Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

denken Sie aber, daß ich meiner Seele einprägen kann, er sei
sicher, und keinen Unfällen ausgesetzt? Ja manchen Augen-
blick dünkt mich ein Kourier noch unsicherer. Lieber Freund,
schreiben Sie mir aber: Sie glauben gar nicht, welche Nah-
rung und Beschäftigung Ihre Briefe für mich sind. Sogar,
(dummes Sogar!) der Witz ist abgestorben. Wenn Sie nur
wüßten, wie ich Sie mir täglich auffrische, wiederhole, und um
mich herstelle! Ihren rührenden Scherz, die gütige Kinderlaune,
die ehrwürdige, liebende Jugend, den freundlichen Ernst, das
komische Gehenlassen, die ewige feste sittliche und tief von mir
verehrte Sicherheit! Sie wissen, daß ich, für Gehenlassen,
bei dem der es darf, den größten Sinn habe; so lachten wir
vorgestern z. E. ganz ohne Aufhören über "Seekinder." Sie
wissen es wohl gar nicht mehr! Sie saßen Einmal bei mir
am Fenster, und es liefen ziemlich artige Kinder über die äu-
ßere Treppe der Seehandlung, oder kamen aus dem Hause,
und da frugen Sie ganz anspruchslos: "Was sind denn das
für Seekinder?" -- Aber auch ich habe Ihnen unzählige, und
bei Gott bessere, und zärtlichere Briefe geschrieben, als diesen.
Und unter welchen Martern; denn dachte ich nicht ewig da-
bei, er bekommt ihn nicht, du behältst es nicht; ach! und was
denkt er unterdeß von dir. Ganze Regionen von Gedanken
und Meinungen richten sich nur an Sie; und alle übrigen
kann ich Ihnen auch sagen. That ich es bis jetzt nicht, so
war das ein Rest von Jugend. Ich schwieg mehr, als ich
jünger war: wenn auch nicht überall, doch über mich. Nun
aber, da alles verloren ist, kann man ja als Gemählde-Aus-
stellung einem Kenner und Kunstliebenden alles sagen; das

denken Sie aber, daß ich meiner Seele einprägen kann, er ſei
ſicher, und keinen Unfällen ausgeſetzt? Ja manchen Augen-
blick dünkt mich ein Kourier noch unſicherer. Lieber Freund,
ſchreiben Sie mir aber: Sie glauben gar nicht, welche Nah-
rung und Beſchäftigung Ihre Briefe für mich ſind. Sogar,
(dummes Sogar!) der Witz iſt abgeſtorben. Wenn Sie nur
wüßten, wie ich Sie mir täglich auffriſche, wiederhole, und um
mich herſtelle! Ihren rührenden Scherz, die gütige Kinderlaune,
die ehrwürdige, liebende Jugend, den freundlichen Ernſt, das
komiſche Gehenlaſſen, die ewige feſte ſittliche und tief von mir
verehrte Sicherheit! Sie wiſſen, daß ich, für Gehenlaſſen,
bei dem der es darf, den größten Sinn habe; ſo lachten wir
vorgeſtern z. E. ganz ohne Aufhören über „Seekinder.“ Sie
wiſſen es wohl gar nicht mehr! Sie ſaßen Einmal bei mir
am Fenſter, und es liefen ziemlich artige Kinder über die äu-
ßere Treppe der Seehandlung, oder kamen aus dem Hauſe,
und da frugen Sie ganz anſpruchslos: „Was ſind denn das
für Seekinder?“ — Aber auch ich habe Ihnen unzählige, und
bei Gott beſſere, und zärtlichere Briefe geſchrieben, als dieſen.
