Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

titlen wie sie wollen! Und weiß er denn nicht, einen Titel
besessen haben, heißt ihn ewig tragen! -- ewig, wenn er
uns nicht entehrend wegen einer ehrwidrigen That entnom-
men ist; und auch dann bleibt uns noch sein Abglanz, so
hoch haben die Menschen ihre Lenker und Regierer über
sich gestellt. Was will dein Freund? gegen seines Landes
Schicksal kann nur ein kriegrischer Held handlen: und auch
denen streiten es Geschichtsphilosophen ab: er selbst sei nur
ein Werkzeug des Schicksals, sagen sie. Muß nicht anerkannt
werden, was er gethan hat, durch seine Wirkung? Und ist
ihm an anderm Anerkennen wohl gelegen; ist nicht grade die
rohe Menge, eben weil sie roh ist, unfähig, unser Thun zu
erkennen? Sollte es ihm anders, als Jesus, Moses, Friedrich,
und -- Gott weiß die Namen aller Führer und Gesetzgeber,
gehen? Wer sein Pflugeisen in Einrichtungen umhertreibt, wer
Gesetze aufhäuft, zur Saat, dessen Ernte erleben nur künftige
Geschlechter. Geht's doch jedem nur irgend thätigen Privat-
menschen eben so! Wenn ich Meines erzählen sollte! -- --
Mündlich einmal; und kurz. Und findet er sich unbequem auf
dem Boden, wo seine Mutter ihn hingesetzt hat, so glaube er sich
nicht festgeklebt; die Natur hat uns Füße und Neugierde ge-
geben, die ganze Erde zu kennen: für unsern Geist ist das
Stückchen Rund ohnehin zu klein; bringen wir's nicht mit dem
Firmament in Verbindung, und wollen dem Urgeiste selbst seine
Schöpfungskünste weglauren und uns vordoziren? Mit Klug-
heit und Vorsicht versuche man einen andern Fleck Erde, wenn
einem der alte sehr zuwider ist. Aber behutsam! Ich liebe
Frankreich; und wenn mir Gott erlaubt, noch Einmal so

titlen wie ſie wollen! Und weiß er denn nicht, einen Titel
beſeſſen haben, heißt ihn ewig tragen! — ewig, wenn er
uns nicht entehrend wegen einer ehrwidrigen That entnom-
men iſt; und auch dann bleibt uns noch ſein Abglanz, ſo
hoch haben die Menſchen ihre Lenker und Regierer über
ſich geſtellt. Was will dein Freund? gegen ſeines Landes
Schickſal kann nur ein kriegriſcher Held handlen: und auch
denen ſtreiten es Geſchichtsphiloſophen ab: er ſelbſt ſei nur
ein Werkzeug des Schickſals, ſagen ſie. Muß nicht anerkannt
werden, was er gethan hat, durch ſeine Wirkung? Und iſt
ihm an anderm Anerkennen wohl gelegen; iſt nicht grade die
rohe Menge, eben weil ſie roh iſt, unfähig, unſer Thun zu
erkennen? Sollte es ihm anders, als Jeſus, Moſes, Friedrich,
und — Gott weiß die Namen aller Führer und Geſetzgeber,
gehen? Wer ſein Pflugeiſen in Einrichtungen umhertreibt, wer
Geſetze aufhäuft, zur Saat, deſſen Ernte erleben nur künftige
Geſchlechter. Geht’s doch jedem nur irgend thätigen Privat-
menſchen eben ſo! Wenn ich Meines erzählen ſollte! — —
Mündlich einmal; und kurz. Und findet er ſich unbequem auf
dem Boden, wo ſeine Mutter ihn hingeſetzt hat, ſo glaube er ſich
nicht feſtgeklebt; die Natur hat uns Füße und Neugierde ge-
geben, die ganze Erde zu kennen: für unſern Geiſt iſt das
Stückchen Rund ohnehin zu klein; bringen wir’s nicht mit dem
Firmament in Verbindung, und wollen dem Urgeiſte ſelbſt ſeine
Schöpfungskünſte weglauren und uns vordoziren? Mit Klug-
heit und Vorſicht verſuche man einen andern Fleck Erde, wenn
einem der alte ſehr zuwider iſt. Aber behutſam! Ich liebe
Frankreich; und wenn mir Gott erlaubt, noch Einmal ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0460" n="446"/>
titlen wie &#x017F;ie wollen! Und weiß er denn nicht, einen Titel<lb/>
be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en haben, heißt ihn ewig tragen! &#x2014; ewig, wenn er<lb/>
uns nicht entehrend wegen einer ehrwidrigen That entnom-<lb/>
men i&#x017F;t; und auch dann bleibt uns noch &#x017F;ein Abglanz, &#x017F;o<lb/>
hoch haben die Men&#x017F;chen ihre Lenker und Regierer über<lb/>
