ist wahr, würde mir, sollte ich mal meine jetzige Gegend ver- lassen müssen, diese schwere Abreise einzig erleichtern. Denn ich gesteh es, einmal frisch wo anzukommen, wo mich noch keine geborne Bekannte kennen, sollte mir sehr wohl thun! Und ich goutire des Herrn von Humboldt Lebensweise mit einem großen Seufzer; den ich seufze: und denn doch, er- haben über Gram und Schmerz, weiter lebe; wie ich kann. -- -- Ich bin in vielen Fällen unvermuthet gelassen und ge- duldig, und hab' auch erlangt mir vieles abzugewöhnen, was ich nicht an mir leiden konnte; aber darin hab' ich noch kein Sandkorn breit über mich gewonnen, nicht eine unwidersteh- liche Leidenschaft zu haben, auf verkehrte Fragen -- und be- sonders, und fast nur, wenn sie mich betreffen -- immer verkehrte Antworten zu geben, und wär's auch nur durch Miene, durch ein enthaltenes oder gezwungenes Lächeln, kurz durch ein Nichts, ich muß sie geben. Nie fällt's mir ein, und ist mein Vergnügen gar nicht, jemand zum Narren zu halten (wie man so sagt), so sehr man mich dessen beschuldigt und von mir fürchtet, aber wenn mir so einer -- wie sie denn manchmal unwiderstehlich thun -- in's Garn läuft, dann geschieht's mir wohl, daß ich ihn, der Unglaublichkeit wegen, noch ein bischen besser umwinde, auch dünkts mich immer eben so unhöflich ihn zurückzuführen. Das kann ich im ganzen Ernst aus Höflichkeit nicht; und ganz unange- facht bei komischen Gelegenheiten bin ich immer noch nicht, Ist das Verbrechen? Was thun die Andern? Wie schweig' ich! Mir kann in der Welt nichts vortheilhafter sein, als eine Belohnung; und ich habe nicht einmal das Glück daran
iſt wahr, würde mir, ſollte ich mal meine jetzige Gegend ver- laſſen müſſen, dieſe ſchwere Abreiſe einzig erleichtern. Denn ich geſteh es, einmal friſch wo anzukommen, wo mich noch keine geborne Bekannte kennen, ſollte mir ſehr wohl thun! Und ich goutire des Herrn von Humboldt Lebensweiſe mit einem großen Seufzer; den ich ſeufze: und denn doch, er- haben über Gram und Schmerz, weiter lebe; wie ich kann. — — Ich bin in vielen Fällen unvermuthet gelaſſen und ge- duldig, und hab’ auch erlangt mir vieles abzugewöhnen, was ich nicht an mir leiden konnte; aber darin hab’ ich noch kein Sandkorn breit über mich gewonnen, nicht eine unwiderſteh- liche Leidenſchaft zu haben, auf verkehrte Fragen — und be- ſonders, und faſt nur, wenn ſie mich betreffen — immer verkehrte Antworten zu geben, und wär’s auch nur durch Miene, durch ein enthaltenes oder gezwungenes Lächeln, kurz durch ein Nichts, ich muß ſie geben. Nie fällt’s mir ein, und iſt mein Vergnügen gar nicht, jemand zum Narren zu halten (wie man ſo ſagt), ſo ſehr man mich deſſen beſchuldigt und von mir fürchtet, aber wenn mir ſo einer — wie ſie denn manchmal unwiderſtehlich thun — in’s Garn läuft, dann geſchieht’s mir wohl, daß ich ihn, der Unglaublichkeit wegen, noch ein bischen beſſer umwinde, auch dünkts mich immer eben ſo unhöflich ihn zurückzuführen. Das kann ich im ganzen Ernſt aus Höflichkeit nicht; und ganz unange- facht bei komiſchen Gelegenheiten bin ich immer noch nicht, Iſt das Verbrechen? Was thun die Andern? Wie ſchweig’ ich! Mir kann in der Welt nichts vortheilhafter ſein, als eine Belohnung; und ich habe nicht einmal das Glück daran
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0137"n="123"/>
iſt wahr, würde mir, ſollte ich mal meine jetzige Gegend ver-<lb/>
laſſen müſſen, dieſe ſchwere Abreiſe einzig erleichtern. Denn<lb/>
ich geſteh es, einmal friſch wo anzukommen, wo mich noch<lb/>
