es nicht mehr dulden: auch ging meine Gesundheit zu Ende. Ich fuhr mit einemmale nach Charlottenburg hinaus, einem meiner liebsten Orte in der Welt; -- miethete mir Stube, Kammer, Küche, für sechs Thaler monatlich in der Schloß- straße, ich hatte noch weniges Geräthe von der Bleiche, be- sorgte das hinaus. Und nach dem schweren Augenblick fühlte ich mich wirklich glücklich, und glücklich, daß ich dieses Ge- fühls für Luft und Grünes, dieses Zufalls noch habhaft wer- den konnte. Ich glaube es war mein letztes. Der August taugte schon nichts. Hitze thut mir wohl; wir waren, außer zum Schlafen und Essen, immer im Garten. Nur wenige Schritte wohnten wir davon. Ganz Charlottenburg kannt' ich: nämlich Arme. Mündlich von diesem rührenden Aufent- halt. Schreiben Sie mir, Brinckmann, wenn ich auch nicht so sehr gut schreibe; auch litterarisch kann niemand Ihre Briefe besser schätzen, beurtheilen und goutiren, als ich. Apro- pos! ich habe einen Brief von Roux an Pauline gelesen, der mich sehr lachen machte. Der hat ja Sprache, Ansicht, Aus- druck, alles, im Deutschen von Ihnen angenommen. Und es war dem Bettler -- wenn ich dem Armen sage, ist es zu zwei- deutig -- nicht genug, wirklich verliebt in Pauline zu sein, er mußte doch den Ausdruck von Ihnen dazu borgen, der sich geflissentlich nur, und Andern, das was sie von Grazie und Eigenheit und Wahrheit in sich hat, so zu vergegenwärtigen, und darzustellen belustigt. Unwissender Bettler! Ich setze ihn nicht zu sehr herab; fürchten Sie nichts! Sie aber, stellen Sie ihn auf keine Orte, wo er das Genick herunter bricht, wenn Urtheil vorbei streift! Ich kenne ihn sehr: und alle
es nicht mehr dulden: auch ging meine Geſundheit zu Ende. Ich fuhr mit einemmale nach Charlottenburg hinaus, einem meiner liebſten Orte in der Welt; — miethete mir Stube, Kammer, Küche, für ſechs Thaler monatlich in der Schloß- ſtraße, ich hatte noch weniges Geräthe von der Bleiche, be- ſorgte das hinaus. Und nach dem ſchweren Augenblick fühlte ich mich wirklich glücklich, und glücklich, daß ich dieſes Ge- fühls für Luft und Grünes, dieſes Zufalls noch habhaft wer- den konnte. Ich glaube es war mein letztes. Der Auguſt taugte ſchon nichts. Hitze thut mir wohl; wir waren, außer zum Schlafen und Eſſen, immer im Garten. Nur wenige Schritte wohnten wir davon. Ganz Charlottenburg kannt’ ich: nämlich Arme. Mündlich von dieſem rührenden Aufent- halt. Schreiben Sie mir, Brinckmann, wenn ich auch nicht ſo ſehr gut ſchreibe; auch litterariſch kann niemand Ihre Briefe beſſer ſchätzen, beurtheilen und goutiren, als ich. Apro- pos! ich habe einen Brief von Roux an Pauline geleſen, der mich ſehr lachen machte. Der hat ja Sprache, Anſicht, Aus- druck, alles, im Deutſchen von Ihnen angenommen. Und es war dem Bettler — wenn ich dem Armen ſage, iſt es zu zwei- deutig — nicht genug, wirklich verliebt in Pauline zu ſein, er mußte doch den Ausdruck von Ihnen dazu borgen, der ſich gefliſſentlich nur, und Andern, das was ſie von Grazie und Eigenheit und Wahrheit in ſich hat, ſo zu vergegenwärtigen, und darzuſtellen beluſtigt. Unwiſſender Bettler! Ich ſetze ihn nicht zu ſehr herab; fürchten Sie nichts! Sie aber, ſtellen Sie ihn auf keine Orte, wo er das Genick herunter bricht, wenn Urtheil vorbei ſtreift! Ich kenne ihn ſehr: und alle
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0348"n="334"/>
es nicht mehr dulden: auch ging meine Geſundheit zu Ende.<lb/>
Ich fuhr mit einemmale nach Charlottenburg hinaus, einem<lb/>
