chen gesund, und bedarf also das auch nicht mehr; als ich möcht' ich auch nicht reisen. Nichts wünsch' ich jetzt, als mich zu verändern, äußerlich und innerlich, ich bin nicht gut, gefalle mir nicht, und bin mich überdrüssig; dazu werd' ich aber nicht gelangen, und ich muß so bleiben, so gut als mein Gesicht; älter können wir beide wohl werden, sonst aber nichts. Die Konfusion nimmt überhand; ich bin mit keinem Menschen über keine Sache mehr einig: ich mache sie immer noch größer, denn wenn wir uns nicht verstehen, laß ich's dabei, und sage aus Hang und Passion meine Sache weiter, jene auch, und dann ist's das Höchste; schweigen thu' ich zu eben der unrechten Zeit. Dabei seh' ich doch viel Menschen, und erfahre alles, denn grade wo ich hin komme, sind Alle. Kein Vergnügen oder irgend eine Satisfaktion hab' ich gar nicht, und nie be- gegn' ich oder hör' ich was Interessantes; dabei muß ich mich noch für glücklich halten, daß es mir nicht noch ärger geht, wie es doch gar zu gut könnte. Auch fürcht' ich jede Ver- änderung. Ich bleib' auch immer mager: von Beaumarchais Narren muß ich doch nicht sein, die "dabei (bei Langerweile) fett werden" können.
Wenn Sie der Brief nicht amüsirt, so ist das sehr na- türlich, zwei amüsiren sich nie zugleich: und da Sie doch nun so frisch wissen, daß ich mir nicht helfen kann, so werden Sie's mir weniger übel nehmen, daß ich Ihnen nicht helfen kann; ich kann Ihnen nicht helfen. Sie werden diese Klagen so nicht verstehen, ich müßt' Ihnen das alles sagen und zu verstehen geben. Ich fühle, daß es so kein Mensch versteht, und sich weit was Schöneres darunter vorstellt; und es ist
chen geſund, und bedarf alſo das auch nicht mehr; als ich möcht’ ich auch nicht reiſen. Nichts wünſch’ ich jetzt, als mich zu verändern, äußerlich und innerlich, ich bin nicht gut, gefalle mir nicht, und bin mich überdrüſſig; dazu werd’ ich aber nicht gelangen, und ich muß ſo bleiben, ſo gut als mein Geſicht; älter können wir beide wohl werden, ſonſt aber nichts. Die Konfuſion nimmt überhand; ich bin mit keinem Menſchen über keine Sache mehr einig: ich mache ſie immer noch größer, denn wenn wir uns nicht verſtehen, laß ich’s dabei, und ſage aus Hang und Paſſion meine Sache weiter, jene auch, und dann iſt’s das Höchſte; ſchweigen thu’ ich zu eben der unrechten Zeit. Dabei ſeh’ ich doch viel Menſchen, und erfahre alles, denn grade wo ich hin komme, ſind Alle. Kein Vergnügen oder irgend eine Satisfaktion hab’ ich gar nicht, und nie be- gegn’ ich oder hör’ ich was Intereſſantes; dabei muß ich mich noch für glücklich halten, daß es mir nicht noch ärger geht, wie es doch gar zu gut könnte. Auch fürcht’ ich jede Ver- änderung. Ich bleib’ auch immer mager: von Beaumarchais Narren muß ich doch nicht ſein, die „dabei (bei Langerweile) fett werden“ können.
