Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mir nichts, also war es mir recht lieb. Er sprach aber sehr
untereinander: und -- wie richtig hab' ich gesehn -- die ganze
Pastete -- dies infame Wort ist hier das beste -- kam zum
Vorschein, wie ich es den ersten Tag explizirte, was er unter
Genie verstanden hatte. Eine Art monstruöses Geschöpf, wie
es eigentlich keins giebt. Abtheilungen, die trivialen, von
Verstand und Güte -- -- kurz, ich erlaß Ihnen die Details,
nur wissen Sie, er meinte ich mache mir nichts aus Güte, --
nur aus -- Unding! -- Verstand. Es wird Sie mit anschei-
nendem Recht wundern, daß ich mir -- deren Herz es wie
eine frische Quelle immer weit wegstößt -- plötzlich aus frem-
dem Urtheil etwas mache! Ich will es Ihnen erklären. Wäre
es ein Eindruck, den ich gemacht hätte, ich nähme es
hin! So ist es aber ein kleines System von Vormeinungen,
die sich Egl. über mich gemacht hat, ehe er je einen Ton von
mir vernahm, und nun, daß ich ihm offen, wie einem jeden,
die dreimal, die ich ihn etwa sah, entgegen kam, und freund-
licher als Vielen; vernimmt er mich selbst nicht: und weiß
daher weniger von mir, als vorher, weil er noch dazu den-
ken kann: "ich kenne sie ja!" Und die längst verrauchte
Dummheit fremder Ignoranten schadet, oder hindert mich in
einem neuen, mir angenehmen Umgang. O! gesegnet, tau-
sendmal gesegnet, liebe Sinne! Mit euch vernimmt man
selbst! Gott! soll ich denn ewig Schutt räumen, den Andere
mir lassen? Was ist es garstig, sich immer erst legitimiren
zu müssen! darum ist es ja nur so widerwärtig, eine Jü-
din zu sein!!

Überhaupt bin ich jetzt, wissen Sie, empfindlich! und es

I. 19

mir nichts, alſo war es mir recht lieb. Er ſprach aber ſehr
untereinander: und — wie richtig hab’ ich geſehn — die ganze
Paſtete — dies infame Wort iſt hier das beſte — kam zum
Vorſchein, wie ich es den erſten Tag explizirte, was er unter
Genie verſtanden hatte. Eine Art monſtruöſes Geſchöpf, wie
es eigentlich keins giebt. Abtheilungen, die trivialen, von
Verſtand und Güte — — kurz, ich erlaß Ihnen die Details,
nur wiſſen Sie, er meinte ich mache mir nichts aus Güte, —
nur aus — Unding! — Verſtand. Es wird Sie mit anſchei-
nendem Recht wundern, daß ich mir — deren Herz es wie
eine friſche Quelle immer weit wegſtößt — plötzlich aus frem-
dem Urtheil etwas mache! Ich will es Ihnen erklären. Wäre
es ein Eindruck, den ich gemacht hätte, ich nähme es
hin! So iſt es aber ein kleines Syſtem von Vormeinungen,
die ſich Egl. über mich gemacht hat, ehe er je einen Ton von
mir vernahm, und nun, daß ich ihm offen, wie einem jeden,
die dreimal, die ich ihn etwa ſah, entgegen kam, und freund-
licher als Vielen; vernimmt er mich ſelbſt nicht: und weiß
daher weniger von mir, als vorher, weil er noch dazu den-
ken kann: „ich kenne ſie ja!“ Und die längſt verrauchte
Dummheit fremder Ignoranten ſchadet, oder hindert mich in
einem neuen, mir angenehmen Umgang. O! geſegnet, tau-
ſendmal geſegnet, liebe Sinne! Mit euch vernimmt man
ſelbſt! Gott! ſoll ich denn ewig Schutt räumen, den Andere
mir laſſen? Was iſt es garſtig, ſich immer erſt legitimiren
zu müſſen! darum iſt es ja nur ſo widerwärtig, eine Jü-
din zu ſein!!

