nen, und Blindheit weg. Dann stünd mir der Tod -- die Welt -- offen. -- Es ist alles wie es ist; d. h. "anders."
Freitag, den 11. December 1807.
Mit Schrecken nahm ich gestern, in einem Tage wahr, wo meine Nerven frei und ich aufgelegt zur Beschäftigung war, und mir Kräfte dazu glaubte, daß ich's nicht vermag; und daß mich meine Krankheit unfähig gemacht hat! Ich war mit Vergnügen bis halb 11 allein und wollte etwas thun, und that auch manches: aber wie ward mir nach einigen Stunden! Ganz schlecht; und daher auch meine Nacht und mein Morgen! -- Also die einzige Rettung, das was ich für mich vermöchte, Fleiß, den kann ich nicht ertragen; und alles andere kann ich mir nicht verschaffen! Ich muß also alles wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen lassen; und ich kann es grade nur so machen, wie ich es mache. Tiefe Ge- fangenschaft, und dabei noch Tadel, und Rath, von Feinden, Freunde genannt; und von Leuten, die nicht an mich denken, Feinde genannt! Und helle lichte Einsicht. Aber auch welche Ergebung! dies ist mein ganzer Glaube, mein ganzer Kultus! meine tiefste Meinung, die ich nicht auszusprechen vermag, und nicht aussprechen sollte! -- Alles ist so wie es ist -- und nur Kleinigkeiten; kleine Momente von Ewigkeiten existiren für mich. --
Klagen Sie nur: klagen Sie immer: die Klage ist eine Person, wenn sie ächt ist, ich verstehe sie, und so soll sie als solche anerkannt werden; keine wirkliche Person soll unterge-
nen, und Blindheit weg. Dann ſtünd mir der Tod — die Welt — offen. — Es iſt alles wie es iſt; d. h. „anders.“
Freitag, den 11. December 1807.
Mit Schrecken nahm ich geſtern, in einem Tage wahr, wo meine Nerven frei und ich aufgelegt zur Beſchäftigung war, und mir Kräfte dazu glaubte, daß ich’s nicht vermag; und daß mich meine Krankheit unfähig gemacht hat! Ich war mit Vergnügen bis halb 11 allein und wollte etwas thun, und that auch manches: aber wie ward mir nach einigen Stunden! Ganz ſchlecht; und daher auch meine Nacht und mein Morgen! — Alſo die einzige Rettung, das was ich für mich vermöchte, Fleiß, den kann ich nicht ertragen; und alles andere kann ich mir nicht verſchaffen! Ich muß alſo alles wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen laſſen; und ich kann es grade nur ſo machen, wie ich es mache. Tiefe Ge- fangenſchaft, und dabei noch Tadel, und Rath, von Feinden, Freunde genannt; und von Leuten, die nicht an mich denken, Feinde genannt! Und helle lichte Einſicht. Aber auch welche Ergebung! dies iſt mein ganzer Glaube, mein ganzer Kultus! meine tiefſte Meinung, die ich nicht auszuſprechen vermag, und nicht ausſprechen ſollte! — Alles iſt ſo wie es iſt — und nur Kleinigkeiten; kleine Momente von Ewigkeiten exiſtiren für mich. —
Klagen Sie nur: klagen Sie immer: die Klage iſt eine Perſon, wenn ſie ächt iſt, ich verſtehe ſie, und ſo ſoll ſie als ſolche anerkannt werden; keine wirkliche Perſon ſoll unterge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0336"n="322"/>
nen, und Blindheit weg. Dann ſtünd mir der Tod — die<lb/>
Welt — offen. — Es iſt alles wie es iſt; d. h. „anders.“</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Freitag, den 11. December 1807.</hi></dateline><lb/><p>Mit Schrecken nahm ich geſtern, in einem Tage wahr,<lb/>
wo meine Nerven frei und ich aufgelegt zur Beſchäftigung<lb/>
war, und mir Kräfte dazu glaubte, daß ich’s nicht vermag;<lb/>
und daß mich meine Krankheit unfähig gemacht hat! Ich war<lb/>
mit Vergnügen bis halb 11 allein und wollte etwas thun,<lb/>
und that auch manches: aber wie ward mir nach einigen<lb/>
Stunden! Ganz ſchlecht; und daher auch meine Nacht und<lb/>
mein Morgen! — Alſo die einzige Rettung, das was ich für<lb/>
mich vermöchte, Fleiß, den kann ich nicht ertragen; und alles<lb/>
andere kann <hirendition="#g">ich</hi> mir nicht verſchaffen! Ich muß alſo alles<lb/>
wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen laſſen; und ich<lb/>
kann es grade nur ſo machen, wie ich es mache. Tiefe Ge-<lb/>
fangenſchaft, und dabei noch Tadel, und Rath, von Feinden,<lb/>
Freunde genannt; und von Leuten, die nicht an mich denken,<lb/>
Feinde genannt! Und helle lichte Einſicht. Aber auch welche<lb/>
Ergebung! dies iſt mein ganzer Glaube, mein ganzer Kultus!<lb/>
meine tiefſte Meinung, die ich nicht auszuſprechen vermag,<lb/>
und nicht ausſprechen ſollte! — Alles iſt ſo wie es iſt — und<lb/>
nur Kleinigkeiten; kleine Momente von Ewigkeiten exiſtiren<lb/>
für mich. —</p><lb/><p>Klagen Sie nur: klagen Sie immer: die Klage iſt eine<lb/>
Perſon, wenn ſie ächt iſt, ich verſtehe ſie, und ſo ſoll ſie als<lb/>ſolche anerkannt werden; keine wirkliche Perſon ſoll unterge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[322/0336]
nen, und Blindheit weg. Dann ſtünd mir der Tod — die
Welt — offen. — Es iſt alles wie es iſt; d. h. „anders.“
Freitag, den 11. December 1807.
Mit Schrecken nahm ich geſtern, in einem Tage wahr,
wo meine Nerven frei und ich aufgelegt zur Beſchäftigung
war, und mir Kräfte dazu glaubte, daß ich’s nicht vermag;
und daß mich meine Krankheit unfähig gemacht hat! Ich war
mit Vergnügen bis halb 11 allein und wollte etwas thun,
und that auch manches: aber wie ward mir nach einigen
Stunden! Ganz ſchlecht; und daher auch meine Nacht und
mein Morgen! — Alſo die einzige Rettung, das was ich für
mich vermöchte, Fleiß, den kann ich nicht ertragen; und alles
andere kann ich mir nicht verſchaffen! Ich muß alſo alles
wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen laſſen; und ich
kann es grade nur ſo machen, wie ich es mache. Tiefe Ge-
fangenſchaft, und dabei noch Tadel, und Rath, von Feinden,
Freunde genannt; und von Leuten, die nicht an mich denken,
Feinde genannt! Und helle lichte Einſicht. Aber auch welche
Ergebung! dies iſt mein ganzer Glaube, mein ganzer Kultus!
meine tiefſte Meinung, die ich nicht auszuſprechen vermag,
und nicht ausſprechen ſollte! — Alles iſt ſo wie es iſt — und
nur Kleinigkeiten; kleine Momente von Ewigkeiten exiſtiren
für mich. —
Klagen Sie nur: klagen Sie immer: die Klage iſt eine
Perſon, wenn ſie ächt iſt, ich verſtehe ſie, und ſo ſoll ſie als
ſolche anerkannt werden; keine wirkliche Perſon ſoll unterge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/336>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.