meiner liebſten Orte in der Welt; — miethete mir Stube,<lb/>
Kammer, Küche, für ſechs Thaler monatlich in der Schloß-<lb/>ſtraße, ich hatte noch weniges Geräthe von der Bleiche, be-<lb/>ſorgte das hinaus. Und nach dem ſchweren Augenblick fühlte<lb/>
ich mich wirklich glücklich, und glücklich, daß ich dieſes Ge-<lb/>
fühls für Luft und Grünes, dieſes Zufalls noch habhaft wer-<lb/>
den konnte. Ich glaube es war mein letztes. Der Auguſt<lb/>
taugte ſchon nichts. Hitze thut mir wohl; wir waren, außer<lb/>
zum Schlafen und Eſſen, immer im Garten. Nur wenige<lb/>
Schritte wohnten wir davon. Ganz Charlottenburg kannt’<lb/>
ich: nämlich Arme. Mündlich von dieſem rührenden Aufent-<lb/>
halt. Schreiben Sie mir, Brinckmann, wenn ich auch nicht<lb/>ſo ſehr gut ſchreibe; auch litterariſch kann niemand Ihre<lb/>
Briefe beſſer ſchätzen, beurtheilen und goutiren, als ich. Apro-<lb/>
pos! ich habe einen Brief von Roux an Pauline geleſen, der<lb/>
mich ſehr lachen machte. Der hat ja Sprache, Anſicht, Aus-<lb/>
druck, alles, im Deutſchen von Ihnen angenommen. Und es<lb/>
war dem Bettler — wenn ich dem Armen ſage, iſt es zu zwei-<lb/>
deutig — nicht genug, wirklich verliebt in Pauline zu ſein, er<lb/>
mußte doch den Ausdruck von Ihnen dazu borgen, der ſich<lb/>
gefliſſentlich nur, und Andern, das was ſie von Grazie und<lb/>
Eigenheit und Wahrheit in ſich hat, ſo zu vergegenwärtigen,<lb/>
und darzuſtellen beluſtigt. Unwiſſender Bettler! Ich ſetze ihn<lb/>
nicht zu ſehr herab; fürchten Sie nichts! Sie aber, ſtellen<lb/>
Sie ihn auf keine Orte, wo er das Genick herunter bricht,<lb/>
wenn Urtheil vorbei ſtreift! Ich kenne ihn ſehr: und alle<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[334/0348]
es nicht mehr dulden: auch ging meine Geſundheit zu Ende.
Ich fuhr mit einemmale nach Charlottenburg hinaus, einem
meiner liebſten Orte in der Welt; — miethete mir Stube,
Kammer, Küche, für ſechs Thaler monatlich in der Schloß-
ſtraße, ich hatte noch weniges Geräthe von der Bleiche, be-
ſorgte das hinaus. Und nach dem ſchweren Augenblick fühlte
ich mich wirklich glücklich, und glücklich, daß ich dieſes Ge-
fühls für Luft und Grünes, dieſes Zufalls noch habhaft wer-
den konnte. Ich glaube es war mein letztes. Der Auguſt
taugte ſchon nichts. Hitze thut mir wohl; wir waren, außer
zum Schlafen und Eſſen, immer im Garten. Nur wenige
Schritte wohnten wir davon. Ganz Charlottenburg kannt’
ich: nämlich Arme. Mündlich von dieſem rührenden Aufent-
halt. Schreiben Sie mir, Brinckmann, wenn ich auch nicht
ſo ſehr gut ſchreibe; auch litterariſch kann niemand Ihre
Briefe beſſer ſchätzen, beurtheilen und goutiren, als ich. Apro-
pos! ich habe einen Brief von Roux an Pauline geleſen, der
mich ſehr lachen machte. Der hat ja Sprache, Anſicht, Aus-
druck, alles, im Deutſchen von Ihnen angenommen. Und es
war dem Bettler — wenn ich dem Armen ſage, iſt es zu zwei-
deutig — nicht genug, wirklich verliebt in Pauline zu ſein, er
mußte doch den Ausdruck von Ihnen dazu borgen, der ſich
gefliſſentlich nur, und Andern, das was ſie von Grazie und
Eigenheit und Wahrheit in ſich hat, ſo zu vergegenwärtigen,
und darzuſtellen beluſtigt. Unwiſſender Bettler! Ich ſetze ihn
nicht zu ſehr herab; fürchten Sie nichts! Sie aber, ſtellen
Sie ihn auf keine Orte, wo er das Genick herunter bricht,
wenn Urtheil vorbei ſtreift! Ich kenne ihn ſehr: und alle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/348>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.