gerin all meine Briefe zeigen, auch von Rose, und Sie wer- den meine Genesung erkennen. --
Den 23. Februar 1801.
So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.
Wie kann das Leben gut sein, da man wie in einem un- sichern Schiffe vor den schönsten Ufern vorbeifliegt, und nur in Eil und durch Geschicklichkeit sich Blumen und Schätze er- reißt, an dürren Klippen aber wider Willen festgebannt wird, oder zerschmettert!
1801.
Das würdigste Glück auf Erden ist, in mancher Berau- bung immer zu leben: das geschieht nur ausgezeichneten Men- schen, nämlich solchen, die das kennen, was göttlich wäre; besitzen kann es niemand. Unsere Wünsche sind unsere Seele, der Genuß ist endlich, und allein das Wirkliche. Und wir sollten uns und allem, was leben muß, den Wechsel und jede Thorheit nicht gestatten? Anfangen muß anderes: besin- nen muß man sich auch. Eine Thräne zwischen einem Genusse und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen des Himmels auf der Erde.
Wie wir selbst sind, schließen wir ja auch nur. Wir müssen ja Momente zusammennehmen, und das Passendste als etwas Ganzes ansehn.
gerin all meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer- den meine Geneſung erkennen. —
Den 23. Februar 1801.
So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.
Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un- ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er- reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird, oder zerſchmettert!
1801.
Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau- bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men- ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre; beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele, der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede Thorheit nicht geſtatten? Anfangen muß anderes: beſin- nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen des Himmels auf der Erde.
Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte als etwas Ganzes anſehn.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0245"n="231"/>
gerin <hirendition="#g">all</hi> meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer-<lb/>
den meine Geneſung erkennen. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 23. Februar 1801.</hi></dateline><lb/><p>So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un-<lb/>ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur<lb/>
in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er-<lb/>
reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird,<lb/>
oder zerſchmettert!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1801.</hi></dateline><lb/><p>Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau-<lb/>
bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men-<lb/>ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre;<lb/>
beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele,<lb/>
der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir<lb/>ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede<lb/>
Thorheit nicht geſtatten? <hirendition="#g">Anfangen</hi> muß <hirendition="#g">anderes</hi>: beſin-<lb/>
nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe<lb/>
und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen<lb/>
des Himmels auf der Erde.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir<lb/>
müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte<lb/>
als etwas Ganzes anſehn.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[231/0245]
gerin all meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer-
den meine Geneſung erkennen. —
Den 23. Februar 1801.
So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.
Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un-
ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur
in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er-
reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird,
oder zerſchmettert!
1801.
Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau-
bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men-
ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre;
beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele,
der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir
ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede
Thorheit nicht geſtatten? Anfangen muß anderes: beſin-
nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe
und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen
des Himmels auf der Erde.
Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir
müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte
als etwas Ganzes anſehn.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/245>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.