ses Wünschen rüttelt den Wunsch, jetzt um euch zu sein, recht auf! Arme Rose! wir waren, wir sind doch noch zusammen, konnten von unzähligen Dingen und Kleinigkeiten sprechen, die Mama betrafen, und die nur wir wußten, und so ihr das luftige Mausoleum errichten, wovon unsere Brust den Grund verschließt; aber noch Einmal und für immer sei's geltend gesagt, du hast auch vielen, für dich vielleicht unaushaltbaren Jammer, und was noch mehr ist. Ärgerliches -- in die Länge gezogen -- und Beschwerliches versäumt. Mir giebt diese Be- trachtung beinah den Stolz und das Gefühl von Glück, den ein großer Glückszufall geben muß, daß wir durchaus zwei gebildete Familien haben, eure und unsere; daß wir uns alle tröstlich, jeder vermöge seines Geists und seiner Lage, gegen einander benehmen ohne Affektation und Empfindsamkeit, und uns wirklich in unsern Gemüthern aufrecht erhalten, wie wir in unsern Umständen einander unterstützen werden: und daß jetzt unsere wahrhaft weise männliche Liebe gegeneinander zum Vorschein kommt. Urtheile, Karl, wie dein zutraulicher lieber Brief, in welchem du auch von uns Trost haben willst, und dich wie an wahre liebe Geschwister wendest, auf mich gewirkt haben muß! -- Laß deinen Freund bedenken, daß Ambition etwas Hohles ist; sie ist der Anspruch an die Meinung An- derer über uns. Wer sind diese Andern? Wen liebt man darunter? Wen achtet man darunter? Schlecht darf ein Publikum nicht von uns denken; aber daß es uns bewun- dert, vorzieht, beehrfurchtet, ist das wohl einen Seufzer werth? Hat dein Freund ohne den Titel und die Pension bequem zu leben? Das ist die Frage. So laß sie Alle ihn
ſes Wünſchen rüttelt den Wunſch, jetzt um euch zu ſein, recht auf! Arme Roſe! wir waren, wir ſind doch noch zuſammen, konnten von unzähligen Dingen und Kleinigkeiten ſprechen, die Mama betrafen, und die nur wir wußten, und ſo ihr das luftige Mauſoleum errichten, wovon unſere Bruſt den Grund verſchließt; aber noch Einmal und für immer ſei’s geltend geſagt, du haſt auch vielen, für dich vielleicht unaushaltbaren Jammer, und was noch mehr iſt. Ärgerliches — in die Länge gezogen — und Beſchwerliches verſäumt. Mir giebt dieſe Be- trachtung beinah den Stolz und das Gefühl von Glück, den ein großer Glückszufall geben muß, daß wir durchaus zwei gebildete Familien haben, eure und unſere; daß wir uns alle tröſtlich, jeder vermöge ſeines Geiſts und ſeiner Lage, gegen einander benehmen ohne Affektation und Empfindſamkeit, und uns wirklich in unſern Gemüthern aufrecht erhalten, wie wir in unſern Umſtänden einander unterſtützen werden: und daß jetzt unſere wahrhaft weiſe männliche Liebe gegeneinander zum Vorſchein kommt. Urtheile, Karl, wie dein zutraulicher lieber Brief, in welchem du auch von uns Troſt haben willſt, und dich wie an wahre liebe Geſchwiſter wendeſt, auf mich gewirkt haben muß! — Laß deinen Freund bedenken, daß Ambition etwas Hohles iſt; ſie iſt der Anſpruch an die Meinung An- derer über uns. Wer ſind dieſe Andern? Wen liebt man darunter? Wen achtet man darunter? Schlecht darf ein Publikum nicht von uns denken; aber daß es uns bewun- dert, vorzieht, beehrfurchtet, iſt das wohl einen Seufzer werth? Hat dein Freund ohne den Titel und die Penſion bequem zu leben? Das iſt die Frage. So laß ſie Alle ihn
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ſes Wünſchen rüttelt den Wunſch, jetzt um euch zu ſein, recht
auf! Arme Roſe! wir waren, wir ſind doch noch zuſammen,
konnten von unzähligen Dingen und Kleinigkeiten ſprechen,
die Mama betrafen, und die nur wir wußten, und ſo ihr das
luftige Mauſoleum errichten, wovon unſere Bruſt den Grund
verſchließt; aber noch Einmal und für immer ſei’s geltend
geſagt, du haſt auch vielen, für dich vielleicht unaushaltbaren
Jammer, und was noch mehr iſt. Ärgerliches — in die Länge
gezogen — und Beſchwerliches verſäumt. Mir giebt dieſe Be-
trachtung beinah den Stolz und das Gefühl von Glück, den
ein großer Glückszufall geben muß, daß wir durchaus zwei
gebildete Familien haben, eure und unſere; daß wir uns alle
tröſtlich, jeder vermöge ſeines Geiſts und ſeiner Lage, gegen
einander benehmen ohne Affektation und Empfindſamkeit, und
uns wirklich in unſern Gemüthern aufrecht erhalten, wie wir
in unſern Umſtänden einander unterſtützen werden: und daß
jetzt unſere wahrhaft weiſe männliche Liebe gegeneinander zum
Vorſchein kommt. Urtheile, Karl, wie dein zutraulicher lieber
Brief, in welchem du auch von uns Troſt haben willſt, und
dich wie an wahre liebe Geſchwiſter wendeſt, auf mich gewirkt
haben muß! — Laß deinen Freund bedenken, daß Ambition
etwas Hohles iſt; ſie iſt der Anſpruch an die Meinung An-
derer über uns. Wer ſind dieſe Andern? Wen liebt man
darunter? Wen achtet man darunter? Schlecht darf ein
Publikum nicht von uns denken; aber daß es uns bewun-
dert, vorzieht, beehrfurchtet, iſt das wohl einen Seufzer
werth? Hat dein Freund ohne den Titel und die Penſion
bequem zu leben? Das iſt die Frage. So laß ſie Alle ihn
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/459>, abgerufen am 23.11.2024.
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