Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

bin noch nicht frisirt, es ist vier Uhr, oder so was. -- Ich
finde es nicht so sonderbar, daß Sie mich um Rath fragen,
ob Sie sich die preußischen Staaten, oder auch Deutsch-
land, verschlagen sollen; oder nur so, wie mir denn das Rath-
fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über
Sie besonders; denn ein Mensch, der gar glauben kann, daß
eine Frage stattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung
ist, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall
ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh-
render, wahrscheinlicher
Versagung seiner, unserer, Staa-
ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen
ohne alle weitere Überlegung nach Halle
. Nicht,
als könnt' ich Sie mir jemals als einen Doktor vorstellen,
so wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich's
jemals gethan hätte; aber Sie müssen's doch immer sein
können
, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken,
daß Sie etwas Bestimmtes sein können: auf diese Weise ein
Amt oder Stand, gleicht mir so sehr einer Einschränkung, als
eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem
verständigen Mann oder einer solchen Frau, als einem solchen
Amt oder Stand! "Man muß aber leben!" hallt es vom
Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt schlug, ich
weiß es; "daher aber die schlechten Ehen," hau' ich wieder
zu; "wie ist es zu ändern?" hallt es wieder; das weiß ich
nicht, ich sag' auch nur, es ist schlecht. --


Apropos! Keinem Menschen antwort' ich mehr auf so
etwas; nicht aus Eigensinn oder Vorsatz, nein, weil ich nicht

bin noch nicht friſirt, es iſt vier Uhr, oder ſo was. — Ich
finde es nicht ſo ſonderbar, daß Sie mich um Rath fragen,
ob Sie ſich die preußiſchen Staaten, oder auch Deutſch-
land, verſchlagen ſollen; oder nur ſo, wie mir denn das Rath-
fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über
Sie beſonders; denn ein Menſch, der gar glauben kann, daß
eine Frage ſtattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung
iſt, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall
ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh-
render, wahrſcheinlicher
Verſagung ſeiner, unſerer, Staa-
ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen
ohne alle weitere Überlegung nach Halle
. Nicht,
als könnt’ ich Sie mir jemals als einen Doktor vorſtellen,
ſo wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich’s
jemals gethan hätte; aber Sie müſſen’s doch immer ſein
können
, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken,
daß Sie etwas Beſtimmtes ſein können: auf dieſe Weiſe ein
Amt oder Stand, gleicht mir ſo ſehr einer Einſchränkung, als
eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem
verſtändigen Mann oder einer ſolchen Frau, als einem ſolchen
Amt oder Stand! „Man muß aber leben!“ hallt es vom
Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt ſchlug, ich
weiß es; „daher aber die ſchlechten Ehen,“ hau’ ich wieder
zu; „wie iſt es zu ändern?“ hallt es wieder; das weiß ich
nicht, ich ſag’ auch nur, es iſt ſchlecht. —


Apropos! Keinem Menſchen antwort’ ich mehr auf ſo
etwas; nicht aus Eigenſinn oder Vorſatz, nein, weil ich nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0134" n="120"/>
bin noch nicht fri&#x017F;irt, es i&#x017F;t vier Uhr, oder &#x017F;o was. &#x2014; <hi rendition="#g">Ich</hi><lb/>
finde es nicht &#x017F;o &#x017F;onderbar, daß Sie <hi rendition="#g">mich</hi> um Rath fragen,<lb/>
ob Sie &#x017F;ich die preußi&#x017F;chen Staaten, oder auch Deut&#x017F;ch-<lb/>
land, ver&#x017F;chlagen &#x017F;ollen; oder nur &#x017F;o, wie mir denn das Rath-<lb/>
fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über<lb/>
Sie be&#x017F;onders; denn ein Men&#x017F;ch, der gar glauben kann, daß<lb/>
eine Frage &#x017F;tattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung<lb/>
i&#x017F;t, die ein <hi rendition="#g">halbes Jahr</hi> betrifft, das doch in keinem Fall<lb/>
ohne Fleiß <hi rendition="#g">verloren</hi> geht, in Vergleich von <hi rendition="#g">immerwäh-<lb/>
render, wahr&#x017F;cheinlicher</hi> Ver&#x017F;agung &#x017F;einer, un&#x017F;erer, Staa-<lb/>
ten: <hi rendition="#g">der muß</hi> fragen; worauf denn ich antworte: <hi rendition="#g">Sie gehen<lb/>
ohne alle weitere Überlegung nach Halle</hi>. Nicht,<lb/>
als könnt&#x2019; ich Sie mir jemals als einen Doktor vor&#x017F;tellen,<lb/>
&#x017F;o wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich&#x2019;s<lb/>
jemals gethan hätte; aber Sie mü&#x017F;&#x017F;en&#x2019;s doch immer <hi rendition="#g">&#x017F;ein<lb/>
können</hi>, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken,<lb/>
daß Sie etwas Be&#x017F;timmtes &#x017F;ein können: auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e ein<lb/>
Amt oder Stand, gleicht mir &#x017F;o &#x017F;ehr einer Ein&#x017F;chränkung, als<lb/>
eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem<lb/>
ver&#x017F;tändigen Mann oder einer &#x017F;olchen Frau, als einem &#x017F;olchen<lb/>
Amt oder Stand! &#x201E;Man muß aber <hi rendition="#g">leben</hi>!&#x201C; hallt es vom<lb/>
Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt &#x017F;chlug, ich<lb/>
weiß es; &#x201E;daher aber die &#x017F;chlechten Ehen,&#x201C; hau&#x2019; ich wieder<lb/>
zu; &#x201E;wie i&#x017F;t es zu ändern?&#x201C; hallt es wieder; das weiß ich<lb/>
nicht, ich &#x017F;ag&#x2019; auch nur, es i&#x017F;t &#x017F;chlecht. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 11. December.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Apropos! Keinem Men&#x017F;chen antwort&#x2019; ich mehr auf &#x017F;o<lb/>
etwas; nicht aus Eigen&#x017F;inn oder Vor&#x017F;atz, nein, weil ich nicht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0134] bin noch nicht friſirt, es iſt vier Uhr, oder ſo was. — Ich finde es nicht ſo ſonderbar, daß Sie mich um Rath fragen, ob Sie ſich die preußiſchen Staaten, oder auch Deutſch- land, verſchlagen ſollen; oder nur ſo, wie mir denn das Rath- fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über Sie beſonders; denn ein Menſch, der gar glauben kann, daß eine Frage ſtattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung iſt, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh- render, wahrſcheinlicher Verſagung ſeiner, unſerer, Staa- ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen ohne alle weitere Überlegung nach Halle. Nicht, als könnt’ ich Sie mir jemals als einen Doktor vorſtellen, ſo wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich’s jemals gethan hätte; aber Sie müſſen’s doch immer ſein können, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie etwas Beſtimmtes ſein können: auf dieſe Weiſe ein Amt oder Stand, gleicht mir ſo ſehr einer Einſchränkung, als eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem verſtändigen Mann oder einer ſolchen Frau, als einem ſolchen Amt oder Stand! „Man muß aber leben!“ hallt es vom Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt ſchlug, ich weiß es; „daher aber die ſchlechten Ehen,“ hau’ ich wieder zu; „wie iſt es zu ändern?“ hallt es wieder; das weiß ich nicht, ich ſag’ auch nur, es iſt ſchlecht. — Den 11. December. Apropos! Keinem Menſchen antwort’ ich mehr auf ſo etwas; nicht aus Eigenſinn oder Vorſatz, nein, weil ich nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/134
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/134>, abgerufen am 22.12.2024.