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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ohne Inhalt, beinah ohne Ziel, ist ihr ganzes Sein und Stre-
ben. Rührend ist es, eine Frau in dem Alter mit so dürfti-
ger Nahrung und um die noch sich balgen zu sehen, rührend
in dem Moment, wo man die Beschränkung doch auch als
Unschuld sieht: lächerlich in seinen Details und empörend der
stupide Stolz, die klotzartige Zufriedenheit damit; ärgerlich
die Verehrung der Geister, die abstrakt sich Großes zu denken
vermögen, und zaghaft armselig in wirklicher Entfaltung des
reellen Lebens dastehen! Und im Vergleich mit dem Reichthum
des wirklichen Lebens -- und wären's nur seine Schmerzen
und die Phantome vom Irrthum erzeugt, -- der innern Ve-
getation und Bildung aller Art: verächtlich klein bis zum
Vergessen! -- Sie glaubt zu lieben, ohne Gegenliebe; ohne
die höchste Achtung: ohne Nähe des Geliebten: ohne ausschlie-
ßendes bezauberndes Wohlgefallen an seiner Person; ohne
Hoffnung je mit ihm vereinigt zu sein! Als ich dies alles ab-
gefragt hatte, sagte sie diesen pathetischen Spruch, lang aus-
wendig gelernt, ohne Sinn, ohne Inhalt, ohne Bedeutung:
-- Andere haben ihr schon mehr gefallen, gestand sie, bewun-
dern und schätzen muß sie Andere auch mehr: -- "Innerlich
kann ich mich an niemand so anschließen, als an ihn." Zehn-
jährige Entfernung; keine Hoffnung sich zu sehen; kein Zau-
ber der Person; keine Verehrung des Karakters, des Geistes,
der Gesinnung; Unzufriedenheit mit dem Betragen; Neigung
für Andere! Wo ist nun der Sinn dieser großen Gesinnung
dieser großen Frau, in dieser großen Liebe? So fand ich sie
novice -- comme un conscrit, möchte ich mit Bribes sagen --
in allen ihren Fragen an mich, so wenig entzaubert von der

ohne Inhalt, beinah ohne Ziel, iſt ihr ganzes Sein und Stre-
ben. Rührend iſt es, eine Frau in dem Alter mit ſo dürfti-
ger Nahrung und um die noch ſich balgen zu ſehen, rührend
in dem Moment, wo man die Beſchränkung doch auch als
Unſchuld ſieht: lächerlich in ſeinen Details und empörend der
ſtupide Stolz, die klotzartige Zufriedenheit damit; ärgerlich
die Verehrung der Geiſter, die abſtrakt ſich Großes zu denken
vermögen, und zaghaft armſelig in wirklicher Entfaltung des
reellen Lebens daſtehen! Und im Vergleich mit dem Reichthum
des wirklichen Lebens — und wären’s nur ſeine Schmerzen
und die Phantome vom Irrthum erzeugt, — der innern Ve-
getation und Bildung aller Art: verächtlich klein bis zum
Vergeſſen! — Sie glaubt zu lieben, ohne Gegenliebe; ohne
die höchſte Achtung: ohne Nähe des Geliebten: ohne ausſchlie-
ßendes bezauberndes Wohlgefallen an ſeiner Perſon; ohne
Hoffnung je mit ihm vereinigt zu ſein! Als ich dies alles ab-
gefragt hatte, ſagte ſie dieſen pathetiſchen Spruch, lang aus-
wendig gelernt, ohne Sinn, ohne Inhalt, ohne Bedeutung:
— Andere haben ihr ſchon mehr gefallen, geſtand ſie, bewun-
dern und ſchätzen muß ſie Andere auch mehr: — „Innerlich
kann ich mich an niemand ſo anſchließen, als an ihn.“ Zehn-
jährige Entfernung; keine Hoffnung ſich zu ſehen; kein Zau-
ber der Perſon; keine Verehrung des Karakters, des Geiſtes,
der Geſinnung; Unzufriedenheit mit dem Betragen; Neigung
für Andere! Wo iſt nun der Sinn dieſer großen Geſinnung
dieſer großen Frau, in dieſer großen Liebe? So fand ich ſie
novice — comme un conscrit, möchte ich mit Bribes ſagen —
in allen ihren Fragen an mich, ſo wenig entzaubert von der

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[424/0438] ohne Inhalt, beinah ohne Ziel, iſt ihr ganzes Sein und Stre- ben. Rührend iſt es, eine Frau in dem Alter mit ſo dürfti- ger Nahrung und um die noch ſich balgen zu ſehen, rührend in dem Moment, wo man die Beſchränkung doch auch als Unſchuld ſieht: lächerlich in ſeinen Details und empörend der ſtupide Stolz, die klotzartige Zufriedenheit damit; ärgerlich die Verehrung der Geiſter, die abſtrakt ſich Großes zu denken vermögen, und zaghaft armſelig in wirklicher Entfaltung des reellen Lebens daſtehen! Und im Vergleich mit dem Reichthum des wirklichen Lebens — und wären’s nur ſeine Schmerzen und die Phantome vom Irrthum erzeugt, — der innern Ve- getation und Bildung aller Art: verächtlich klein bis zum Vergeſſen! — Sie glaubt zu lieben, ohne Gegenliebe; ohne die höchſte Achtung: ohne Nähe des Geliebten: ohne ausſchlie- ßendes bezauberndes Wohlgefallen an ſeiner Perſon; ohne Hoffnung je mit ihm vereinigt zu ſein! Als ich dies alles ab- gefragt hatte, ſagte ſie dieſen pathetiſchen Spruch, lang aus- wendig gelernt, ohne Sinn, ohne Inhalt, ohne Bedeutung: — Andere haben ihr ſchon mehr gefallen, geſtand ſie, bewun- dern und ſchätzen muß ſie Andere auch mehr: — „Innerlich kann ich mich an niemand ſo anſchließen, als an ihn.“ Zehn- jährige Entfernung; keine Hoffnung ſich zu ſehen; kein Zau- ber der Perſon; keine Verehrung des Karakters, des Geiſtes, der Geſinnung; Unzufriedenheit mit dem Betragen; Neigung für Andere! Wo iſt nun der Sinn dieſer großen Geſinnung dieſer großen Frau, in dieſer großen Liebe? So fand ich ſie novice — comme un conscrit, möchte ich mit Bribes ſagen — in allen ihren Fragen an mich, ſo wenig entzaubert von der

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/438>, abgerufen am 25.11.2024.