Diese Minute! einen Brief von dir! O! wie hat jede Zeile mein Herz mit anderer Angst belegt und gepreßt. Un- dankbarer! Blinder. Ich liebe dich. Dich zu sehen, mit dir zu leben, ist mein höchster, ja und fast mein einziger Wunsch noch. -- Aber soll ich dich verlieren! -- so wollt' ich's schnell. Wie eine Operation. Gegen mich, Unkundiger, war ich hart; und weil du mich dazu zwangst, gradheraus gegen dich. Un- dankbarer. Weil ich dir nur den Entschluß und nicht den Weg dazu zeigte, hältst auch du mich für hart?! Ja ich bin es, ich Unselige! Und ewig! gegen mich. Ich wollte dir nicht zwei leidende Weiber zeigen; und zeigte dir ein eiser- nes. Noch jetzt, wenn du mich verlassen mußt, werd' ich nicht jammern. Schwanken liebe ich nicht: das ist die Gränze meiner Natur; weil ich's nicht verstehe. Und vom Schwan- ken kam unser Leid. -- Mir kann's nicht anders gehen! Ich seh's; mein Geist bereitet's selbst. Wär's mit diesem Leben nur genug: und bezög sich nichts auf Künftig! Adieu. --
An Varnhagen, in Tübingen.
Sonntag, den 29. Januar 1809.
Geliebter Freund, viele Zeit vor dem Posttage muß ich dir wieder schreiben, damit es ausführlicher und verständlicher wird. Heute Morgen sollte es gleich mein Erstes sein: jetzt ist es schon zwei Uhr, und es wird nun nicht so gut werden. Aber Mama schrieb mir früh ein demüthiges Billet, worin sie zwar das Ganze auf mich wohl dreimal beruhen ließ: ich möchte hinkommen und machen daß Robert ausfährt -- es ist
Dieſe Minute! einen Brief von dir! O! wie hat jede Zeile mein Herz mit anderer Angſt belegt und gepreßt. Un- dankbarer! Blinder. Ich liebe dich. Dich zu ſehen, mit dir zu leben, iſt mein höchſter, ja und faſt mein einziger Wunſch noch. — Aber ſoll ich dich verlieren! — ſo wollt’ ich’s ſchnell. Wie eine Operation. Gegen mich, Unkundiger, war ich hart; und weil du mich dazu zwangſt, gradheraus gegen dich. Un- dankbarer. Weil ich dir nur den Entſchluß und nicht den Weg dazu zeigte, hältſt auch du mich für hart?! Ja ich bin es, ich Unſelige! Und ewig! gegen mich. Ich wollte dir nicht zwei leidende Weiber zeigen; und zeigte dir ein eiſer- nes. Noch jetzt, wenn du mich verlaſſen mußt, werd’ ich nicht jammern. Schwanken liebe ich nicht: das iſt die Gränze meiner Natur; weil ich’s nicht verſtehe. Und vom Schwan- ken kam unſer Leid. — Mir kann’s nicht anders gehen! Ich ſeh’s; mein Geiſt bereitet’s ſelbſt. Wär’s mit dieſem Leben nur genug: und bezög ſich nichts auf Künftig! Adieu. —
An Varnhagen, in Tübingen.
Sonntag, den 29. Januar 1809.
