Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

manchen Gelegenheiten im Menschen vorgehen könnte, um
daß ich mich je zieren würde, aber ich hab' es so gesagt, daß
Sie mich mißverstehen müssen. Ich meinte es in der Art:
daß ich nie etwas übel deute oder nehme, weil es Andere
thun, und man es bei der Gelegenheit zu thun pflegt, oder
sich hier effarouchiren müßte; sondern ich sei gewöhnt alles zu
untersuchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei Andern
kann gegangen sein, was ich von ihnen wahrnehme; und wie
ich das wiederum am besten nehmen könnte. Wie könnt' ich
also wild aufflattern, wo die Rede nur unter vernünftigen
Menschen ist, und von vernünftigen Dingen, und grade mit
meinem eignen Flüchten das einzige Geräusch, den einzigen
Sturm erregen, der hier möglich ist. Sie sind anders wie
ich. Was ist denn nun da? Ist es nicht genug, daß wir in
so vielen Dingen gleich denken, uns immer schnell berichti-
gen können, sollen sie noch gleich in uns vorgehen? Das geht
nicht; wie gesagt. Die Ordnung wäre zu groß, und dann
schien's als wäre die Welt darum da. Und ich sehe auch den
Grund dieser Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein, als daß
sie mich mehr aufbringen sollte: im Gegentheil, ich hab' uns
von jeher für zu verschieden gemacht gefunden, als daß ich
unsere jetzige Übereinstimmung nur hätte hoffen dürfen, denn
mir scheint's doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders,
sehr verschieden, wo nicht umgekehrt, übereinander. Die Re-
sultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich ist
unsre Freundschaft ein wahrer Triumph -- der einzig genieß-
bare für mich -- das Produkt zweier vereinigt vernünftigen
Wesen, die, sie mögen weichen und wandeln, sich unbezwei-

manchen Gelegenheiten im Menſchen vorgehen könnte, um
daß ich mich je zieren würde, aber ich hab’ es ſo geſagt, daß
Sie mich mißverſtehen müſſen. Ich meinte es in der Art:
daß ich nie etwas übel deute oder nehme, weil es Andere
thun, und man es bei der Gelegenheit zu thun pflegt, oder
ſich hier effarouchiren müßte; ſondern ich ſei gewöhnt alles zu
unterſuchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei Andern
kann gegangen ſein, was ich von ihnen wahrnehme; und wie
ich das wiederum am beſten nehmen könnte. Wie könnt’ ich
alſo wild aufflattern, wo die Rede nur unter vernünftigen
Menſchen iſt, und von vernünftigen Dingen, und grade mit
meinem eignen Flüchten das einzige Geräuſch, den einzigen
Sturm erregen, der hier möglich iſt. Sie ſind anders wie
ich. Was iſt denn nun da? Iſt es nicht genug, daß wir in
ſo vielen Dingen gleich denken, uns immer ſchnell berichti-
gen können, ſollen ſie noch gleich in uns vorgehen? Das geht
nicht; wie geſagt. Die Ordnung wäre zu groß, und dann
ſchien’s als wäre die Welt darum da. Und ich ſehe auch den
Grund dieſer Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein, als daß
ſie mich mehr aufbringen ſollte: im Gegentheil, ich hab’ uns
von jeher für zu verſchieden gemacht gefunden, als daß ich
unſere jetzige Übereinſtimmung nur hätte hoffen dürfen, denn
mir ſcheint’s doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders,
ſehr verſchieden, wo nicht umgekehrt, übereinander. Die Re-
ſultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich iſt
unſre Freundſchaft ein wahrer Triumph — der einzig genieß-
bare für mich — das Produkt zweier vereinigt vernünftigen
Weſen, die, ſie mögen weichen und wandeln, ſich unbezwei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0165" n="151"/>
manchen Gelegenheiten im Men&#x017F;chen vorgehen könnte, um<lb/>
daß ich mich je zieren würde, aber ich hab&#x2019; es &#x017F;o ge&#x017F;agt, daß<lb/>
Sie mich mißver&#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;en. Ich meinte es in der Art:<lb/>
daß ich nie etwas übel deute oder nehme, weil es Andere<lb/>