Überhaupt bin ich jetzt, wiſſen Sie, empfindlich! und es

I. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="289"/>
mir nichts, al&#x017F;o war es mir recht lieb. Er &#x017F;prach aber &#x017F;ehr<lb/>
untereinander: und &#x2014; wie richtig hab&#x2019; ich ge&#x017F;ehn &#x2014; die ganze<lb/>
Pa&#x017F;tete &#x2014; dies infame Wort i&#x017F;t hier das be&#x017F;te &#x2014; kam zum<lb/>
Vor&#x017F;chein, wie ich es den er&#x017F;ten Tag explizirte, was er unter<lb/><hi rendition="#g">Genie</hi> ver&#x017F;tanden hatte. Eine Art mon&#x017F;truö&#x017F;es Ge&#x017F;chöpf, wie<lb/>
es eigentlich keins giebt. Abtheilungen, die trivialen, von<lb/>
Ver&#x017F;tand und Güte &#x2014; &#x2014; kurz, ich erlaß Ihnen die Details,<lb/>
nur wi&#x017F;&#x017F;en Sie, er meinte <hi rendition="#g">ich</hi> mache mir nichts aus Güte, &#x2014;<lb/>
nur aus &#x2014; Unding! &#x2014; Ver&#x017F;tand. Es wird Sie mit an&#x017F;chei-<lb/>
nendem Recht wundern, daß ich mir &#x2014; deren Herz es wie<lb/>
eine fri&#x017F;che Quelle immer weit weg&#x017F;tößt &#x2014; plötzlich aus frem-<lb/>
dem Urtheil etwas mache! Ich will es Ihnen erklären. Wäre<lb/>
es ein <hi rendition="#g">Eindruck</hi>, den ich <hi rendition="#g">gemacht</hi> hätte, ich nähme es<lb/>
hin! So i&#x017F;t es aber ein kleines Sy&#x017F;tem von Vormeinungen,<lb/>
die &#x017F;ich Egl. über mich gemacht hat, ehe er je einen Ton von<lb/>
mir vernahm, und nun, daß ich ihm offen, wie einem jeden,<lb/>
die dreimal, die ich ihn etwa &#x017F;ah, entgegen kam, und freund-<lb/>
licher als Vielen; vernimmt er mich &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">nicht</hi>: und weiß<lb/>
daher weniger von mir, als <hi rendition="#g">vorher</hi>, weil er noch dazu den-<lb/>
ken kann: &#x201E;ich kenne &#x017F;ie ja!&#x201C; Und die läng&#x017F;t verrauchte<lb/>
Dummheit fremder Ignoranten &#x017F;chadet, oder hindert mich in<lb/>
einem neuen, mir angenehmen Umgang. O! ge&#x017F;egnet, tau-<lb/>
&#x017F;endmal ge&#x017F;egnet, <hi rendition="#g">liebe Sinne</hi>! Mit euch vernimmt man<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t! Gott! &#x017F;oll ich denn ewig Schutt räumen, den Andere<lb/>
mir la&#x017F;&#x017F;en? Was i&#x017F;t es gar&#x017F;tig, &#x017F;ich immer er&#x017F;t legitimiren<lb/>
zu mü&#x017F;&#x017F;en! darum i&#x017F;t es ja <hi rendition="#g">nur</hi> &#x017F;o <hi rendition="#g">widerwärtig</hi>, eine Jü-<lb/>
din zu &#x017F;ein!!</p><lb/>
          <p>Überhaupt bin ich jetzt, wi&#x017F;&#x017F;en Sie, empfindlich! und es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 19</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0303] mir nichts, alſo war es mir recht lieb. Er ſprach aber ſehr untereinander: und — wie richtig hab’ ich geſehn — die ganze Paſtete — dies infame Wort iſt hier das beſte — kam zum Vorſchein, wie ich es den erſten Tag explizirte, was er unter Genie verſtanden hatte. Eine Art monſtruöſes Geſchöpf, wie es eigentlich keins giebt. Abtheilungen, die trivialen, von Verſtand und Güte — — kurz, ich erlaß Ihnen die Details, nur wiſſen Sie, er meinte ich mache mir nichts aus Güte, — nur aus — Unding! — Verſtand. Es wird Sie mit anſchei- nendem Recht wundern, daß ich mir — deren Herz es wie eine friſche Quelle immer weit wegſtößt — plötzlich aus frem- dem Urtheil etwas mache! Ich will es Ihnen erklären. Wäre es ein Eindruck, den ich gemacht hätte, ich nähme es hin! So iſt es aber ein kleines Syſtem von Vormeinungen, die ſich Egl. über mich gemacht hat, ehe er je einen Ton von mir vernahm, und nun, daß ich ihm offen, wie einem jeden, die dreimal, die ich ihn etwa ſah, entgegen kam, und freund- licher als Vielen; vernimmt er mich ſelbſt nicht: und weiß daher weniger von mir, als vorher, weil er noch dazu den- ken kann: „ich kenne ſie ja!“ Und die längſt verrauchte Dummheit fremder Ignoranten ſchadet, oder hindert mich in einem neuen, mir angenehmen Umgang. O! geſegnet, tau- ſendmal geſegnet, liebe Sinne! Mit euch vernimmt man ſelbſt! Gott! ſoll ich denn ewig Schutt räumen, den Andere mir laſſen? Was iſt es garſtig, ſich immer erſt legitimiren zu müſſen! darum iſt es ja nur ſo widerwärtig, eine Jü- din zu ſein!! Überhaupt bin ich jetzt, wiſſen Sie, empfindlich! und es I. 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/303
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/303>, abgerufen am 29.11.2024.