Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
Worte verschmäht und den ärmlichen Wunsch, in die Kreise der Sprachkunst
Einzubannen den Geist, der im Unendlichen schwebt?
Ob mich dein höheres Leben entzück, deß heilige Flamme
Nicht auf häuslichem Heerd, nur auf Altären verglüht? --
Ja! so ahndete dich, mir selbst noch ein Fremdling, mein Herz schon,
Als ich die Räthsel des Seins kühner zu lösen beschloß;
Noch Ideale mir schuf, die verödete Welt zu bevölkern,
Schwinden sie sah, trostlos blickt' in die Dämmrung umher,
Bis dein magischer Wink mir den Kamrfpreis wies an der Weisheit
Fernem und einsamen Ziel, über Gewölken des Wahns,
Über dem Nebelgedüst, das die zartaufathmende Seele
Tiefer und tiefer hinab zaubert in sinnlichen Schlaf.
Klar dort leuchtete mir, dem erwachten, ein ewiges Sternbild
Durch der Geheimnisse Nacht, welche das Leben umhüllt. --
Schlummre die sklavische Welt denn fort, und genieße des Traumglücks,
Aus der entnervenden Ruh winde der Freie sich los!
Oft wehmüthiges Blicks, nicht weinendes, reichet er dir nun,
Seines veredelten Kamrfs hoher Genossin, die Hand.

Gedichte von Karl Gustav von Brinckmann. Erstes Bänd-
chen. Berlin, bei Sander 1804. S. 92. ff,




-- Diese ganze Lehre ist in einem Seelenzustand entstan-
den und erfunden, der nicht dauren kann; sie ist der Moment
der Weihe der Verläugnung und Wiedergeburt; das neue
Leben ist also im Tode zu finden, worauf sie sich bezieht, und
wir fangen mit ihr an. Sie ist eigentlich die Religion, die
aufs aller Heiligste getrieben in jeder Seele allein ausbre-
chen und wirken und leben, und eigentlich nicht mitgetheilt
werden sollte.

Zusammen auszuüben und zur Prachtreligion ist sie nicht
zu machen. Weil sie aber Verläugnung und Aufopferung
heischte, verbreitete sie sich wie eine Leidenschaft über die
Erde; so ist sie würdig und schön in den Herzen, wo sie

Worte verſchmäht und den ärmlichen Wunſch, in die Kreiſe der Sprachkunſt
Einzubannen den Geiſt, der im Unendlichen ſchwebt?
Ob mich dein höheres Leben entzück, deß heilige Flamme
Nicht auf häuslichem Heerd, nur auf Altären verglüht? —
Ja! ſo ahndete dich, mir ſelbſt noch ein Fremdling, mein Herz ſchon,
Als ich die Räthſel des Seins kühner zu löſen beſchloß;
Noch Ideale mir ſchuf, die verödete Welt zu bevölkern,
Schwinden ſie ſah, troſtlos blickt’ in die Dämmrung umher,
Bis dein magiſcher Wink mir den Kamrfpreis wies an der Weisheit
Fernem und einſamen Ziel, über Gewölken des Wahns,
Über dem Nebelgedüſt, das die zartaufathmende Seele
Tiefer und tiefer hinab zaubert in ſinnlichen Schlaf.
Klar dort leuchtete mir, dem erwachten, ein ewiges Sternbild
Durch der Geheimniſſe Nacht, welche das Leben umhüllt. —
Schlummre die ſklaviſche Welt denn fort, und genieße des Traumglücks,
Aus der entnervenden Ruh winde der Freie ſich los!
Oft wehmüthiges Blicks, nicht weinendes, reichet er dir nun,
Seines veredelten Kamrfs hoher Genoſſin, die Hand.

Gedichte von Karl Guſtav von Brinckmann. Erſtes Bänd-
chen. Berlin, bei Sander 1804. S. 92. ff,




— Dieſe ganze Lehre iſt in einem Seelenzuſtand entſtan-
den und erfunden, der nicht dauren kann; ſie iſt der Moment
der Weihe der Verläugnung und Wiedergeburt; das neue
Leben iſt alſo im Tode zu finden, worauf ſie ſich bezieht, und
wir fangen mit ihr an. Sie iſt eigentlich die Religion, die
aufs aller Heiligſte getrieben in jeder Seele allein ausbre-
chen und wirken und leben, und eigentlich nicht mitgetheilt
werden ſollte.

