder, daß ich Ihnen ſchreibe; daß ich die Numancia ſo beherzigt habe. Künftig von ihr — die mir göttlich gefällt! — und von Goethens Roman.
Ihr Kind war hier! das konnten Sie mir nicht einen Augenblick ſchicken? Sie hätten doch wahrhaftig die acht Meilen fahren können, bloß um es mir zu bringen. Ich ver- göttre Kinder. — Kommen Sie her! Schönere Briefe als Sie ſchreibt kein Menſch. Die Handſchrift muß ſich ordentlich nach den köſtlich-fallenden Worten richten; die wie Sommer- Regentropfen ſanft, groß, dicht, in geſetzmäßiger Ordnung, und eben daher natürlich, erquicklich, unſchuldig, kühlend, aus Sommer erzeugt, niederfallen, ſich niederlegen! Wo bekom- men Sie die Ruhe her, die Innigkeit ſo ſanft ausfließen zu laſſen! Sie Böſewicht: Sie nehmen einem die Talente alle weg. Niemand, lieber Fouqué, goutirt Ihre Briefe ſo, als ich raſender Kritiker. Sprechen Sie zu mir: ich verdiene es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0466"n="452"/>
daß ich nicht <hirendition="#g">ärmer</hi> werde und nicht in mehr Unordnung<lb/>
komme. Solche ſind nicht für mich; und nur in dem Fall<lb/>
erträglich, wenn ich einem Andern dadurch Ordnung in ſein<lb/>
materielles Leben ſchaffe; iſt’s aber nur für mich, daß ich Liſten<lb/>
machen, rechnen, zählen, beſprechen, verſchließen, etwas zan-<lb/>
ken, bezahlen, beſorgen ſoll: ſo bin ich meine eigene Dienſt-<lb/>
magd. Kommt nun noch dazu, daß ich ſeit fünfzehn Jahren<lb/>
es mit Mühe, Recht, und Vernunft nicht habe dahin bringen<lb/>
können, dem Einmal <hirendition="#g">nicht</hi> ausgeſetzt zu ſein: daß ich es ewig<lb/>
befürchtet habe, und daß es ärger noch eingetroffen iſt: daß<lb/>
ich ſonſt noch ein Verhältniß habe, das mich kleinlich in die<lb/>
Tagesaugenblicke hinein quält, und mich auf <hirendition="#g">Groſchen</hi> rech-<lb/>
nen macht, ſo iſt’s ein Wunder, daß ich Ihnen ſchreibe; daß<lb/>
ich die Numancia ſo beherzigt habe. Künftig von ihr — die<lb/>
mir <hirendition="#g">göttlich</hi> gefällt! — und von Goethens Roman.</p><lb/><p>Ihr Kind war hier! <hirendition="#g">das</hi> konnten Sie mir nicht einen<lb/>
Augenblick ſchicken? Sie hätten doch wahrhaftig die acht<lb/>
Meilen fahren können, bloß um es mir zu bringen. Ich ver-<lb/>
göttre Kinder. — Kommen Sie her! Schönere Briefe als Sie<lb/>ſchreibt kein Menſch. Die Handſchrift muß ſich ordentlich<lb/>
nach den köſtlich-fallenden Worten richten; die wie Sommer-<lb/>
Regentropfen ſanft, groß, dicht, in geſetzmäßiger Ordnung,<lb/>
und eben daher natürlich, erquicklich, unſchuldig, kühlend, aus<lb/>
Sommer erzeugt, niederfallen, ſich niederlegen! Wo bekom-<lb/>
men Sie die Ruhe her, die Innigkeit ſo ſanft ausfließen zu<lb/>
laſſen! Sie Böſewicht: Sie nehmen einem die Talente alle<lb/>
weg. Niemand, lieber Fouqu<hirendition="#aq">é</hi>, goutirt Ihre Briefe ſo, als<lb/>
ich raſender Kritiker. Sprechen Sie zu mir: ich verdiene es<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[452/0466]
daß ich nicht ärmer werde und nicht in mehr Unordnung
komme. Solche ſind nicht für mich; und nur in dem Fall
erträglich, wenn ich einem Andern dadurch Ordnung in ſein
materielles Leben ſchaffe; iſt’s aber nur für mich, daß ich Liſten
machen, rechnen, zählen, beſprechen, verſchließen, etwas zan-
ken, bezahlen, beſorgen ſoll: ſo bin ich meine eigene Dienſt-
magd. Kommt nun noch dazu, daß ich ſeit fünfzehn Jahren
es mit Mühe, Recht, und Vernunft nicht habe dahin bringen
können, dem Einmal nicht ausgeſetzt zu ſein: daß ich es ewig
befürchtet habe, und daß es ärger noch eingetroffen iſt: daß
ich ſonſt noch ein Verhältniß habe, das mich kleinlich in die
Tagesaugenblicke hinein quält, und mich auf Groſchen rech-
nen macht, ſo iſt’s ein Wunder, daß ich Ihnen ſchreibe; daß
ich die Numancia ſo beherzigt habe. Künftig von ihr — die
mir göttlich gefällt! — und von Goethens Roman.
Ihr Kind war hier! das konnten Sie mir nicht einen
Augenblick ſchicken? Sie hätten doch wahrhaftig die acht
Meilen fahren können, bloß um es mir zu bringen. Ich ver-
göttre Kinder. — Kommen Sie her! Schönere Briefe als Sie
ſchreibt kein Menſch. Die Handſchrift muß ſich ordentlich
nach den köſtlich-fallenden Worten richten; die wie Sommer-
Regentropfen ſanft, groß, dicht, in geſetzmäßiger Ordnung,
und eben daher natürlich, erquicklich, unſchuldig, kühlend, aus
Sommer erzeugt, niederfallen, ſich niederlegen! Wo bekom-
men Sie die Ruhe her, die Innigkeit ſo ſanft ausfließen zu
laſſen! Sie Böſewicht: Sie nehmen einem die Talente alle
weg. Niemand, lieber Fouqué, goutirt Ihre Briefe ſo, als
ich raſender Kritiker. Sprechen Sie zu mir: ich verdiene es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/466>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.