&#x017F;ich ge&#x017F;tellt. Was will dein Freund? gegen &#x017F;eines Landes<lb/>
Schick&#x017F;al kann nur ein kriegri&#x017F;cher Held handlen: und auch<lb/>
denen &#x017F;treiten es Ge&#x017F;chichtsphilo&#x017F;ophen ab: er &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ei nur<lb/>
ein Werkzeug des Schick&#x017F;als, &#x017F;agen &#x017F;ie. Muß nicht anerkannt<lb/>
werden, was er gethan hat, durch &#x017F;eine Wirkung? Und i&#x017F;t<lb/>
ihm an anderm Anerkennen wohl gelegen; i&#x017F;t nicht grade die<lb/>
rohe Menge, eben weil &#x017F;ie roh i&#x017F;t, unfähig, un&#x017F;er Thun zu<lb/>
erkennen? Sollte es ihm anders, als Je&#x017F;us, Mo&#x017F;es, Friedrich,<lb/>
und &#x2014; Gott weiß die Namen aller Führer und Ge&#x017F;etzgeber,<lb/>
gehen? Wer &#x017F;ein Pflugei&#x017F;en in Einrichtungen umhertreibt, wer<lb/>
Ge&#x017F;etze aufhäuft, zur Saat, de&#x017F;&#x017F;en Ernte erleben nur künftige<lb/>
Ge&#x017F;chlechter. Geht&#x2019;s doch jedem nur irgend thätigen Privat-<lb/>
men&#x017F;chen eben &#x017F;o! Wenn ich Meines erzählen &#x017F;ollte! &#x2014; &#x2014;<lb/>
Mündlich einmal; und kurz. Und findet er &#x017F;ich unbequem auf<lb/>
dem Boden, wo &#x017F;eine Mutter ihn hinge&#x017F;etzt hat, &#x017F;o glaube er &#x017F;ich<lb/>
nicht fe&#x017F;tgeklebt; die Natur hat uns Füße und Neugierde ge-<lb/>
geben, die ganze Erde zu kennen: für un&#x017F;ern Gei&#x017F;t i&#x017F;t das<lb/>
Stückchen Rund ohnehin zu klein; bringen wir&#x2019;s nicht mit dem<lb/>
Firmament in Verbindung, und wollen dem Urgei&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine<lb/>
Schöpfungskün&#x017F;te weglauren und uns vordoziren? Mit Klug-<lb/>
heit und Vor&#x017F;icht ver&#x017F;uche man einen andern Fleck Erde, wenn<lb/>
einem der alte &#x017F;ehr zuwider i&#x017F;t. Aber behut&#x017F;am! Ich liebe<lb/>
Frankreich; und wenn mir Gott erlaubt, noch <hi rendition="#g">Einmal</hi> &#x017F;o<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0460] titlen wie ſie wollen! Und weiß er denn nicht, einen Titel beſeſſen haben, heißt ihn ewig tragen! — ewig, wenn er uns nicht entehrend wegen einer ehrwidrigen That entnom- men iſt; und auch dann bleibt uns noch ſein Abglanz, ſo hoch haben die Menſchen ihre Lenker und Regierer über ſich geſtellt. Was will dein Freund? gegen ſeines Landes Schickſal kann nur ein kriegriſcher Held handlen: und auch denen ſtreiten es Geſchichtsphiloſophen ab: er ſelbſt ſei nur ein Werkzeug des Schickſals, ſagen ſie. Muß nicht anerkannt werden, was er gethan hat, durch ſeine Wirkung? Und iſt ihm an anderm Anerkennen wohl gelegen; iſt nicht grade die rohe Menge, eben weil ſie roh iſt, unfähig, unſer Thun zu erkennen? Sollte es ihm anders, als Jeſus, Moſes, Friedrich, und — Gott weiß die Namen aller Führer und Geſetzgeber, gehen? Wer ſein Pflugeiſen in Einrichtungen umhertreibt, wer Geſetze aufhäuft, zur Saat, deſſen Ernte erleben nur künftige Geſchlechter. Geht’s doch jedem nur irgend thätigen Privat- menſchen eben ſo! Wenn ich Meines erzählen ſollte! — — Mündlich einmal; und kurz. Und findet er ſich unbequem auf dem Boden, wo ſeine Mutter ihn hingeſetzt hat, ſo glaube er ſich nicht feſtgeklebt; die Natur hat uns Füße und Neugierde ge- geben, die ganze Erde zu kennen: für unſern Geiſt iſt das Stückchen Rund ohnehin zu klein; bringen wir’s nicht mit dem Firmament in Verbindung, und wollen dem Urgeiſte ſelbſt ſeine Schöpfungskünſte weglauren und uns vordoziren? Mit Klug- heit und Vorſicht verſuche man einen andern Fleck Erde, wenn einem der alte ſehr zuwider iſt. Aber behutſam! Ich liebe Frankreich; und wenn mir Gott erlaubt, noch Einmal ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/460
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/460>, abgerufen am 27.11.2024.