könnte mit ihr zu theilen haben. Mir gefällt (ich fahre hier fort in Ihrem Brief, wie Sie's gethan haben, obgleich ich keine Folge einseh) diese ungleiche Mischung von Aufrichtig- keit und Zurückhaltung, die unter uns obwaltet, daher bin ich nicht neugierig zu sehen wann sie sich wird in Gleichge- wicht 'gesetzt haben; denn ich halte es nicht für unmöglich, aber dann würde es mir nicht so gut gefallen, stell' ich mir vor; ungeachtet ich weder für, noch dagegen, mit Willen etwas thun werde: und überhaupt kommt sie mir nicht so problematisch vor. --
Nun kommt wieder Woldemar. Ja freilich hab' ich Humboldts Rezension gelesen: ja, sie ist "ein Kunstwerk", das war das Wort. Nun es ist mir doch lieb, daß sich un- sere Urtheile begegneten: urtheilen Sie über diese beiden Ur- theile, ich will Ihnen nicht vorgreifen, um so mehr da ich schon weiß was ich denken soll. Die Ideen in Woldemar, obgleich sie mir in Zusammenhang mit Jacobi's übrigen Werken nicht geläufig sind, waren mir recht faßlich und kei- neswegs unbekannt; um so mehr, da er selbst deutlich genug davon vorspricht. Ich fühle ganz wie lächerlich es klingt, aber um wahr zu sein muß ich's diesmal sagen, nur ganz Unkundigen (wie Humboldt sagt) können sie entgangen sein. Sie haben übrigens mein Entzücken über diese Rezen- sion zu Gedanken übersetzt: und wenn ich mich mir selbst deutlich machen will, les' ich die kleine Stelle in ihrem Brief drüber. Die Lieblingsidee, der man darin auf die Spur kom- men kann, ist, glaub' ich, was die wahre Bewunderung ein- fordert. -- Herrn von Brinckmann will ich so gut als mir
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könnte mit ihr zu theilen haben. Mir gefällt (ich fahre hier fort in Ihrem Brief, wie Sie’s gethan haben, obgleich ich keine Folge einſeh) dieſe ungleiche Miſchung von Aufrichtig- keit und Zurückhaltung, die unter uns obwaltet, daher bin ich nicht neugierig zu ſehen wann ſie ſich wird in Gleichge- wicht ’geſetzt haben; denn ich halte es nicht für unmöglich, aber dann würde es mir nicht ſo gut gefallen, ſtell’ ich mir vor; ungeachtet ich weder für, noch dagegen, mit Willen etwas thun werde: und überhaupt kommt ſie mir nicht ſo problematiſch vor. —
Nun kommt wieder Woldemar. Ja freilich hab’ ich Humboldts Rezenſion geleſen: ja, ſie iſt „ein Kunſtwerk“, das war das Wort. Nun es iſt mir doch lieb, daß ſich un- ſere Urtheile begegneten: urtheilen Sie über dieſe beiden Ur- theile, ich will Ihnen nicht vorgreifen, um ſo mehr da ich ſchon weiß was ich denken ſoll. Die Ideen in Woldemar, obgleich ſie mir in Zuſammenhang mit Jacobi’s übrigen Werken nicht geläufig ſind, waren mir recht faßlich und kei- neswegs unbekannt; um ſo mehr, da er ſelbſt deutlich genug davon vorſpricht. Ich fühle ganz wie lächerlich es klingt, aber um wahr zu ſein muß ich’s diesmal ſagen, nur ganz Unkundigen (wie Humboldt ſagt) können ſie entgangen ſein. Sie haben übrigens mein Entzücken über dieſe Rezen- ſion zu Gedanken überſetzt: und wenn ich mich mir ſelbſt deutlich machen will, leſ’ ich die kleine Stelle in ihrem Brief drüber. Die Lieblingsidee, der man darin auf die Spur kom- men kann, iſt, glaub’ ich, was die wahre Bewunderung ein- fordert. — Herrn von Brinckmann will ich ſo gut als mir
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könnte mit ihr zu theilen haben. Mir gefällt (ich fahre hier
fort in Ihrem Brief, wie Sie’s gethan haben, obgleich ich
keine Folge einſeh) dieſe ungleiche Miſchung von Aufrichtig-
keit und Zurückhaltung, die unter uns obwaltet, daher bin
ich nicht neugierig zu ſehen wann ſie ſich wird in Gleichge-
wicht ’geſetzt haben; denn ich halte es nicht für unmöglich,
aber dann würde es mir nicht ſo gut gefallen, ſtell’ ich mir
vor; ungeachtet ich weder für, noch dagegen, mit Willen
etwas thun werde: und überhaupt kommt ſie mir nicht ſo
problematiſch vor. —
Nun kommt wieder Woldemar. Ja freilich hab’ ich
Humboldts Rezenſion geleſen: ja, ſie iſt „ein Kunſtwerk“,
das war das Wort. Nun es iſt mir doch lieb, daß ſich un-
ſere Urtheile begegneten: urtheilen Sie über dieſe beiden Ur-
theile, ich will Ihnen nicht vorgreifen, um ſo mehr da ich
ſchon weiß was ich denken ſoll. Die Ideen in Woldemar,
obgleich ſie mir in Zuſammenhang mit Jacobi’s übrigen
Werken nicht geläufig ſind, waren mir recht faßlich und kei-
neswegs unbekannt; um ſo mehr, da er ſelbſt deutlich genug
davon vorſpricht. Ich fühle ganz wie lächerlich es
klingt, aber um wahr zu ſein muß ich’s diesmal ſagen, nur
ganz Unkundigen (wie Humboldt ſagt) können ſie entgangen
ſein. Sie haben übrigens mein Entzücken über dieſe Rezen-
ſion zu Gedanken überſetzt: und wenn ich mich mir ſelbſt
deutlich machen will, leſ’ ich die kleine Stelle in ihrem Brief
drüber. Die Lieblingsidee, der man darin auf die Spur kom-
men kann, iſt, glaub’ ich, was die wahre Bewunderung ein-
fordert. — Herrn von Brinckmann will ich ſo gut als mir
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/127>, abgerufen am 22.12.2024.
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