ich bin zu klein das auszuhalten, zu klein, ich will nicht rechnen, daß ich keinen empfindlichern, reizbareren Menschen kenne, und der immer in Einer Unannehmlichkeit tausend em- pfindet, weil er die Karaktere kennt, die sie ihm spielen, und immer denkt und kombinirt; ich bin zu klein, denn nur ein solcher kleiner Körper hielt das nicht aus. Mein ewiges Ver- stellen, meine Vernünftigkeit, mein einziges Nachgeben, wel- ches ich selbst nicht mehr merke, und meine Einsicht, verzeh- ren mich, ich halt' es nicht mehr aus; und nichts, niemand kann mir helfen. Einmal kann man so etwas sagen, erklä- ren, demonstriren; ich bin nicht zu delikat; ich hab's gethan, zwanzigmal gethan: indem ich rede, scheint manche unbehülf- liche Miene mich zu verstehen; aber vergeblich! hör' ich auf, und handle -- weil ich Vernunft erwarte -- weiter, so ist's wieder vorbei. Meine Hülfe will geahndet sein, und im gan- zen Hause ahnd' ich nur; und da kann ich nicht heraus; weil die Welt eingerichtet ist. Ich bin krank: und muß mir selbst helfen. Ausruhen will ich mich auf'm Lande; ich ziehe acht Meilen von hier bei Zehdenik mit irgend einer Freundin oder meiner Line allein, so bald als möglich, und fange die andre Woche schon hier zu baden an, bade dort, geh' im Juli nach Freienwalde, dann wieder zurück nach Zehdenik, und bleibe, so lange man's auf'm Lande aushalten kann. Baden will ich ein ganzes Jahr. Ausruhen muß ich mich; hier töd- ten sie mich; und erst recht, wenn sie sich's einfallen lassen, mir helfen zu wollen.
-- Ich geh' fast gar nicht aus; weil keine Luft mir gut genug ist, alle Gesellschaft wo ich hinkommen kann, ver-
ich bin zu klein das auszuhalten, zu klein, ich will nicht rechnen, daß ich keinen empfindlichern, reizbareren Menſchen kenne, und der immer in Einer Unannehmlichkeit tauſend em- pfindet, weil er die Karaktere kennt, die ſie ihm ſpielen, und immer denkt und kombinirt; ich bin zu klein, denn nur ein ſolcher kleiner Körper hielt das nicht aus. Mein ewiges Ver- ſtellen, meine Vernünftigkeit, mein einziges Nachgeben, wel- ches ich ſelbſt nicht mehr merke, und meine Einſicht, verzeh- ren mich, ich halt’ es nicht mehr aus; und nichts, niemand kann mir helfen. Einmal kann man ſo etwas ſagen, erklä- ren, demonſtriren; ich bin nicht zu delikat; ich hab’s gethan, zwanzigmal gethan: indem ich rede, ſcheint manche unbehülf- liche Miene mich zu verſtehen; aber vergeblich! hör’ ich auf, und handle — weil ich Vernunft erwarte — weiter, ſo iſt’s wieder vorbei. Meine Hülfe will geahndet ſein, und im gan- zen Hauſe ahnd’ ich nur; und da kann ich nicht heraus; weil die Welt eingerichtet iſt. Ich bin krank: und muß mir ſelbſt helfen. Ausruhen will ich mich auf’m Lande; ich ziehe acht Meilen von hier bei Zehdenik mit irgend einer Freundin oder meiner Line allein, ſo bald als möglich, und fange die andre Woche ſchon hier zu baden an, bade dort, geh’ im Juli nach Freienwalde, dann wieder zurück nach Zehdenik, und bleibe, ſo lange man’s auf’m Lande aushalten kann. Baden will ich ein ganzes Jahr. Ausruhen muß ich mich; hier töd- ten ſie mich; und erſt recht, wenn ſie ſich’s einfallen laſſen, mir helfen zu wollen.
— Ich geh’ faſt gar nicht aus; weil keine Luft mir gut genug iſt, alle Geſellſchaft wo ich hinkommen kann, ver-
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ich bin zu klein das auszuhalten, zu klein, ich will nicht
rechnen, daß ich keinen empfindlichern, reizbareren Menſchen
kenne, und der immer in Einer Unannehmlichkeit tauſend em-
pfindet, weil er die Karaktere kennt, die ſie ihm ſpielen, und
immer denkt und kombinirt; ich bin zu klein, denn nur ein
ſolcher kleiner Körper hielt das nicht aus. Mein ewiges Ver-
ſtellen, meine Vernünftigkeit, mein einziges Nachgeben, wel-
ches ich ſelbſt nicht mehr merke, und meine Einſicht, verzeh-
ren mich, ich halt’ es nicht mehr aus; und nichts, niemand
kann mir helfen. Einmal kann man ſo etwas ſagen, erklä-
ren, demonſtriren; ich bin nicht zu delikat; ich hab’s gethan,
zwanzigmal gethan: indem ich rede, ſcheint manche unbehülf-
liche Miene mich zu verſtehen; aber vergeblich! hör’ ich auf,
und handle — weil ich Vernunft erwarte — weiter, ſo iſt’s
wieder vorbei. Meine Hülfe will geahndet ſein, und im gan-
zen Hauſe ahnd’ ich nur; und da kann ich nicht heraus;
weil die Welt eingerichtet iſt. Ich bin krank: und muß mir
ſelbſt helfen. Ausruhen will ich mich auf’m Lande; ich ziehe
acht Meilen von hier bei Zehdenik mit irgend einer Freundin
oder meiner Line allein, ſo bald als möglich, und fange die
andre Woche ſchon hier zu baden an, bade dort, geh’ im Juli
nach Freienwalde, dann wieder zurück nach Zehdenik, und
bleibe, ſo lange man’s auf’m Lande aushalten kann. Baden
will ich ein ganzes Jahr. Ausruhen muß ich mich; hier töd-
ten ſie mich; und erſt recht, wenn ſie ſich’s einfallen laſſen,
mir helfen zu wollen.
— Ich geh’ faſt gar nicht aus; weil keine Luft mir gut
genug iſt, alle Geſellſchaft wo ich hinkommen kann, ver-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/146>, abgerufen am 22.12.2024.
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