Vermag es, wie doppelt organisirt ihm meine Seele zu leihen, und habe die gewaltige Kraft, mich zu verdoppeln ohne mich zu verwirren. Ich bin so einzig, als die größte Erscheinung dieser Erde. Der größte Künstler, Philosoph, oder Dichter, ist nicht über mir. Wir sind vom selben Element. Im selben Rang, und gehören zusammen. Und der den andern aus- schließen wollte, schließt nur sich aus. Mir aber war das Leben angewiesen; und ich blieb im Keim, bis zu meinem Jahrhundert, und bin von außen ganz verschüttet, drum sag' ich's selbst. Damit ein Abbild die Existenz beschließt. Auch ist der Schmerz, wie ich ihn kenne, auch ein Leben; und ich denke, ich bin eins von den Gebilden, die die Mensch- heit werfen soll, und dann nicht mehr braucht, und nicht mehr kann. Mich kann niemand trösten: solch weisen Mann giebt's nicht: ich bin mein Trost; nun giebt es noch das Glück! das ist aber wie beleidigt von mir: und ich fühle auch, ich beleidige es. Das Glück definir' ich Ihnen ein andermal. So ungefähr steht's mit mir. Lebten Sie in Einer Stadt mit mir, Sie hätten einen unendlichen Genuß! Sie können sich das ewige Erblühen meines Lebens gar nicht denken. Aber Sie müßten sich die Strenge gefallen lassen, mich nur zu sehen, wann ich will. Sterben Sie nur nicht! das hängt ganz von Ihnen ab. Ich will mich gewiß nicht so vergessen. Ein Mensch wie wir kann nur aus inadvertance sterben; das fühl' ich auf's lebhafteste. Auch giebt es eine andere Art, das Leben zu erhalten; es giebt Tropfen auf andern Sternen, die allein hinlänglich sind, ein von Erde gesponnenes Leben zu erhalten; den Umschwung, die Nahrung, des begriffenern,
Vermag es, wie doppelt organiſirt ihm meine Seele zu leihen, und habe die gewaltige Kraft, mich zu verdoppeln ohne mich zu verwirren. Ich bin ſo einzig, als die größte Erſcheinung dieſer Erde. Der größte Künſtler, Philoſoph, oder Dichter, iſt nicht über mir. Wir ſind vom ſelben Element. Im ſelben Rang, und gehören zuſammen. Und der den andern aus- ſchließen wollte, ſchließt nur ſich aus. Mir aber war das Leben angewieſen; und ich blieb im Keim, bis zu meinem Jahrhundert, und bin von außen ganz verſchüttet, drum ſag’ ich’s ſelbſt. Damit ein Abbild die Exiſtenz beſchließt. Auch iſt der Schmerz, wie ich ihn kenne, auch ein Leben; und ich denke, ich bin eins von den Gebilden, die die Menſch- heit werfen ſoll, und dann nicht mehr braucht, und nicht mehr kann. Mich kann niemand tröſten: ſolch weiſen Mann giebt’s nicht: ich bin mein Troſt; nun giebt es noch das Glück! das iſt aber wie beleidigt von mir: und ich fühle auch, ich beleidige es. Das Glück definir’ ich Ihnen ein andermal. So ungefähr ſteht’s mit mir. Lebten Sie in Einer Stadt mit mir, Sie hätten einen unendlichen Genuß! Sie können ſich das ewige Erblühen meines Lebens gar nicht denken. Aber Sie müßten ſich die Strenge gefallen laſſen, mich nur zu ſehen, wann ich will. Sterben Sie nur nicht! das hängt ganz von Ihnen ab. Ich will mich gewiß nicht ſo vergeſſen. Ein Menſch wie wir kann nur aus inadvertance ſterben; das fühl’ ich auf’s lebhafteſte. Auch giebt es eine andere Art, das Leben zu erhalten; es giebt Tropfen auf andern Sternen, die allein hinlänglich ſind, ein von Erde geſponnenes Leben zu erhalten; den Umſchwung, die Nahrung, des begriffenern,
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Vermag es, wie doppelt organiſirt ihm meine Seele zu leihen,
und habe die gewaltige Kraft, mich zu verdoppeln ohne mich
zu verwirren. Ich bin ſo einzig, als die größte Erſcheinung
dieſer Erde. Der größte Künſtler, Philoſoph, oder Dichter, iſt
nicht über mir. Wir ſind vom ſelben Element. Im ſelben
Rang, und gehören zuſammen. Und der den andern aus-
ſchließen wollte, ſchließt nur ſich aus. Mir aber war das
Leben angewieſen; und ich blieb im Keim, bis zu meinem
Jahrhundert, und bin von außen ganz verſchüttet, drum
ſag’ ich’s ſelbſt. Damit ein Abbild die Exiſtenz beſchließt.
Auch iſt der Schmerz, wie ich ihn kenne, auch ein Leben; und
ich denke, ich bin eins von den Gebilden, die die Menſch-
heit werfen ſoll, und dann nicht mehr braucht, und nicht mehr
kann. Mich kann niemand tröſten: ſolch weiſen Mann
giebt’s nicht: ich bin mein Troſt; nun giebt es noch das Glück!
das iſt aber wie beleidigt von mir: und ich fühle auch, ich
beleidige es. Das Glück definir’ ich Ihnen ein andermal.
So ungefähr ſteht’s mit mir. Lebten Sie in Einer Stadt mit
mir, Sie hätten einen unendlichen Genuß! Sie können ſich
das ewige Erblühen meines Lebens gar nicht denken. Aber
Sie müßten ſich die Strenge gefallen laſſen, mich nur zu
ſehen, wann ich will. Sterben Sie nur nicht! das hängt
ganz von Ihnen ab. Ich will mich gewiß nicht ſo vergeſſen.
Ein Menſch wie wir kann nur aus inadvertance ſterben; das
fühl’ ich auf’s lebhafteſte. Auch giebt es eine andere Art,
das Leben zu erhalten; es giebt Tropfen auf andern Sternen,
die allein hinlänglich ſind, ein von Erde geſponnenes Leben
zu erhalten; den Umſchwung, die Nahrung, des begriffenern,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/280>, abgerufen am 27.11.2024.
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