aus weg! Ich suche mir mit der größten Anstrengung Gesell- schaft nach Böhmen. Goethe kommt ganz gewiß nach Karls- bad, einen Sonnenblick muß meine Seele jetzt haben, ich werde sonst wahnsinnig. Kann ich nach Böhmen nicht, so reis' ich mit der vorhandenen Gelegenheit nach Amsterdam und von dort nach Paris. Auf eine oder die andere Art. Schreib mir also gleich, wie lange du noch bleibst!!
In dieser Stimmung, siehst du, kann ich keine Rezension über Luther schreiben. Ich habe und hatte aber eine göttliche im Kopf. So viel voraus! So viel Glück hat ein Deutscher noch nie gehabt, einen Punkt zu finden, woraus sich das erste, einzige und das beste deutsche Nationalstück machen ließ. Dieser Punkt ist Luther. Er, Deutschland, Deutschlands Existenz, seine Litteratur, sein fragender Sinn, und seine wirk- liche Geschichte, die aus des Landes Karakter hervorgeht, und durch Luthers starken Ruf und Auftreten begann, und da sich erst von allen andern Völkern trennte: ist Eins! Begreife, welch ein Stück sich davon machen lassen kann! Niemand konnte diesen Vorwurf verderben: -- ich hätte müssen ein gutes Stück draus machen, -- Werner hat viel verfehlt; viel geleistet; nichts verdorben. Er zeigt Geist: aber nur einen. Auch haben ihm die Neuern sein wirkliches Talent behaucht. Ich hoffe der reine Spiegel läßt sich noch abwischen. Ich hoffe ihm das selbst zu sagen. Nun nichts mehr: über Christenheit und Religion weiß ich noch manches; und in wie fern sie auftreten kann. In jedem Fall ist es ein ganz anderes Stück- chen, als die gute und auch beliebte Jungfer Orleans! Dies Sujet meinte Schiller; und das Mädchen griff er. So denk
aus weg! Ich ſuche mir mit der größten Anſtrengung Geſell- ſchaft nach Böhmen. Goethe kommt ganz gewiß nach Karls- bad, einen Sonnenblick muß meine Seele jetzt haben, ich werde ſonſt wahnſinnig. Kann ich nach Böhmen nicht, ſo reiſ’ ich mit der vorhandenen Gelegenheit nach Amſterdam und von dort nach Paris. Auf eine oder die andere Art. Schreib mir alſo gleich, wie lange du noch bleibſt!!
In dieſer Stimmung, ſiehſt du, kann ich keine Rezenſion über Luther ſchreiben. Ich habe und hatte aber eine göttliche im Kopf. So viel voraus! So viel Glück hat ein Deutſcher noch nie gehabt, einen Punkt zu finden, woraus ſich das erſte, einzige und das beſte deutſche Nationalſtück machen ließ. Dieſer Punkt iſt Luther. Er, Deutſchland, Deutſchlands Exiſtenz, ſeine Litteratur, ſein fragender Sinn, und ſeine wirk- liche Geſchichte, die aus des Landes Karakter hervorgeht, und durch Luthers ſtarken Ruf und Auftreten begann, und da ſich erſt von allen andern Völkern trennte: iſt Eins! Begreife, welch ein Stück ſich davon machen laſſen kann! Niemand konnte dieſen Vorwurf verderben: — ich hätte müſſen ein gutes Stück draus machen, — Werner hat viel verfehlt; viel geleiſtet; nichts verdorben. Er zeigt Geiſt: aber nur einen. Auch haben ihm die Neuern ſein wirkliches Talent behaucht. Ich hoffe der reine Spiegel läßt ſich noch abwiſchen. Ich hoffe ihm das ſelbſt zu ſagen. Nun nichts mehr: über Chriſtenheit und Religion weiß ich noch manches; und in wie fern ſie auftreten kann. In jedem Fall iſt es ein ganz anderes Stück- chen, als die gute und auch beliebte Jungfer Orleans! Dies Sujet meinte Schiller; und das Mädchen griff er. So denk
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0306"n="292"/>
aus weg! Ich ſuche mir mit der größten Anſtrengung Geſell-<lb/>ſchaft nach Böhmen. Goethe kommt ganz gewiß nach Karls-<lb/>
bad, einen Sonnenblick muß meine Seele jetzt haben, ich werde<lb/>ſonſt wahnſinnig. Kann ich nach Böhmen nicht, ſo reiſ’ ich<lb/>