keine <hirendition="#g">geborne</hi> Bekannte kennen, ſollte mir ſehr wohl thun!<lb/>
Und ich goutire des Herrn von Humboldt Lebensweiſe mit<lb/>
einem großen Seufzer; den ich ſeufze: und denn doch, er-<lb/>
haben über Gram und Schmerz, weiter lebe; wie ich kann.<lb/>—— Ich bin in vielen Fällen unvermuthet gelaſſen und ge-<lb/>
duldig, und hab’ auch erlangt mir vieles abzugewöhnen, was<lb/>
ich nicht an mir leiden konnte; aber darin hab’ ich noch kein<lb/>
Sandkorn breit über mich gewonnen, nicht eine unwiderſteh-<lb/>
liche Leidenſchaft zu haben, auf verkehrte Fragen — und <hirendition="#g">be-<lb/>ſonders</hi>, und <hirendition="#g">faſt nur</hi>, wenn ſie mich betreffen — immer<lb/>
verkehrte Antworten zu geben, und wär’s auch nur durch<lb/>
Miene, durch ein enthaltenes oder gezwungenes Lächeln, kurz<lb/>
durch ein Nichts, ich muß ſie geben. Nie fällt’s mir ein,<lb/>
und iſt mein Vergnügen gar nicht, jemand zum Narren zu<lb/>
halten (wie man ſo ſagt), ſo <hirendition="#g">ſehr</hi> man mich deſſen beſchuldigt<lb/>
und von mir fürchtet, aber wenn mir ſo einer — wie ſie<lb/>
denn manchmal unwiderſtehlich thun — in’s Garn läuft,<lb/>
dann geſchieht’s mir wohl, daß ich ihn, der <hirendition="#g">Unglaublichkeit</hi><lb/>
wegen, noch ein bischen beſſer umwinde, auch dünkts mich<lb/>
immer eben ſo unhöflich ihn zurückzuführen. Das kann ich<lb/>
im ganzen Ernſt aus Höflichkeit nicht; und ganz <hirendition="#g">unange-<lb/>
facht</hi> bei komiſchen Gelegenheiten bin ich <hirendition="#g">immer</hi> noch nicht,<lb/>
Iſt das Verbrechen? Was thun die Andern? Wie ſchweig’<lb/>
ich! Mir kann in der Welt nichts vortheilhafter ſein, als<lb/>
eine Belohnung; und ich habe nicht einmal das Glück daran<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[123/0137]
iſt wahr, würde mir, ſollte ich mal meine jetzige Gegend ver-
laſſen müſſen, dieſe ſchwere Abreiſe einzig erleichtern. Denn
ich geſteh es, einmal friſch wo anzukommen, wo mich noch
keine geborne Bekannte kennen, ſollte mir ſehr wohl thun!
Und ich goutire des Herrn von Humboldt Lebensweiſe mit
einem großen Seufzer; den ich ſeufze: und denn doch, er-
haben über Gram und Schmerz, weiter lebe; wie ich kann.
— — Ich bin in vielen Fällen unvermuthet gelaſſen und ge-
duldig, und hab’ auch erlangt mir vieles abzugewöhnen, was
ich nicht an mir leiden konnte; aber darin hab’ ich noch kein
Sandkorn breit über mich gewonnen, nicht eine unwiderſteh-
liche Leidenſchaft zu haben, auf verkehrte Fragen — und be-
ſonders, und faſt nur, wenn ſie mich betreffen — immer
verkehrte Antworten zu geben, und wär’s auch nur durch
Miene, durch ein enthaltenes oder gezwungenes Lächeln, kurz
durch ein Nichts, ich muß ſie geben. Nie fällt’s mir ein,
und iſt mein Vergnügen gar nicht, jemand zum Narren zu
halten (wie man ſo ſagt), ſo ſehr man mich deſſen beſchuldigt
und von mir fürchtet, aber wenn mir ſo einer — wie ſie
denn manchmal unwiderſtehlich thun — in’s Garn läuft,
dann geſchieht’s mir wohl, daß ich ihn, der Unglaublichkeit
wegen, noch ein bischen beſſer umwinde, auch dünkts mich
immer eben ſo unhöflich ihn zurückzuführen. Das kann ich
im ganzen Ernſt aus Höflichkeit nicht; und ganz unange-
facht bei komiſchen Gelegenheiten bin ich immer noch nicht,
Iſt das Verbrechen? Was thun die Andern? Wie ſchweig’
ich! Mir kann in der Welt nichts vortheilhafter ſein, als
eine Belohnung; und ich habe nicht einmal das Glück daran
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/137>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.