Und unter welchen Martern; denn dachte ich nicht ewig da-
bei, er bekommt ihn nicht, du behältſt es nicht; ach! und was
denkt er unterdeß von dir. Ganze Regionen von Gedanken
und Meinungen richten ſich nur an Sie; und alle übrigen
kann ich Ihnen auch ſagen. That ich es bis jetzt nicht, ſo
war das ein Reſt von Jugend. Ich ſchwieg mehr, als ich
jünger war: wenn auch nicht überall, doch über mich. Nun
aber, da alles verloren iſt, kann man ja als Gemählde-Aus-
ſtellung einem Kenner und Kunſtliebenden alles ſagen; das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0346" n="332"/>
denken Sie aber, daß ich meiner Seele einprägen kann, er &#x017F;ei<lb/>
&#x017F;icher, und keinen Unfällen ausge&#x017F;etzt? Ja manchen Augen-<lb/>
blick dünkt mich ein Kourier noch un&#x017F;icherer. Lieber Freund,<lb/>
&#x017F;chreiben Sie mir aber: Sie glauben gar nicht, welche Nah-<lb/>
rung und Be&#x017F;chäftigung Ihre Briefe für mich &#x017F;ind. Sogar,<lb/>
(dummes Sogar!) der Witz i&#x017F;t abge&#x017F;torben. Wenn Sie nur<lb/>
wüßten, wie ich Sie mir täglich auffri&#x017F;che, wiederhole, und um<lb/>
mich her&#x017F;telle! Ihren rührenden Scherz, die gütige Kinderlaune,<lb/>
die ehrwürdige, liebende Jugend, den freundlichen Ern&#x017F;t, das<lb/>
komi&#x017F;che Gehenla&#x017F;&#x017F;en, die ewige fe&#x017F;te &#x017F;ittliche und tief von mir<lb/>
verehrte <hi rendition="#g">Sicherheit</hi>! Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich, für Gehenla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
bei dem der es darf, den größten Sinn habe; &#x017F;o lachten wir<lb/>
vorge&#x017F;tern z. E. ganz ohne Aufhören über &#x201E;Seekinder.&#x201C; Sie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en es wohl gar nicht mehr! Sie &#x017F;aßen Einmal bei mir<lb/>
am Fen&#x017F;ter, und es liefen ziemlich artige Kinder über die äu-<lb/>
ßere Treppe der Seehandlung, oder kamen aus dem Hau&#x017F;e,<lb/>
und da frugen Sie ganz an&#x017F;pruchslos: &#x201E;Was &#x017F;ind denn das<lb/>
für Seekinder?&#x201C; &#x2014; Aber auch ich habe Ihnen unzählige, und<lb/>
bei Gott be&#x017F;&#x017F;ere, und zärtlichere Briefe ge&#x017F;chrieben, als die&#x017F;en.<lb/>
Und unter welchen Martern; denn dachte ich nicht ewig da-<lb/>
bei, er bekommt ihn nicht, du behält&#x017F;t es nicht; ach! und was<lb/>
denkt er unterdeß von dir. Ganze Regionen von Gedanken<lb/>
und Meinungen richten &#x017F;ich nur an Sie; und alle übrigen<lb/>
kann ich Ihnen auch &#x017F;agen. That ich es bis jetzt nicht, &#x017F;o<lb/>
war das ein Re&#x017F;t von Jugend. Ich &#x017F;chwieg mehr, als ich<lb/>
jünger war: wenn auch nicht überall, doch über mich. Nun<lb/>
aber, da alles verloren i&#x017F;t, kann man ja als Gemählde-Aus-<lb/>
&#x017F;tellung einem Kenner und Kun&#x017F;tliebenden alles &#x017F;agen; das<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0346] denken Sie aber, daß ich meiner Seele einprägen kann, er ſei ſicher, und keinen Unfällen ausgeſetzt? Ja manchen Augen- blick dünkt mich ein Kourier noch unſicherer. Lieber Freund, ſchreiben Sie mir aber: Sie glauben gar nicht, welche Nah- rung und Beſchäftigung Ihre Briefe für mich ſind. Sogar, (dummes Sogar!) der Witz iſt abgeſtorben. Wenn Sie nur wüßten, wie ich Sie mir täglich auffriſche, wiederhole, und um mich herſtelle! Ihren rührenden Scherz, die gütige Kinderlaune, die ehrwürdige, liebende Jugend, den freundlichen Ernſt, das komiſche Gehenlaſſen, die ewige feſte ſittliche und tief von mir verehrte Sicherheit! Sie wiſſen, daß ich, für Gehenlaſſen, bei dem der es darf, den größten Sinn habe; ſo lachten wir vorgeſtern z. E. ganz ohne Aufhören über „Seekinder.“ Sie wiſſen es wohl gar nicht mehr! Sie ſaßen Einmal bei mir am Fenſter, und es liefen ziemlich artige Kinder über die äu- ßere Treppe der Seehandlung, oder kamen aus dem Hauſe, und da frugen Sie ganz anſpruchslos: „Was ſind denn das für Seekinder?“ — Aber auch ich habe Ihnen unzählige, und bei Gott beſſere, und zärtlichere Briefe geſchrieben, als dieſen. Und unter welchen Martern; denn dachte ich nicht ewig da- bei, er bekommt ihn nicht, du behältſt es nicht; ach! und was denkt er unterdeß von dir. Ganze Regionen von Gedanken und Meinungen richten ſich nur an Sie; und alle übrigen kann ich Ihnen auch ſagen. That ich es bis jetzt nicht, ſo war das ein Reſt von Jugend. Ich ſchwieg mehr, als ich jünger war: wenn auch nicht überall, doch über mich. Nun aber, da alles verloren iſt, kann man ja als Gemählde-Aus- ſtellung einem Kenner und Kunſtliebenden alles ſagen; das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/346
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/346>, abgerufen am 24.11.2024.