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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ten Gewölk hervorkam, bald sich verkroch, machte es noch
lebhafter, und sehr oft wird solches Thal in besserer Gegend
schön genannt: die Klappe ging wieder einen Augenblick von
meinem Herzen. Ich sah wieder, was Fahren sei; und bat,
da mir Gott doch keine Menschen geben wollte, um Pferde!
Ach viel ernster als man denkt. Wir kamen zu Madame
Ephraim, wo wir Thee tranken, und ganz lose gleichgültige
Gesellschaft von Herrn und Damen fanden: ohne Koketterie:
nichts in der Welt! Sie aber, Mad. Ephraim, sprach mir
ein paar Minuten über das Freie: über den Einfluß dieser
Natur auf das Gemüth, und dann über den abgehauenen
Prater, und besonders über seine Bäume, wie ein Dichter: so
sehr hatte sie diese Bäume und ihre Physionomie, wie sie es
nannte, empfunden. Dies war mir in Schöneberg das Liebste
und das Wundersamste; dieses gesunde, große, reine und jede
Thorheit überwältigende Gefühl für dieses Stück Natur. --
Wir fuhren in einem feuchten Nebelabend nach Hause; zu
sehen war nichts mehr: ich kam wieder erschreckt an: alle
Einrichtungen, noch so kürzlich belebt, durch Beziehung und
Sorgfalt, die ich allein liebe, die mir innerstes Bedürfniß ist, --
verwaist! Umsonst! o! welche Angst. Und welche Verschmä-
hung des Himmels; der es immer so wieder werden läßt.
Bäuerinnen, Bettlerinnen haben, was ich schwer mit Herzens-
blut beweinen muß: jetzt wieder beweine: ach und nie sagen
darf! Ich las ein wenig, und ging von der Feuchtigkeit be-
täubt zu Bette.


ten Gewölk hervorkam, bald ſich verkroch, machte es noch
lebhafter, und ſehr oft wird ſolches Thal in beſſerer Gegend
ſchön genannt: die Klappe ging wieder einen Augenblick von
meinem Herzen. Ich ſah wieder, was Fahren ſei; und bat,
da mir Gott doch keine Menſchen geben wollte, um Pferde!
Ach viel ernſter als man denkt. Wir kamen zu Madame
Ephraim, wo wir Thee tranken, und ganz loſe gleichgültige
Geſellſchaft von Herrn und Damen fanden: ohne Koketterie:
nichts in der Welt! Sie aber, Mad. Ephraim, ſprach mir
ein paar Minuten über das Freie: über den Einfluß dieſer
Natur auf das Gemüth, und dann über den abgehauenen
Prater, und beſonders über ſeine Bäume, wie ein Dichter: ſo
ſehr hatte ſie dieſe Bäume und ihre Phyſionomie, wie ſie es
nannte, empfunden. Dies war mir in Schöneberg das Liebſte
und das Wunderſamſte; dieſes geſunde, große, reine und jede
Thorheit überwältigende Gefühl für dieſes Stück Natur. —
Wir fuhren in einem feuchten Nebelabend nach Hauſe; zu
ſehen war nichts mehr: ich kam wieder erſchreckt an: alle
Einrichtungen, noch ſo kürzlich belebt, durch Beziehung und
Sorgfalt, die ich allein liebe, die mir innerſtes Bedürfniß iſt, —
verwaiſt! Umſonſt! o! welche Angſt. Und welche Verſchmä-
hung des Himmels; der es immer ſo wieder werden läßt.
Bäuerinnen, Bettlerinnen haben, was ich ſchwer mit Herzens-
blut beweinen muß: jetzt wieder beweine: ach und nie ſagen
darf! Ich las ein wenig, und ging von der Feuchtigkeit be-
täubt zu Bette.


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[420/0434] ten Gewölk hervorkam, bald ſich verkroch, machte es noch lebhafter, und ſehr oft wird ſolches Thal in beſſerer Gegend ſchön genannt: die Klappe ging wieder einen Augenblick von meinem Herzen. Ich ſah wieder, was Fahren ſei; und bat, da mir Gott doch keine Menſchen geben wollte, um Pferde! Ach viel ernſter als man denkt. Wir kamen zu Madame Ephraim, wo wir Thee tranken, und ganz loſe gleichgültige Geſellſchaft von Herrn und Damen fanden: ohne Koketterie: nichts in der Welt! Sie aber, Mad. Ephraim, ſprach mir ein paar Minuten über das Freie: über den Einfluß dieſer Natur auf das Gemüth, und dann über den abgehauenen Prater, und beſonders über ſeine Bäume, wie ein Dichter: ſo ſehr hatte ſie dieſe Bäume und ihre Phyſionomie, wie ſie es nannte, empfunden. Dies war mir in Schöneberg das Liebſte und das Wunderſamſte; dieſes geſunde, große, reine und jede Thorheit überwältigende Gefühl für dieſes Stück Natur. — Wir fuhren in einem feuchten Nebelabend nach Hauſe; zu ſehen war nichts mehr: ich kam wieder erſchreckt an: alle Einrichtungen, noch ſo kürzlich belebt, durch Beziehung und Sorgfalt, die ich allein liebe, die mir innerſtes Bedürfniß iſt, — verwaiſt! Umſonſt! o! welche Angſt. Und welche Verſchmä- hung des Himmels; der es immer ſo wieder werden läßt. Bäuerinnen, Bettlerinnen haben, was ich ſchwer mit Herzens- blut beweinen muß: jetzt wieder beweine: ach und nie ſagen darf! Ich las ein wenig, und ging von der Feuchtigkeit be- täubt zu Bette.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/434>, abgerufen am 26.11.2024.