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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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haßt, die Komödie eklig ist, und das Konzert auch. In Ge-
sellschaft bekomm' ich unmittelbar vom Zuhören Ennui's- und
Anstrengungs-Schmerzen, im Theater dasselbe, und vom Zug,
im Konzert dasselbe; zu Haus von Lesen, Schreiben oder was
ich thue, wobei der Körper nur zehn Minuten lang in Einer
Richtung sein muß: zu dicke, zu dünne, zu warme, zu kalte
Luft, und jeder Affekt, macht mir ein Erbrechen, wie jeder
Schmerz, der nur ein bischen solide wird. Dabei vergeh' ich
für Überdruß, -- nun das halt' Einer aus! Die Reizbarkeit
und Empfindlichkeit kann nicht höher steigen. Und doch! --
Ich geh' auf's Land. "Der Erde näher, den erdgebornen
Riesen gleich." Dann hatt' ich Ihnen so viel auf Ihre drei
Briefe zu antworten, und das ist Mühe; und ohne das wollt'
ich nicht; denn was sollten Sie ohne dieses Detail denken;
und Ihnen das zu geben, strengt mich nicht wenig an, jeder
Gedanke und das Schreiben. Nun verdammen Sie mich.
Glauben Sie mir -- verrückt bin ich nicht -- ich fehle nicht
gemein; es ist immer ein unumstößlicher Berg die Ursach, wenn
man ihn auch nicht sieht: ich fehle nicht gemein. Ich habe
solche Phantasie; als wenn ein außerirdisch Wesen, wie ich
in diese Welt getrieben wurde, mir beim Eingang diese Worte
mit einem Dolch in's Herz gestoßen hätte: "Ja, habe Empfin-
dung, sieh die Welt, wie sie Wenige sehen, sei groß und edel,
ein ewiges Denken kann ich dir auch nicht nehmen, Eins hat
man aber vergessen; sei eine Jüdin!" und nun ist mein gan-
zes Leben eine Verblutung; mich ruhig halten, kann es fri-
sten; jede Bewegung, sie zu stillen, neuer Tod; und Unbeweg-
lichkeit mir nur im Tod selbst möglich. Diese Raserei ist

haßt, die Komödie eklig iſt, und das Konzert auch. In Ge-
ſellſchaft bekomm’ ich unmittelbar vom Zuhören Ennui’s- und
Anſtrengungs-Schmerzen, im Theater daſſelbe, und vom Zug,
im Konzert daſſelbe; zu Haus von Leſen, Schreiben oder was
ich thue, wobei der Körper nur zehn Minuten lang in Einer
Richtung ſein muß: zu dicke, zu dünne, zu warme, zu kalte
Luft, und jeder Affekt, macht mir ein Erbrechen, wie jeder
Schmerz, der nur ein bischen ſolide wird. Dabei vergeh’ ich
für Überdruß, — nun das halt’ Einer aus! Die Reizbarkeit
und Empfindlichkeit kann nicht höher ſteigen. Und doch! —
Ich geh’ auf’s Land. „Der Erde näher, den erdgebornen
Rieſen gleich.“ Dann hatt’ ich Ihnen ſo viel auf Ihre drei
Briefe zu antworten, und das iſt Mühe; und ohne das wollt’
ich nicht; denn was ſollten Sie ohne dieſes Detail denken;
und Ihnen das zu geben, ſtrengt mich nicht wenig an, jeder
Gedanke und das Schreiben. Nun verdammen Sie mich.
Glauben Sie mir — verrückt bin ich nicht — ich fehle nicht
gemein; es iſt immer ein unumſtößlicher Berg die Urſach, wenn
man ihn auch nicht ſieht: ich fehle nicht gemein. Ich habe
ſolche Phantaſie; als wenn ein außerirdiſch Weſen, wie ich
in dieſe Welt getrieben wurde, mir beim Eingang dieſe Worte
mit einem Dolch in’s Herz geſtoßen hätte: „Ja, habe Empfin-
dung, ſieh die Welt, wie ſie Wenige ſehen, ſei groß und edel,
ein ewiges Denken kann ich dir auch nicht nehmen, Eins hat
man aber vergeſſen; ſei eine Jüdin!“ und nun iſt mein gan-
zes Leben eine Verblutung; mich ruhig halten, kann es fri-
ſten; jede Bewegung, ſie zu ſtillen, neuer Tod; und Unbeweg-
lichkeit mir nur im Tod ſelbſt möglich. Dieſe Raſerei iſt

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[133/0147] haßt, die Komödie eklig iſt, und das Konzert auch. In Ge- ſellſchaft bekomm’ ich unmittelbar vom Zuhören Ennui’s- und Anſtrengungs-Schmerzen, im Theater daſſelbe, und vom Zug, im Konzert daſſelbe; zu Haus von Leſen, Schreiben oder was ich thue, wobei der Körper nur zehn Minuten lang in Einer Richtung ſein muß: zu dicke, zu dünne, zu warme, zu kalte Luft, und jeder Affekt, macht mir ein Erbrechen, wie jeder Schmerz, der nur ein bischen ſolide wird. Dabei vergeh’ ich für Überdruß, — nun das halt’ Einer aus! Die Reizbarkeit und Empfindlichkeit kann nicht höher ſteigen. Und doch! — Ich geh’ auf’s Land. „Der Erde näher, den erdgebornen Rieſen gleich.“ Dann hatt’ ich Ihnen ſo viel auf Ihre drei Briefe zu antworten, und das iſt Mühe; und ohne das wollt’ ich nicht; denn was ſollten Sie ohne dieſes Detail denken; und Ihnen das zu geben, ſtrengt mich nicht wenig an, jeder Gedanke und das Schreiben. Nun verdammen Sie mich. Glauben Sie mir — verrückt bin ich nicht — ich fehle nicht gemein; es iſt immer ein unumſtößlicher Berg die Urſach, wenn man ihn auch nicht ſieht: ich fehle nicht gemein. Ich habe ſolche Phantaſie; als wenn ein außerirdiſch Weſen, wie ich in dieſe Welt getrieben wurde, mir beim Eingang dieſe Worte mit einem Dolch in’s Herz geſtoßen hätte: „Ja, habe Empfin- dung, ſieh die Welt, wie ſie Wenige ſehen, ſei groß und edel, ein ewiges Denken kann ich dir auch nicht nehmen, Eins hat man aber vergeſſen; ſei eine Jüdin!“ und nun iſt mein gan- zes Leben eine Verblutung; mich ruhig halten, kann es fri- ſten; jede Bewegung, ſie zu ſtillen, neuer Tod; und Unbeweg- lichkeit mir nur im Tod ſelbſt möglich. Dieſe Raſerei iſt

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/147>, abgerufen am 22.12.2024.