deren Nichtigkeit er schärfer als irgend ein Mensch wußte -- "der Moment ist doch da! in diesem Moment ist des Kerls Vortreten etwas; denn ich fühl's ja; ich habe ja den schlech- ten Moment." Einen solchen Moment zu vernichten, wandte er alles an. Dies war seine Eitelkeit. --
Nun kommt Graf Tilly. Der ist komisch und schlecht, denn er hat Reue, und ist unsicher über sich; bei eben so an- haltender und heftiger, aber mehr beschränkter Gewaltthätig- keit, weil er dabei so außerordentlich viel, nicht allein auf Andrer Äußerung über ihn und Behandlung seiner, wie alle Eitlen, giebt, sondern sogar auch sein besseres Urtheil sehr leicht, und fast immer, dem ihren nachstellt: dies bringt nun alle Augenblicke die ausgelassenste, gewaltthätigste Anmaßung zum Vorschein, die plötzlich an Kinderzweifeln über alle ge- sellige Gegenstände bricht, und ihn von dem empörtesten und empörendst ausgelassenen Zorn in die ungewisseste Bestürzung und lächerlichste Ungewißheit schleudert; dies in den geringsten Kleinigkeiten, die seinem beweglichen treffenden Verstande, und seiner immer fertigen und glücklichen Gabe sich auszudrücken, bei weitem nicht gewachsen sind. Ich glaube, die gegen seine übrigen Gaben unverhältnißmäßig große Gabe zu sprechen war davon ein versteckter Grund. Er war leicht von seinen und auch Anderer Behauptungen bestochen und überwältigt, wenn sie nur gut und in einem gewissen Zusammenhange ge- stellt waren, und handelte ganze Lebenszeiten hindurch nach einem solchen Ausspruche, ohne daß er mit seiner Überzeugung und seinem Gewissen Eins gewesen oder geworden wäre. So ward er tugendhafte und religiöse Vorstellungen seiner Er-
deren Nichtigkeit er ſchärfer als irgend ein Menſch wußte — „der Moment iſt doch da! in dieſem Moment iſt des Kerls Vortreten etwas; denn ich fühl’s ja; ich habe ja den ſchlech- ten Moment.“ Einen ſolchen Moment zu vernichten, wandte er alles an. Dies war ſeine Eitelkeit. —
Nun kommt Graf Tilly. Der iſt komiſch und ſchlecht, denn er hat Reue, und iſt unſicher über ſich; bei eben ſo an- haltender und heftiger, aber mehr beſchränkter Gewaltthätig- keit, weil er dabei ſo außerordentlich viel, nicht allein auf Andrer Äußerung über ihn und Behandlung ſeiner, wie alle Eitlen, giebt, ſondern ſogar auch ſein beſſeres Urtheil ſehr leicht, und faſt immer, dem ihren nachſtellt: dies bringt nun alle Augenblicke die ausgelaſſenſte, gewaltthätigſte Anmaßung zum Vorſchein, die plötzlich an Kinderzweifeln über alle ge- ſellige Gegenſtände bricht, und ihn von dem empörteſten und empörendſt ausgelaſſenen Zorn in die ungewiſſeſte Beſtürzung und lächerlichſte Ungewißheit ſchleudert; dies in den geringſten Kleinigkeiten, die ſeinem beweglichen treffenden Verſtande, und ſeiner immer fertigen und glücklichen Gabe ſich auszudrücken, bei weitem nicht gewachſen ſind. Ich glaube, die gegen ſeine übrigen Gaben unverhältnißmäßig große Gabe zu ſprechen war davon ein verſteckter Grund. Er war leicht von ſeinen und auch Anderer Behauptungen beſtochen und überwältigt, wenn ſie nur gut und in einem gewiſſen Zuſammenhange ge- ſtellt waren, und handelte ganze Lebenszeiten hindurch nach einem ſolchen Ausſpruche, ohne daß er mit ſeiner Überzeugung und ſeinem Gewiſſen Eins geweſen oder geworden wäre. So ward er tugendhafte und religiöſe Vorſtellungen ſeiner Er-
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deren Nichtigkeit er ſchärfer als irgend ein Menſch wußte —
„der Moment iſt doch da! in dieſem Moment iſt des Kerls
Vortreten etwas; denn ich fühl’s ja; ich habe ja den ſchlech-
ten Moment.“ Einen ſolchen Moment zu vernichten, wandte
er alles an. Dies war ſeine Eitelkeit. —
Nun kommt Graf Tilly. Der iſt komiſch und ſchlecht,
denn er hat Reue, und iſt unſicher über ſich; bei eben ſo an-
haltender und heftiger, aber mehr beſchränkter Gewaltthätig-
keit, weil er dabei ſo außerordentlich viel, nicht allein auf
Andrer Äußerung über ihn und Behandlung ſeiner, wie alle
Eitlen, giebt, ſondern ſogar auch ſein beſſeres Urtheil ſehr
leicht, und faſt immer, dem ihren nachſtellt: dies bringt nun
alle Augenblicke die ausgelaſſenſte, gewaltthätigſte Anmaßung
zum Vorſchein, die plötzlich an Kinderzweifeln über alle ge-
ſellige Gegenſtände bricht, und ihn von dem empörteſten und
empörendſt ausgelaſſenen Zorn in die ungewiſſeſte Beſtürzung
und lächerlichſte Ungewißheit ſchleudert; dies in den geringſten
Kleinigkeiten, die ſeinem beweglichen treffenden Verſtande, und
ſeiner immer fertigen und glücklichen Gabe ſich auszudrücken,
bei weitem nicht gewachſen ſind. Ich glaube, die gegen ſeine
übrigen Gaben unverhältnißmäßig große Gabe zu ſprechen
war davon ein verſteckter Grund. Er war leicht von ſeinen
und auch Anderer Behauptungen beſtochen und überwältigt,
wenn ſie nur gut und in einem gewiſſen Zuſammenhange ge-
ſtellt waren, und handelte ganze Lebenszeiten hindurch nach
einem ſolchen Ausſpruche, ohne daß er mit ſeiner Überzeugung
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/291>, abgerufen am 28.11.2024.
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