Und sonst wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien nicht zu verstehen. Nun giebt's noch viele Interims-Glücke, die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der Welt. "Sehe jeder wie er's treibe, sehe jeder wo er bleibe, und wer steht, daß er nicht falle." Ist man aber gefallen, setze ich hinzu, und sei's eine Mamsell, so stehe man mit An- stand und Freimuth auf, und suche sich zu heilen, wenn man nicht todt ist. Ich spreche darum über alles mit Ihnen en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menschen, daraus leicht die einzelnen Fälle verstehen, da die Andern durch viele einzelne erst etwas Ganzes fassen. -- In Aurelien habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr in dem aus Lessing Abgeschriebenen. Das streichen Sie aus, denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal- ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meister nicht. Ja ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie sagen: "Ob das Verlust wäre!"). Wenn er auch alles er- funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal gehört, das weiß ich, das glaub' ich. Es sagt's ja die Prinzessin im Tasso auch; nur aus einem andern Ton. Wie groß ist das! Gehört hat er's aber. Die Frauen laß ich mir nicht abstreiten. Entweder, man denkt so etwas als Frau, oder man hört's von einer Frau. Zu erfinden ist das nicht. Alles andere nur Menschenmögliche gesteh' ich ihm zu. Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erste Theil von Meister besser; im Grunde sollte man von keinem Werke sprechen, welches nach und nach erscheint, und keins so herausgeben.
Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke, die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der Welt. „Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe, und wer ſteht, daß er nicht falle.“ Iſt man aber gefallen, ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit An- ſtand und Freimuth auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen, daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. — In Aurelien habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. Das ſtreichen Sie aus, denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal- ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie ſagen: „Ob das Verluſt wäre!“). Wenn er auch alles er- funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal gehört, das weiß ich, das glaub’ ich. Es ſagt’s ja die Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie groß iſt das! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas als Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt das nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh’ ich ihm zu. Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erſte Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins ſo herausgeben.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0154"n="140"/>
Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien<lb/>
nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke,<lb/>
die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der<lb/>
Welt. „Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe,<lb/>
und wer ſteht, daß er nicht falle.“ Iſt man aber gefallen,<lb/>ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit <hirendition="#g">An-<lb/>ſtand</hi> und <hirendition="#g">Freimuth</hi> auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn<lb/>
man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen<lb/><hirendition="#aq">en gros,</hi> weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen,<lb/>
daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern<lb/>
durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. — In Aurelien<lb/>
habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr<lb/>
in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. <hirendition="#g">Das</hi>ſtreichen Sie aus,<lb/>
denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal-<lb/>
ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja<lb/>
ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie <hirendition="#g">Sie</hi><lb/>ſagen: „Ob das Verluſt wäre!“). Wenn er auch alles er-<lb/>
funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal<lb/><hirendition="#g">gehört</hi>, das weiß ich, das glaub’ ich. Es ſagt’s ja die<lb/>
Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie<lb/>
groß iſt <hirendition="#g">das</hi>! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich<lb/>
mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas <hirendition="#g">als</hi><lb/>
Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt <hirendition="#g">das</hi><lb/>
nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh’ ich <hirendition="#g">ihm</hi> zu.<lb/><hirendition="#g">Das</hi> weiß ich aber als <hirendition="#g">ich</hi>. Im Grunde gefällt mir der erſte<lb/>
Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem<lb/>
Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins<lb/>ſo herausgeben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[140/0154]
Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien
nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke,
die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der
Welt. „Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe,
und wer ſteht, daß er nicht falle.“ Iſt man aber gefallen,
ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit An-
ſtand und Freimuth auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn
man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen
en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen,
daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern
durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. — In Aurelien
habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr
in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. Das ſtreichen Sie aus,
denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal-
ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja
ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie
ſagen: „Ob das Verluſt wäre!“). Wenn er auch alles er-
funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal
gehört, das weiß ich, das glaub’ ich. Es ſagt’s ja die
Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie
groß iſt das! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich
mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas als
Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt das
nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh’ ich ihm zu.
Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erſte
Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem
Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins
ſo herausgeben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/154>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.