Wenn Sie der Brief nicht amüſirt, ſo iſt das ſehr na- türlich, zwei amüſiren ſich nie zugleich: und da Sie doch nun ſo friſch wiſſen, daß ich mir nicht helfen kann, ſo werden Sie’s mir weniger übel nehmen, daß ich Ihnen nicht helfen kann; ich kann Ihnen nicht helfen. Sie werden dieſe Klagen ſo nicht verſtehen, ich müßt’ Ihnen das alles ſagen und zu verſtehen geben. Ich fühle, daß es ſo kein Menſch verſteht, und ſich weit was Schöneres darunter vorſtellt; und es iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0139"n="125"/>
chen geſund, und bedarf alſo das auch nicht mehr; als <hirendition="#g">ich</hi><lb/>
möcht’ ich auch nicht reiſen. Nichts wünſch’ ich jetzt, als <hirendition="#g">mich</hi><lb/>
zu verändern, äußerlich und innerlich, ich bin nicht gut, gefalle<lb/>
mir nicht, und bin mich überdrüſſig; dazu werd’ ich aber nicht<lb/>
gelangen, und ich muß ſo bleiben, ſo gut als mein Geſicht;<lb/>
älter können wir beide wohl werden, ſonſt aber nichts. Die<lb/>
Konfuſion nimmt überhand; ich bin mit keinem Menſchen über<lb/>
keine Sache mehr einig: ich mache ſie immer noch größer, denn<lb/>
wenn wir uns nicht verſtehen, laß ich’s dabei, und ſage aus<lb/>
Hang und Paſſion meine Sache weiter, jene auch, und dann<lb/>
iſt’s das Höchſte; ſchweigen thu’ ich zu eben der unrechten<lb/>
Zeit. Dabei ſeh’ ich doch viel Menſchen, und erfahre alles,<lb/>
denn grade wo ich hin komme, ſind Alle. Kein <hirendition="#g">Vergnügen</hi><lb/>
oder irgend eine Satisfaktion hab’ ich gar nicht, und nie be-<lb/>
gegn’ ich oder hör’ ich was Intereſſantes; dabei muß ich mich<lb/>
noch für glücklich halten, daß es mir nicht noch ärger geht,<lb/>
wie es doch gar zu gut könnte. Auch fürcht’ ich <hirendition="#g">jede</hi> Ver-<lb/>
änderung. Ich bleib’ auch immer mager: von Beaumarchais<lb/>
Narren muß ich doch nicht ſein, die „dabei (bei Langerweile)<lb/>
fett werden“ können.</p><lb/><p>Wenn Sie der Brief nicht amüſirt, ſo iſt das ſehr na-<lb/>
türlich, zwei amüſiren ſich nie zugleich: und da Sie doch nun<lb/>ſo friſch wiſſen, daß ich mir nicht helfen kann, ſo werden<lb/>
Sie’s mir weniger übel nehmen, daß ich Ihnen nicht helfen<lb/>
kann; ich kann Ihnen nicht helfen. Sie werden dieſe Klagen<lb/>ſo nicht verſtehen, ich müßt’ Ihnen das alles ſagen und zu<lb/>
verſtehen geben. Ich fühle, daß es ſo kein Menſch verſteht,<lb/>
und ſich weit was Schöneres darunter vorſtellt; und es iſt<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[125/0139]
chen geſund, und bedarf alſo das auch nicht mehr; als ich
möcht’ ich auch nicht reiſen. Nichts wünſch’ ich jetzt, als mich
zu verändern, äußerlich und innerlich, ich bin nicht gut, gefalle
mir nicht, und bin mich überdrüſſig; dazu werd’ ich aber nicht
gelangen, und ich muß ſo bleiben, ſo gut als mein Geſicht;
älter können wir beide wohl werden, ſonſt aber nichts. Die
Konfuſion nimmt überhand; ich bin mit keinem Menſchen über
keine Sache mehr einig: ich mache ſie immer noch größer, denn
wenn wir uns nicht verſtehen, laß ich’s dabei, und ſage aus
Hang und Paſſion meine Sache weiter, jene auch, und dann
iſt’s das Höchſte; ſchweigen thu’ ich zu eben der unrechten
Zeit. Dabei ſeh’ ich doch viel Menſchen, und erfahre alles,
denn grade wo ich hin komme, ſind Alle. Kein Vergnügen
oder irgend eine Satisfaktion hab’ ich gar nicht, und nie be-
gegn’ ich oder hör’ ich was Intereſſantes; dabei muß ich mich
noch für glücklich halten, daß es mir nicht noch ärger geht,
wie es doch gar zu gut könnte. Auch fürcht’ ich jede Ver-
änderung. Ich bleib’ auch immer mager: von Beaumarchais
Narren muß ich doch nicht ſein, die „dabei (bei Langerweile)
fett werden“ können.
Wenn Sie der Brief nicht amüſirt, ſo iſt das ſehr na-
türlich, zwei amüſiren ſich nie zugleich: und da Sie doch nun
ſo friſch wiſſen, daß ich mir nicht helfen kann, ſo werden
Sie’s mir weniger übel nehmen, daß ich Ihnen nicht helfen
kann; ich kann Ihnen nicht helfen. Sie werden dieſe Klagen
ſo nicht verſtehen, ich müßt’ Ihnen das alles ſagen und zu
verſtehen geben. Ich fühle, daß es ſo kein Menſch verſteht,
und ſich weit was Schöneres darunter vorſtellt; und es iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/139>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.