thun, und man es bei der Gelegenheit zu thun pflegt, oder<lb/>
&#x017F;ich hier effarouchiren müßte; &#x017F;ondern ich &#x017F;ei gewöhnt alles zu<lb/>
unter&#x017F;uchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei Andern<lb/>
kann gegangen &#x017F;ein, was ich von ihnen wahrnehme; und wie<lb/>
ich das wiederum am be&#x017F;ten nehmen könnte. Wie könnt&#x2019; ich<lb/>
al&#x017F;o wild aufflattern, wo die Rede nur unter vernünftigen<lb/>
Men&#x017F;chen i&#x017F;t, und von vernünftigen Dingen, und grade mit<lb/>
meinem eignen Flüchten das einzige Geräu&#x017F;ch, den einzigen<lb/>
Sturm erregen, der hier möglich i&#x017F;t. Sie &#x017F;ind anders wie<lb/>
ich. Was i&#x017F;t denn nun da? I&#x017F;t es nicht genug, daß wir in<lb/>
&#x017F;o vielen Dingen gleich denken, uns <hi rendition="#g">immer</hi> &#x017F;chnell berichti-<lb/>
gen können, &#x017F;ollen &#x017F;ie noch gleich in uns vorgehen? Das geht<lb/>
nicht; wie ge&#x017F;agt. Die Ordnung wäre zu groß, und dann<lb/>
&#x017F;chien&#x2019;s als wäre die Welt darum da. Und ich &#x017F;ehe auch den<lb/>
Grund die&#x017F;er Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein, als daß<lb/>
&#x017F;ie mich mehr aufbringen &#x017F;ollte: im Gegentheil, ich hab&#x2019; uns<lb/>
von jeher für zu ver&#x017F;chieden gemacht gefunden, als daß ich<lb/>
un&#x017F;ere jetzige Überein&#x017F;timmung nur hätte hoffen dürfen, denn<lb/>
mir &#x017F;cheint&#x2019;s doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders,<lb/>
&#x017F;ehr ver&#x017F;chieden, wo nicht umgekehrt, übereinander. Die Re-<lb/>
&#x017F;ultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich i&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;re Freund&#x017F;chaft ein wahrer Triumph &#x2014; der einzig genieß-<lb/>
bare für mich &#x2014; das Produkt zweier vereinigt vernünftigen<lb/>
We&#x017F;en, die, &#x017F;ie mögen weichen und wandeln, &#x017F;ich unbezwei-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0165] manchen Gelegenheiten im Menſchen vorgehen könnte, um daß ich mich je zieren würde, aber ich hab’ es ſo geſagt, daß Sie mich mißverſtehen müſſen. Ich meinte es in der Art: daß ich nie etwas übel deute oder nehme, weil es Andere thun, und man es bei der Gelegenheit zu thun pflegt, oder ſich hier effarouchiren müßte; ſondern ich ſei gewöhnt alles zu unterſuchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei Andern kann gegangen ſein, was ich von ihnen wahrnehme; und wie ich das wiederum am beſten nehmen könnte. Wie könnt’ ich alſo wild aufflattern, wo die Rede nur unter vernünftigen Menſchen iſt, und von vernünftigen Dingen, und grade mit meinem eignen Flüchten das einzige Geräuſch, den einzigen Sturm erregen, der hier möglich iſt. Sie ſind anders wie ich. Was iſt denn nun da? Iſt es nicht genug, daß wir in ſo vielen Dingen gleich denken, uns immer ſchnell berichti- gen können, ſollen ſie noch gleich in uns vorgehen? Das geht nicht; wie geſagt. Die Ordnung wäre zu groß, und dann ſchien’s als wäre die Welt darum da. Und ich ſehe auch den Grund dieſer Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein, als daß ſie mich mehr aufbringen ſollte: im Gegentheil, ich hab’ uns von jeher für zu verſchieden gemacht gefunden, als daß ich unſere jetzige Übereinſtimmung nur hätte hoffen dürfen, denn mir ſcheint’s doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders, ſehr verſchieden, wo nicht umgekehrt, übereinander. Die Re- ſultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich iſt unſre Freundſchaft ein wahrer Triumph — der einzig genieß- bare für mich — das Produkt zweier vereinigt vernünftigen Weſen, die, ſie mögen weichen und wandeln, ſich unbezwei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/165
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/165>, abgerufen am 22.12.2024.