Zuſammen auszuüben und zur Prachtreligion iſt ſie nicht
zu machen. Weil ſie aber Verläugnung und Aufopferung
heiſchte, verbreitete ſie ſich wie eine Leidenſchaft über die
Erde; ſo iſt ſie würdig und ſchön in den Herzen, wo ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0276" n="262"/>
              <l>Worte ver&#x017F;chmäht und den ärmlichen Wun&#x017F;ch, in die Krei&#x017F;e der Sprachkun&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Einzubannen den Gei&#x017F;t, der im Unendlichen &#x017F;chwebt?</l><lb/>
              <l>Ob mich dein höheres Leben entzück, deß heilige Flamme</l><lb/>
              <l>Nicht auf häuslichem Heerd, nur auf Altären verglüht? &#x2014;</l><lb/>
              <l>Ja! &#x017F;o ahndete dich, mir &#x017F;elb&#x017F;t noch ein Fremdling, mein Herz &#x017F;chon,</l><lb/>
              <l>Als ich die Räth&#x017F;el des Seins kühner zu lö&#x017F;en be&#x017F;chloß;</l><lb/>
              <l>Noch Ideale mir &#x017F;chuf, die verödete Welt zu bevölkern,</l><lb/>
              <l>Schwinden &#x017F;ie &#x017F;ah, tro&#x017F;tlos blickt&#x2019; in die Dämmrung umher,</l><lb/>
              <l>Bis dein magi&#x017F;cher Wink mir den Kamrfpreis wies an der Weisheit</l><lb/>
              <l>Fernem und ein&#x017F;amen Ziel, über Gewölken des Wahns,</l><lb/>
              <l>Über dem Nebelgedü&#x017F;t, das die zartaufathmende Seele</l><lb/>
              <l>Tiefer und tiefer hinab zaubert in &#x017F;innlichen Schlaf.</l><lb/>
              <l>Klar dort leuchtete mir, dem erwachten, ein ewiges Sternbild</l><lb/>
              <l>Durch der Geheimni&#x017F;&#x017F;e Nacht, welche das Leben umhüllt. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Schlummre die &#x017F;klavi&#x017F;che Welt denn fort, und genieße des Traumglücks,</l><lb/>
              <l>Aus der entnervenden Ruh winde der Freie &#x017F;ich los!</l><lb/>
              <l>Oft wehmüthiges Blicks, nicht weinendes, reichet er dir nun,</l><lb/>
              <l>Seines veredelten Kamrfs hoher Geno&#x017F;&#x017F;in, die Hand.</l>
            </lg><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Gedichte von Karl Gu&#x017F;tav von Brinckmann. Er&#x017F;tes Bänd-<lb/>
chen. Berlin, bei Sander 1804. S. 92. ff,</hi> </p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 12. December 1804.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Die&#x017F;e ganze Lehre i&#x017F;t in einem Seelenzu&#x017F;tand ent&#x017F;tan-<lb/>
den und erfunden, der nicht dauren kann; &#x017F;ie i&#x017F;t der Moment<lb/>
der Weihe der Verläugnung und Wiedergeburt; das <hi rendition="#g">neue</hi><lb/>
Leben i&#x017F;t al&#x017F;o im Tode zu finden, worauf &#x017F;ie &#x017F;ich bezieht, und<lb/>
wir fangen mit ihr an. Sie i&#x017F;t eigentlich die Religion, die<lb/>
aufs aller Heilig&#x017F;te getrieben in jeder Seele <hi rendition="#g">allein</hi> ausbre-<lb/>
chen und wirken und leben, und eigentlich nicht mitgetheilt<lb/>
werden &#x017F;ollte.</p><lb/>
            <p>Zu&#x017F;ammen auszuüben und zur Prachtreligion i&#x017F;t &#x017F;ie nicht<lb/>
zu machen. Weil &#x017F;ie aber Verläugnung und Aufopferung<lb/>
hei&#x017F;chte, verbreitete &#x017F;ie &#x017F;ich wie eine <hi rendition="#g">Leiden&#x017F;chaft</hi> über die<lb/>
Erde; &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie würdig und &#x017F;chön in den Herzen, wo &#x017F;ie<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0276] Worte verſchmäht und den ärmlichen Wunſch, in die Kreiſe der Sprachkunſt Einzubannen den Geiſt, der im Unendlichen ſchwebt? Ob mich dein höheres Leben entzück, deß heilige Flamme Nicht auf häuslichem Heerd, nur auf Altären verglüht? — Ja! ſo ahndete dich, mir ſelbſt noch ein Fremdling, mein Herz ſchon, Als ich die Räthſel des Seins kühner zu löſen beſchloß; Noch Ideale mir ſchuf, die verödete Welt zu bevölkern, Schwinden ſie ſah, troſtlos blickt’ in die Dämmrung umher, Bis dein magiſcher Wink mir den Kamrfpreis wies an der Weisheit Fernem und einſamen Ziel, über Gewölken des Wahns, Über dem Nebelgedüſt, das die zartaufathmende Seele Tiefer und tiefer hinab zaubert in ſinnlichen Schlaf. Klar dort leuchtete mir, dem erwachten, ein ewiges Sternbild Durch der Geheimniſſe Nacht, welche das Leben umhüllt. — Schlummre die ſklaviſche Welt denn fort, und genieße des Traumglücks, Aus der entnervenden Ruh winde der Freie ſich los! Oft wehmüthiges Blicks, nicht weinendes, reichet er dir nun, Seines veredelten Kamrfs hoher Genoſſin, die Hand. Gedichte von Karl Guſtav von Brinckmann. Erſtes Bänd- chen. Berlin, bei Sander 1804. S. 92. ff, Berlin, den 12. December 1804. — Dieſe ganze Lehre iſt in einem Seelenzuſtand entſtan- den und erfunden, der nicht dauren kann; ſie iſt der Moment der Weihe der Verläugnung und Wiedergeburt; das neue Leben iſt alſo im Tode zu finden, worauf ſie ſich bezieht, und wir fangen mit ihr an. Sie iſt eigentlich die Religion, die aufs aller Heiligſte getrieben in jeder Seele allein ausbre- chen und wirken und leben, und eigentlich nicht mitgetheilt werden ſollte. Zuſammen auszuüben und zur Prachtreligion iſt ſie nicht zu machen. Weil ſie aber Verläugnung und Aufopferung heiſchte, verbreitete ſie ſich wie eine Leidenſchaft über die Erde; ſo iſt ſie würdig und ſchön in den Herzen, wo ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/276
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/276>, abgerufen am 23.12.2024.