hat mehr Trennungen erlebt, als ich; ich kenne die Zeit in ihrem Fortschreiten; mit Riesenschritten und Riesenarmen reißt sie das Neue hervor, und tritt hinter sich alles zu Grabe. Drum, es mag dich noch so wundern, gieb mir meinen Ring wieder! Laß mich etwas besitzen, Freundesauge gleich! Ich fürchte mich. So wahr ich lebe! Ich sehe in keines Men- schen Gesicht die Sicherheit, die gewiß aus dem meinigen strahlt. Es wird mir ängstlich und ungeheuer. Ich kann nicht ohne den Ring zurückbleiben. Er weiß, wie ich alles meine, er sieht aus, wie ich, als ich jung war; lasse mir die- ses Bild! Dir kann er nicht nützen; und was hülfe es dir, wenn ich ihn mir ununterbrochen zurück wünschte! Du weißt, wie ich ihn dir gab; es war ein redlicher, dankbarer elan des Herzens: er muß auch bei mir und meinem Herzen blei- ben. Du wirst es einsehen. Verzeih, verzeih! daß ich mein Herz und seine Angst abschreibe; -- Zaubermittel, es gleich zu stillen, giebt es nicht. Genug ich werde selbst dafür sor- gen, und sorge schon. Hätte ich Vergnügen, Zerstreuung, ich sage es selbst ich brauchte kein Glück. Sei du ganz vergnügt. -- Gieb mir den Ring wieder, und sei vergnügt! Denke an die Scheine der Sonne, an Wipfel, Thäler und Berge, und an die stärkenden großen Luftzüge: und auch ich würde das freudig genießen. Sieh das Wetter! Adieu.
Rahel.
Komme nur nicht unglücklich; ich bin auch wohl! Allhei- lende Kraft allheilender Natur!
hat mehr Trennungen erlebt, als ich; ich kenne die Zeit in ihrem Fortſchreiten; mit Rieſenſchritten und Rieſenarmen reißt ſie das Neue hervor, und tritt hinter ſich alles zu Grabe. Drum, es mag dich noch ſo wundern, gieb mir meinen Ring wieder! Laß mich etwas beſitzen, Freundesauge gleich! Ich fürchte mich. So wahr ich lebe! Ich ſehe in keines Men- ſchen Geſicht die Sicherheit, die gewiß aus dem meinigen ſtrahlt. Es wird mir ängſtlich und ungeheuer. Ich kann nicht ohne den Ring zurückbleiben. Er weiß, wie ich alles meine, er ſieht aus, wie ich, als ich jung war; laſſe mir die- ſes Bild! Dir kann er nicht nützen; und was hülfe es dir, wenn ich ihn mir ununterbrochen zurück wünſchte! Du weißt, wie ich ihn dir gab; es war ein redlicher, dankbarer élan des Herzens: er muß auch bei mir und meinem Herzen blei- ben. Du wirſt es einſehen. Verzeih, verzeih! daß ich mein Herz und ſeine Angſt abſchreibe; — Zaubermittel, es gleich zu ſtillen, giebt es nicht. Genug ich werde ſelbſt dafür ſor- gen, und ſorge ſchon. Hätte ich Vergnügen, Zerſtreuung, ich ſage es ſelbſt ich brauchte kein Glück. Sei du ganz vergnügt. — Gieb mir den Ring wieder, und ſei vergnügt! Denke an die Scheine der Sonne, an Wipfel, Thäler und Berge, und an die ſtärkenden großen Luftzüge: und auch ich würde das freudig genießen. Sieh das Wetter! Adieu.
Rahel.
Komme nur nicht unglücklich; ich bin auch wohl! Allhei- lende Kraft allheilender Natur!
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hat mehr Trennungen erlebt, als ich; ich kenne die Zeit in
ihrem Fortſchreiten; mit Rieſenſchritten und Rieſenarmen reißt
ſie das Neue hervor, und tritt hinter ſich alles zu Grabe.
Drum, es mag dich noch ſo wundern, gieb mir meinen Ring
wieder! Laß mich etwas beſitzen, Freundesauge gleich! Ich
fürchte mich. So wahr ich lebe! Ich ſehe in keines Men-
ſchen Geſicht die Sicherheit, die gewiß aus dem meinigen
ſtrahlt. Es wird mir ängſtlich und ungeheuer. Ich kann
nicht ohne den Ring zurückbleiben. Er weiß, wie ich alles
meine, er ſieht aus, wie ich, als ich jung war; laſſe mir die-
ſes Bild! Dir kann er nicht nützen; und was hülfe es dir,
wenn ich ihn mir ununterbrochen zurück wünſchte! Du weißt,
wie ich ihn dir gab; es war ein redlicher, dankbarer élan des
Herzens: er muß auch bei mir und meinem Herzen blei-
ben. Du wirſt es einſehen. Verzeih, verzeih! daß ich mein
Herz und ſeine Angſt abſchreibe; — Zaubermittel, es gleich
zu ſtillen, giebt es nicht. Genug ich werde ſelbſt dafür ſor-
gen, und ſorge ſchon. Hätte ich Vergnügen, Zerſtreuung, ich
ſage es ſelbſt ich brauchte kein Glück. Sei du ganz vergnügt. —
Gieb mir den Ring wieder, und ſei vergnügt! Denke an die
Scheine der Sonne, an Wipfel, Thäler und Berge, und an die
ſtärkenden großen Luftzüge: und auch ich würde das freudig
genießen. Sieh das Wetter! Adieu.
Rahel.
Komme nur nicht unglücklich; ich bin auch wohl! Allhei-
lende Kraft allheilender Natur!
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/356>, abgerufen am 25.11.2024.
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