sich wagt, leicht fade werden kann, scheint mir in der Regel. -- Wozu dieser Ausfall auf Schummel! -- Das Gedicht von Goethe auf die Knappschaft zu Tarnowitz ist himmlisch. Ja, ja, Redlichkeit ist das Wort, das ich meine, die und Verstand, die bahnen manchen Weg. Redlichkeit ist Wahrheit; und nur ein Narr liebt sie nicht. Und wie himmlisch, "helfen" sagt er, ja helfen thun sie auch nur. Die Welt findet man fertig wie sie ist. Die Wege muß man suchen. Noch Eins! wie göttlich paßt dies alles im Allgemeinen, mit jedem Wort und wie ganz für den Fall und die Knappschaft, sogar selbst für die moralisch-verständlich: und wie schön, umgekehrt, sieht man erst bei einer zweiten Übersicht, daß es auch für diesen einzelnen Fall anpassend gilt. Es ist ein wirkliches Gedicht, diese Zeilen, jedes Wort ist dichterisch, es ist ein Ganzes und ist eine allgemeine Wahrheit. Es fängt so fragend, so phan- tastisch an, und schließt so bündig; und die Wahrheit ist so grabend, und so tief wie ein Bergwerk selbst. Kurz, mir scheint's sehr poetisch: und so orakelartig, wie die Dichter sprechen sollten. In diesen Zeilen hat er auch wieder die stille Natur, und die bewegte Welt, und dann die Wahl, die einem bleibt, berührt. Mehr giebt's doch nicht. Ein wahrer Dichter muß an die äußersten Enden greifen -- bezeichnet er den Tasso selbst; den hab' ich studirt, wie er Hamlet -- und, diese bei jedem kleinen einzelnen Fall immer natürlich berüh- ren, ist ein großer Dichter. Ich bin schon wieder in Goethe hineingekommen: dann muß man mir vieles verzeihen. Ich werd' Ihnen schon einmal sagen wie so. In einem Briefe
ſich wagt, leicht fade werden kann, ſcheint mir in der Regel. — Wozu dieſer Ausfall auf Schummel! — Das Gedicht von Goethe auf die Knappſchaft zu Tarnowitz iſt himmliſch. Ja, ja, Redlichkeit iſt das Wort, das ich meine, die und Verſtand, die bahnen manchen Weg. Redlichkeit iſt Wahrheit; und nur ein Narr liebt ſie nicht. Und wie himmliſch, „helfen“ ſagt er, ja helfen thun ſie auch nur. Die Welt findet man fertig wie ſie iſt. Die Wege muß man ſuchen. Noch Eins! wie göttlich paßt dies alles im Allgemeinen, mit jedem Wort und wie ganz für den Fall und die Knappſchaft, ſogar ſelbſt für die moraliſch-verſtändlich: und wie ſchön, umgekehrt, ſieht man erſt bei einer zweiten Überſicht, daß es auch für dieſen einzelnen Fall anpaſſend gilt. Es iſt ein wirkliches Gedicht, dieſe Zeilen, jedes Wort iſt dichteriſch, es iſt ein Ganzes und iſt eine allgemeine Wahrheit. Es fängt ſo fragend, ſo phan- taſtiſch an, und ſchließt ſo bündig; und die Wahrheit iſt ſo grabend, und ſo tief wie ein Bergwerk ſelbſt. Kurz, mir ſcheint’s ſehr poetiſch: und ſo orakelartig, wie die Dichter ſprechen ſollten. In dieſen Zeilen hat er auch wieder die ſtille Natur, und die bewegte Welt, und dann die Wahl, die einem bleibt, berührt. Mehr giebt’s doch nicht. Ein wahrer Dichter muß an die äußerſten Enden greifen — bezeichnet er den Taſſo ſelbſt; den hab’ ich ſtudirt, wie er Hamlet — und, dieſe bei jedem kleinen einzelnen Fall immer natürlich berüh- ren, iſt ein großer Dichter. Ich bin ſchon wieder in Goethe hineingekommen: dann muß man mir vieles verzeihen. Ich werd’ Ihnen ſchon einmal ſagen wie ſo. In einem Briefe
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ſich wagt, leicht fade werden kann, ſcheint mir in der Regel.
— Wozu dieſer Ausfall auf Schummel! — Das Gedicht von
Goethe auf die Knappſchaft zu Tarnowitz iſt himmliſch. Ja,
ja, Redlichkeit iſt das Wort, das ich meine, die und Verſtand,
die bahnen manchen Weg. Redlichkeit iſt Wahrheit; und
nur ein Narr liebt ſie nicht. Und wie himmliſch, „helfen“
ſagt er, ja helfen thun ſie auch nur. Die Welt findet man
fertig wie ſie iſt. Die Wege muß man ſuchen. Noch Eins!
wie göttlich paßt dies alles im Allgemeinen, mit jedem Wort
und wie ganz für den Fall und die Knappſchaft, ſogar ſelbſt
für die moraliſch-verſtändlich: und wie ſchön, umgekehrt, ſieht
man erſt bei einer zweiten Überſicht, daß es auch für dieſen
einzelnen Fall anpaſſend gilt. Es iſt ein wirkliches Gedicht,
dieſe Zeilen, jedes Wort iſt dichteriſch, es iſt ein Ganzes und
iſt eine allgemeine Wahrheit. Es fängt ſo fragend, ſo phan-
taſtiſch an, und ſchließt ſo bündig; und die Wahrheit iſt ſo
grabend, und ſo tief wie ein Bergwerk ſelbſt. Kurz, mir
ſcheint’s ſehr poetiſch: und ſo orakelartig, wie die Dichter
ſprechen ſollten. In dieſen Zeilen hat er auch wieder die
ſtille Natur, und die bewegte Welt, und dann die Wahl, die
einem bleibt, berührt. Mehr giebt’s doch nicht. Ein wahrer
Dichter muß an die äußerſten Enden greifen — bezeichnet er
den Taſſo ſelbſt; den hab’ ich ſtudirt, wie er Hamlet — und,
dieſe bei jedem kleinen einzelnen Fall immer natürlich berüh-
ren, iſt ein großer Dichter. Ich bin ſchon wieder in Goethe
hineingekommen: dann muß man mir vieles verzeihen. Ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/156>, abgerufen am 22.12.2024.
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