dir keine Sorge! du kennst mich ja in der Nähe, und da bin ich besser: bequem, leicht und lustig genug. Auch weißt du, habe ich ja einen starken Hals, wie ich dir schon sagte, und wende den Kopf wohl wieder empor, aus dem finstern Ab- grund! Eins muß ich dir noch sagen, was ich gestern in meinem Bette dachte, und das zum erstenmal in meinem Le- ben. Daß ich mich, als ein Verwandter, und Eleve von Shakespear, von Kindheit an mit dem Tod beschäftige, kannst du glauben. Aber noch nie konnte mich mein Tod rühren; und auch daran, daß das nicht so war, dachte ich nicht. Gestern aber, in meinem Bette, dacht' ich, daß ich dir doch heute noch schreiben wollte; wenn du an das denken wolltest, was mir begegnet ist -- da du doch so vieles weißt, so viel eigentlich, und nur vieles noch nicht --; so sollst du auch denken, daß einen Tag, von dem ich dir schon sprach, mein Geschick mir in Folgendem klar vor Augen trat. -- -- -- Dies dacht' ich gestern muß Varnh, wissen, wenn er an mich denken soll; und wenn ich todt bin. Mir schien, als müsse ich sterben -- als ob mein Herz über diese Erde wegzog, und ich würde ihm folgen -- und mein Tod that mir nachher leid: denn noch nie, nun sah ich es, hatte ich gedacht, daß er irgend einem Menschen leid thun würde: von dir wußte ich es; und es war zum erstenmal in meinem Leben, daß ich das dachte; und daß ich wußte, daß ich's noch nie gedacht hatte. So einsam habe ich gelebt. Wisse es. Ich dachte auch, wenn ich todt sein werde, wird Varnh. erst wissen, was ich für Schmerzen hatte; jedes Schreien wird vergeblich sein, meine Gestalt begegnet ihm in aller Ewigkeit nicht: wegge-
dir keine Sorge! du kennſt mich ja in der Nähe, und da bin ich beſſer: bequem, leicht und luſtig genug. Auch weißt du, habe ich ja einen ſtarken Hals, wie ich dir ſchon ſagte, und wende den Kopf wohl wieder empor, aus dem finſtern Ab- grund! Eins muß ich dir noch ſagen, was ich geſtern in meinem Bette dachte, und das zum erſtenmal in meinem Le- ben. Daß ich mich, als ein Verwandter, und Eleve von Shakeſpear, von Kindheit an mit dem Tod beſchäftige, kannſt du glauben. Aber noch nie konnte mich mein Tod rühren; und auch daran, daß das nicht ſo war, dachte ich nicht. Geſtern aber, in meinem Bette, dacht’ ich, daß ich dir doch heute noch ſchreiben wollte; wenn du an das denken wollteſt, was mir begegnet iſt — da du doch ſo vieles weißt, ſo viel eigentlich, und nur vieles noch nicht —; ſo ſollſt du auch denken, daß einen Tag, von dem ich dir ſchon ſprach, mein Geſchick mir in Folgendem klar vor Augen trat. — — — Dies dacht’ ich geſtern muß Varnh, wiſſen, wenn er an mich denken ſoll; und wenn ich todt bin. Mir ſchien, als müſſe ich ſterben — als ob mein Herz über dieſe Erde wegzog, und ich würde ihm folgen — und mein Tod that mir nachher leid: denn noch nie, nun ſah ich es, hatte ich gedacht, daß er irgend einem Menſchen leid thun würde: von dir wußte ich es; und es war zum erſtenmal in meinem Leben, daß ich das dachte; und daß ich wußte, daß ich’s noch nie gedacht hatte. So einſam habe ich gelebt. Wiſſe es. Ich dachte auch, wenn ich todt ſein werde, wird Varnh. erſt wiſſen, was ich für Schmerzen hatte; jedes Schreien wird vergeblich ſein, meine Geſtalt begegnet ihm in aller Ewigkeit nicht: wegge-
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dir keine Sorge! du kennſt mich ja in der Nähe, und da bin
ich beſſer: bequem, leicht und luſtig genug. Auch weißt du,
habe ich ja einen ſtarken Hals, wie ich dir ſchon ſagte, und
wende den Kopf wohl wieder empor, aus dem finſtern Ab-
grund! Eins muß ich dir noch ſagen, was ich geſtern in
meinem Bette dachte, und das zum erſtenmal in meinem Le-
ben. Daß ich mich, als ein Verwandter, und Eleve von
Shakeſpear, von Kindheit an mit dem Tod beſchäftige, kannſt
du glauben. Aber noch nie konnte mich mein Tod rühren;
und auch daran, daß das nicht ſo war, dachte ich nicht.
Geſtern aber, in meinem Bette, dacht’ ich, daß ich dir doch
heute noch ſchreiben wollte; wenn du an das denken wollteſt,
was mir begegnet iſt — da du doch ſo vieles weißt, ſo viel
eigentlich, und nur vieles noch nicht —; ſo ſollſt du auch
denken, daß einen Tag, von dem ich dir ſchon ſprach, mein
Geſchick mir in Folgendem klar vor Augen trat. — — —
Dies dacht’ ich geſtern muß Varnh, wiſſen, wenn er an mich
denken ſoll; und wenn ich todt bin. Mir ſchien, als müſſe
ich ſterben — als ob mein Herz über dieſe Erde wegzog, und
ich würde ihm folgen — und mein Tod that mir nachher
leid: denn noch nie, nun ſah ich es, hatte ich gedacht, daß
er irgend einem Menſchen leid thun würde: von dir wußte
ich es; und es war zum erſtenmal in meinem Leben, daß ich
das dachte; und daß ich wußte, daß ich’s noch nie gedacht
hatte. So einſam habe ich gelebt. Wiſſe es. Ich dachte
auch, wenn ich todt ſein werde, wird Varnh. erſt wiſſen, was
ich für Schmerzen hatte; jedes Schreien wird vergeblich ſein,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/379>, abgerufen am 22.12.2024.
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