mit der vorhandenen Gelegenheit nach Amſterdam und von<lb/>
dort nach Paris. Auf <hirendition="#g">eine</hi> oder die andere <hirendition="#g">Art</hi>. Schreib<lb/>
mir alſo gleich, wie lange <hirendition="#g">du</hi> noch bleibſt!!</p><lb/><p>In dieſer Stimmung, ſiehſt du, kann ich keine Rezenſion<lb/>
über Luther ſchreiben. Ich habe und hatte aber eine göttliche<lb/>
im Kopf. So viel voraus! <hirendition="#g">So</hi> viel Glück hat ein Deutſcher<lb/>
noch nie gehabt, einen Punkt zu finden, woraus ſich <hirendition="#g">das<lb/>
erſte, einzige</hi> und das <hirendition="#g">beſte</hi> deutſche Nationalſtück machen<lb/>
ließ. Dieſer Punkt <hirendition="#g">iſt</hi> Luther. Er, Deutſchland, Deutſchlands<lb/>
Exiſtenz, ſeine Litteratur, ſein fragender Sinn, und ſeine wirk-<lb/>
liche Geſchichte, die aus des Landes Karakter hervorgeht, und<lb/>
durch Luthers ſtarken Ruf und Auftreten begann, und <hirendition="#g">da</hi>ſich<lb/>
erſt von allen andern Völkern <hirendition="#g">trennte</hi>: iſt <hirendition="#g">Eins</hi>! Begreife,<lb/>
welch ein Stück ſich davon machen laſſen kann! Niemand<lb/>
konnte dieſen Vorwurf verderben: —<hirendition="#g">ich</hi> hätte müſſen ein<lb/>
gutes Stück draus machen, — Werner hat viel verfehlt; viel<lb/>
geleiſtet; nichts verdorben. Er zeigt Geiſt: aber nur <hirendition="#g">einen</hi>.<lb/>
Auch haben ihm die Neuern ſein wirkliches Talent behaucht.<lb/>
Ich hoffe der reine Spiegel läßt ſich noch abwiſchen. Ich hoffe<lb/>
ihm das ſelbſt zu ſagen. Nun nichts mehr: über Chriſtenheit<lb/>
und Religion weiß ich noch manches; und in wie fern ſie<lb/>
auftreten kann. In jedem Fall iſt es ein ganz anderes Stück-<lb/>
chen, als die gute und auch beliebte Jungfer Orleans! Dies<lb/>
Sujet <hirendition="#g">meinte</hi> Schiller; und das Mädchen griff er. So denk<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[292/0306]
aus weg! Ich ſuche mir mit der größten Anſtrengung Geſell-
ſchaft nach Böhmen. Goethe kommt ganz gewiß nach Karls-
bad, einen Sonnenblick muß meine Seele jetzt haben, ich werde
ſonſt wahnſinnig. Kann ich nach Böhmen nicht, ſo reiſ’ ich
mit der vorhandenen Gelegenheit nach Amſterdam und von
dort nach Paris. Auf eine oder die andere Art. Schreib
mir alſo gleich, wie lange du noch bleibſt!!
In dieſer Stimmung, ſiehſt du, kann ich keine Rezenſion
über Luther ſchreiben. Ich habe und hatte aber eine göttliche
im Kopf. So viel voraus! So viel Glück hat ein Deutſcher
noch nie gehabt, einen Punkt zu finden, woraus ſich das
erſte, einzige und das beſte deutſche Nationalſtück machen
ließ. Dieſer Punkt iſt Luther. Er, Deutſchland, Deutſchlands
Exiſtenz, ſeine Litteratur, ſein fragender Sinn, und ſeine wirk-
liche Geſchichte, die aus des Landes Karakter hervorgeht, und
durch Luthers ſtarken Ruf und Auftreten begann, und da ſich
erſt von allen andern Völkern trennte: iſt Eins! Begreife,
welch ein Stück ſich davon machen laſſen kann! Niemand
konnte dieſen Vorwurf verderben: — ich hätte müſſen ein
gutes Stück draus machen, — Werner hat viel verfehlt; viel
geleiſtet; nichts verdorben. Er zeigt Geiſt: aber nur einen.
Auch haben ihm die Neuern ſein wirkliches Talent behaucht.
Ich hoffe der reine Spiegel läßt ſich noch abwiſchen. Ich hoffe
ihm das ſelbſt zu ſagen. Nun nichts mehr: über Chriſtenheit
und Religion weiß ich noch manches; und in wie fern ſie
auftreten kann. In jedem Fall iſt es ein ganz anderes Stück-
chen, als die gute und auch beliebte Jungfer Orleans! Dies
Sujet meinte Schiller; und das Mädchen griff er. So denk
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/306>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.