Wenn ich mir ihn denke, so treten die Thränen mir in's Auge: alle andere Menschen liebe ich nur mit meinen Kräf- ten; er lehrt mich mit den seinen lieben. Und ich weiß auch gar nicht, wie sehr ich noch werde lieben müssen. Wie oft dacht' ich schon, mehr trägt dein Wesen nicht: und das We- sen änderte sich. Mein Dichter!
Negerhandel, Krieg, Ehe! -- und sie wundern sich, und flicken.
Die Menschen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß sie sie gar nicht bedürfen, vermissen, und zu genießen verstehen. Hieraus lassen sich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.
März 1803.
Das Fühlen ist etwas Feineres, als das Denken: das Denken hat das Vermögen sich selbst zu erklären, das Fühlen kann das nicht, und ist unsere Gränze, diese Gränze sind wir selbst; es weiß nur, daß es existirt. Mit Gränzen ließe sich alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt, umschließt unser eigenes Wesen, und ist folglich ein Theil desselben.
Was ist das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Mensch von ihm sprechen.
17 *
Wenn ich mir ihn denke, ſo treten die Thränen mir in’s Auge: alle andere Menſchen liebe ich nur mit meinen Kräf- ten; er lehrt mich mit den ſeinen lieben. Und ich weiß auch gar nicht, wie ſehr ich noch werde lieben müſſen. Wie oft dacht’ ich ſchon, mehr trägt dein Weſen nicht: und das We- ſen änderte ſich. Mein Dichter!
Negerhandel, Krieg, Ehe! — und ſie wundern ſich, und flicken.
Die Menſchen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß ſie ſie gar nicht bedürfen, vermiſſen, und zu genießen verſtehen. Hieraus laſſen ſich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.
März 1803.
Das Fühlen iſt etwas Feineres, als das Denken: das Denken hat das Vermögen ſich ſelbſt zu erklären, das Fühlen kann das nicht, und iſt unſere Gränze, dieſe Gränze ſind wir ſelbſt; es weiß nur, daß es exiſtirt. Mit Gränzen ließe ſich alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt, umſchließt unſer eigenes Weſen, und iſt folglich ein Theil deſſelben.
Was iſt das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Menſch von ihm ſprechen.
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Wenn ich mir ihn denke, ſo treten die Thränen mir in’s
Auge: alle andere Menſchen liebe ich nur mit meinen Kräf-
ten; er lehrt mich mit den ſeinen lieben. Und ich weiß auch
gar nicht, wie ſehr ich noch werde lieben müſſen. Wie oft
dacht’ ich ſchon, mehr trägt dein Weſen nicht: und das We-
ſen änderte ſich. Mein Dichter!
Negerhandel, Krieg, Ehe! — und ſie wundern ſich, und
flicken.
Die Menſchen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens
nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß ſie
ſie gar nicht bedürfen, vermiſſen, und zu genießen verſtehen.
Hieraus laſſen ſich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.
März 1803.
Das Fühlen iſt etwas Feineres, als das Denken: das
Denken hat das Vermögen ſich ſelbſt zu erklären, das Fühlen
kann das nicht, und iſt unſere Gränze, dieſe Gränze ſind wir
ſelbſt; es weiß nur, daß es exiſtirt. Mit Gränzen ließe ſich
alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt,
umſchließt unſer eigenes Weſen, und iſt folglich ein Theil
deſſelben.
Was iſt das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht
zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Menſch von ihm
ſprechen.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/273>, abgerufen am 22.12.2024.
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