mein Unglück nicht im geringsten daraus ersehen würde, wenn man's nicht kennt.
Nun will ich Ihre Briefe suchen, und sehen, worauf ich antworten muß. Eben hab' ich dem Hrn. von Brinckmann absagen lassen: "es ist mir unmöglich." Der vom 5. Januar soll den Anfang machen. Tausend, tausend Dank für Fichte's Buch, das war der Pflug, der mich urbar zu den Horen machte; die interessiren mich jetzt am allermeisten; ich versteh' sie ganz, mit den Menschen muß man nicht darüber reden; und auch geradezu sage ich, wie sie, ich versteh' oder lese sie nicht; und ihre Gemeinnützigkeit sagt die erste Epistel, das Erste in der Welt, alles, und niemand kann noch etwas sagen. Die wird am wenigsten verstanden, und die Men- schen halten sich an die Ankündigung, weil die das Einzige ist, was sie fassen können, und dabei schreien sie! meine Ohren vertauben. Leute, die von jeher für fein passirt ha- ben, verstehen sie auch nicht. "Wie kann man Empfindun- gen erklären, in Systeme fassen," ist ihr letzter Grund, den sie denken, und was sich darauf bauen läßt, sagen sie. Wahre Dankbarkeit für Ihre Nachricht von den Horen! nur immer so! "Solche Schläge." Das kann ich Ihnen nicht ersetzen. Diesen Brief muß ich Ihnen mündlich und ausführ- lich beantworten; Sie sprechen darin von meinem Karakter, ich gebe Ihnen gern Auskunft darüber, weil Sie's als ein Ganzes fassen. Also seh' ich nicht ein, woher der gemeine Menschenverstand zu seiner Meinung gekommen ist? Sie glauben's selbst nicht. Aus Schwäche und Schwächen Gitter zu machen: ich fühle mich stark, und bin schamlos genug, es
mein Unglück nicht im geringſten daraus erſehen würde, wenn man’s nicht kennt.
Nun will ich Ihre Briefe ſuchen, und ſehen, worauf ich antworten muß. Eben hab’ ich dem Hrn. von Brinckmann abſagen laſſen: „es iſt mir unmöglich.“ Der vom 5. Januar ſoll den Anfang machen. Tauſend, tauſend Dank für Fichte’s Buch, das war der Pflug, der mich urbar zu den Horen machte; die intereſſiren mich jetzt am allermeiſten; ich verſteh’ ſie ganz, mit den Menſchen muß man nicht darüber reden; und auch geradezu ſage ich, wie ſie, ich verſteh’ oder leſe ſie nicht; und ihre Gemeinnützigkeit ſagt die erſte Epiſtel, das Erſte in der Welt, alles, und niemand kann noch etwas ſagen. Die wird am wenigſten verſtanden, und die Men- ſchen halten ſich an die Ankündigung, weil die das Einzige iſt, was ſie faſſen können, und dabei ſchreien ſie! meine Ohren vertauben. Leute, die von jeher für fein paſſirt ha- ben, verſtehen ſie auch nicht. „Wie kann man Empfindun- gen erklären, in Syſteme faſſen,“ iſt ihr letzter Grund, den ſie denken, und was ſich darauf bauen läßt, ſagen ſie. Wahre Dankbarkeit für Ihre Nachricht von den Horen! nur immer ſo! „Solche Schläge.“ Das kann ich Ihnen nicht erſetzen. Dieſen Brief muß ich Ihnen mündlich und ausführ- lich beantworten; Sie ſprechen darin von meinem Karakter, ich gebe Ihnen gern Auskunft darüber, weil Sie’s als ein Ganzes faſſen. Alſo ſeh’ ich nicht ein, woher der gemeine Menſchenverſtand zu ſeiner Meinung gekommen iſt? Sie glauben’s ſelbſt nicht. Aus Schwäche und Schwächen Gitter zu machen: ich fühle mich ſtark, und bin ſchamlos genug, es
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mein Unglück nicht im geringſten daraus erſehen würde, wenn
man’s nicht kennt.
Nun will ich Ihre Briefe ſuchen, und ſehen, worauf ich
antworten muß. Eben hab’ ich dem Hrn. von Brinckmann
abſagen laſſen: „es iſt mir unmöglich.“ Der vom 5. Januar
ſoll den Anfang machen. Tauſend, tauſend Dank für Fichte’s
Buch, das war der Pflug, der mich urbar zu den Horen
machte; die intereſſiren mich jetzt am allermeiſten; ich verſteh’
ſie ganz, mit den Menſchen muß man nicht darüber reden;
und auch geradezu ſage ich, wie ſie, ich verſteh’ oder leſe ſie
nicht; und ihre Gemeinnützigkeit ſagt die erſte Epiſtel, das
Erſte in der Welt, alles, und niemand kann noch etwas
ſagen. Die wird am wenigſten verſtanden, und die Men-
ſchen halten ſich an die Ankündigung, weil die das Einzige
iſt, was ſie faſſen können, und dabei ſchreien ſie! meine
Ohren vertauben. Leute, die von jeher für fein paſſirt ha-
ben, verſtehen ſie auch nicht. „Wie kann man Empfindun-
gen erklären, in Syſteme faſſen,“ iſt ihr letzter Grund, den
ſie denken, und was ſich darauf bauen läßt, ſagen ſie.
Wahre Dankbarkeit für Ihre Nachricht von den Horen! nur
immer ſo! „Solche Schläge.“ Das kann ich Ihnen nicht
erſetzen. Dieſen Brief muß ich Ihnen mündlich und ausführ-
lich beantworten; Sie ſprechen darin von meinem Karakter,
ich gebe Ihnen gern Auskunft darüber, weil Sie’s als ein
Ganzes faſſen. Alſo ſeh’ ich nicht ein, woher der gemeine
Menſchenverſtand zu ſeiner Meinung gekommen iſt? Sie
glauben’s ſelbſt nicht. Aus Schwäche und Schwächen Gitter
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/149>, abgerufen am 22.12.2024.
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