Geliebter Freund, viele Zeit vor dem Poſttage muß ich dir wieder ſchreiben, damit es ausführlicher und verſtändlicher wird. Heute Morgen ſollte es gleich mein Erſtes ſein: jetzt iſt es ſchon zwei Uhr, und es wird nun nicht ſo gut werden. Aber Mama ſchrieb mir früh ein demüthiges Billet, worin ſie zwar das Ganze auf mich wohl dreimal beruhen ließ: ich möchte hinkommen und machen daß Robert ausfährt — es iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0408"n="394"/><p>Dieſe <hirendition="#g">Minute</hi>! einen Brief von dir! O! wie hat jede<lb/>
Zeile mein Herz mit anderer Angſt belegt und gepreßt. Un-<lb/>
dankbarer! Blinder. Ich liebe dich. Dich zu ſehen, mit dir<lb/>
zu leben, iſt mein höchſter, ja und faſt mein einziger Wunſch<lb/>
noch. — Aber ſoll ich dich verlieren! —ſo wollt’ ich’s ſchnell.<lb/>
Wie eine Operation. Gegen <hirendition="#g">mich</hi>, Unkundiger, war ich hart;<lb/>
und weil du mich dazu zwangſt, gradheraus gegen dich. Un-<lb/>
dankbarer. Weil ich dir nur den Entſchluß und nicht den<lb/>
Weg dazu zeigte, hältſt auch du mich für hart?! Ja ich bin<lb/>
es, ich Unſelige! Und ewig! <hirendition="#g">gegen mich</hi>. Ich wollte dir<lb/>
nicht <hirendition="#g">zwei</hi> leidende Weiber zeigen; und zeigte dir <hirendition="#g">ein</hi> eiſer-<lb/>
nes. Noch jetzt, wenn du mich verlaſſen mußt, werd’ ich <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
jammern. Schwanken liebe ich nicht: das iſt die Gränze<lb/><hirendition="#g">meiner</hi> Natur; weil ich’s nicht verſtehe. Und vom Schwan-<lb/>
ken kam unſer Leid. — Mir kann’s nicht anders gehen! Ich<lb/>ſeh’s; mein Geiſt bereitet’s ſelbſt. Wär’s mit dieſem Leben<lb/>
nur genug: und bezög ſich nichts auf Künftig! Adieu. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Tübingen.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonntag, den 29. Januar 1809.</hi></dateline><lb/><p>Geliebter Freund, viele Zeit vor dem Poſttage muß ich<lb/>
dir wieder ſchreiben, damit es ausführlicher und verſtändlicher<lb/>
wird. Heute Morgen ſollte es gleich mein Erſtes ſein: jetzt<lb/>
iſt es ſchon zwei Uhr, und es wird nun nicht ſo gut werden.<lb/>
Aber Mama ſchrieb mir früh ein demüthiges Billet, worin ſie<lb/>
zwar das Ganze auf mich wohl dreimal beruhen ließ: ich<lb/>
möchte hinkommen und machen daß Robert ausfährt — es iſt<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[394/0408]
Dieſe Minute! einen Brief von dir! O! wie hat jede
Zeile mein Herz mit anderer Angſt belegt und gepreßt. Un-
dankbarer! Blinder. Ich liebe dich. Dich zu ſehen, mit dir
zu leben, iſt mein höchſter, ja und faſt mein einziger Wunſch
noch. — Aber ſoll ich dich verlieren! — ſo wollt’ ich’s ſchnell.
Wie eine Operation. Gegen mich, Unkundiger, war ich hart;
und weil du mich dazu zwangſt, gradheraus gegen dich. Un-
dankbarer. Weil ich dir nur den Entſchluß und nicht den
Weg dazu zeigte, hältſt auch du mich für hart?! Ja ich bin
es, ich Unſelige! Und ewig! gegen mich. Ich wollte dir
nicht zwei leidende Weiber zeigen; und zeigte dir ein eiſer-
nes. Noch jetzt, wenn du mich verlaſſen mußt, werd’ ich nicht
jammern. Schwanken liebe ich nicht: das iſt die Gränze
meiner Natur; weil ich’s nicht verſtehe. Und vom Schwan-
ken kam unſer Leid. — Mir kann’s nicht anders gehen! Ich
ſeh’s; mein Geiſt bereitet’s ſelbſt. Wär’s mit dieſem Leben
nur genug: und bezög ſich nichts auf Künftig! Adieu. —
An Varnhagen, in Tübingen.
Sonntag, den 29. Januar 1809.
Geliebter Freund, viele Zeit vor dem Poſttage muß ich
dir wieder ſchreiben, damit es ausführlicher und verſtändlicher
wird. Heute Morgen ſollte es gleich mein Erſtes ſein: jetzt
iſt es ſchon zwei Uhr, und es wird nun nicht ſo gut werden.
Aber Mama ſchrieb mir früh ein demüthiges Billet, worin ſie
zwar das Ganze auf mich wohl dreimal beruhen ließ: ich
möchte hinkommen und machen daß Robert ausfährt — es iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/408>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.