ben ihn! aber die Menschenkenntniß wollten sie ihm abspre- chen. Hat er denn nie mit ihnen gesprochen, wie er in dieser Rezension geschrieben hat? oder haben sie ihn total nicht verstanden! Sonst müßten sie ja nur all ihr bischen Wunder vor seiner Menschenkenntniß niedergelegt haben, und hätten den philosophischen Kopf ganz vergessen müssen: nicht als ob er ihn bei dieser wunderbaren Rezension vergessen hätte, im Gegentheil, er hat darin bestimmt, was Menschenkenntniß ist; er hat sie als eine Kunst so zu sagen zergliedert und fest- gesetzt, und weil die nun einmal sich an Moralität und Menschheit lehnt, diese zu Regeln gemacht, wie Schönheit bei Kunst, und auch die Regel wieder als Schönheit und natür- liche Konsequenz zergliedert und befestigt. Kurz, der weiß das Beste nicht, der diese Rezension nicht versteht, und wer sie nicht über allen Ausdruck bewundert, versteht sie nicht. Nun nennen sie mich anmaßend, und wie Sie wollen! -- aber noch nicht, das Beste kommt noch! Sie werden doch nun gewiß glauben, ich nehme mein Urtheil über Woldemar zurück? Stellen Sie sich vor: nein! Ich will einräumen und muß glauben, auch Jacobi habe alles das über sein Buch ge- dacht, was Hr. von Humboldt drüber sagt: so kann ich da- mit noch nicht zufrieden sein, und mache eben, was beim Re- zensenten das übermäßigste Lob ist, beim Verfasser zum Tadel. Ein Roman ist doch immer ein Kunstwerk des Genie's, worin man alles das wohl finden muß, was Humboldt sagt, und was man auch in jeder Schilderung menschlicher Situationen findet, wenn sie mit Wahrheit geschildert und nicht von ge- meinen Menschen genommen sind. Hr. von Humboldt hätte
ben ihn! aber die Menſchenkenntniß wollten ſie ihm abſpre- chen. Hat er denn nie mit ihnen geſprochen, wie er in dieſer Rezenſion geſchrieben hat? oder haben ſie ihn total nicht verſtanden! Sonſt müßten ſie ja nur all ihr bischen Wunder vor ſeiner Menſchenkenntniß niedergelegt haben, und hätten den philoſophiſchen Kopf ganz vergeſſen müſſen: nicht als ob er ihn bei dieſer wunderbaren Rezenſion vergeſſen hätte, im Gegentheil, er hat darin beſtimmt, was Menſchenkenntniß iſt; er hat ſie als eine Kunſt ſo zu ſagen zergliedert und feſt- geſetzt, und weil die nun einmal ſich an Moralität und Menſchheit lehnt, dieſe zu Regeln gemacht, wie Schönheit bei Kunſt, und auch die Regel wieder als Schönheit und natür- liche Konſequenz zergliedert und befeſtigt. Kurz, der weiß das Beſte nicht, der dieſe Rezenſion nicht verſteht, und wer ſie nicht über allen Ausdruck bewundert, verſteht ſie nicht. Nun nennen ſie mich anmaßend, und wie Sie wollen! — aber noch nicht, das Beſte kommt noch! Sie werden doch nun gewiß glauben, ich nehme mein Urtheil über Woldemar zurück? Stellen Sie ſich vor: nein! Ich will einräumen und muß glauben, auch Jacobi habe alles das über ſein Buch ge- dacht, was Hr. von Humboldt drüber ſagt: ſo kann ich da- mit noch nicht zufrieden ſein, und mache eben, was beim Re- zenſenten das übermäßigſte Lob iſt, beim Verfaſſer zum Tadel. Ein Roman iſt doch immer ein Kunſtwerk des Genie’s, worin man alles das wohl finden muß, was Humboldt ſagt, und was man auch in jeder Schilderung menſchlicher Situationen findet, wenn ſie mit Wahrheit geſchildert und nicht von ge- meinen Menſchen genommen ſind. Hr. von Humboldt hätte
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ben ihn! aber die Menſchenkenntniß wollten ſie ihm abſpre-
chen. Hat er denn nie mit ihnen geſprochen, wie er in dieſer
Rezenſion geſchrieben hat? oder haben ſie ihn total nicht
verſtanden! Sonſt müßten ſie ja nur all ihr bischen Wunder
vor ſeiner Menſchenkenntniß niedergelegt haben, und hätten
den philoſophiſchen Kopf ganz vergeſſen müſſen: nicht als ob
er ihn bei dieſer wunderbaren Rezenſion vergeſſen hätte, im
Gegentheil, er hat darin beſtimmt, was Menſchenkenntniß
iſt; er hat ſie als eine Kunſt ſo zu ſagen zergliedert und feſt-
geſetzt, und weil die nun einmal ſich an Moralität und
Menſchheit lehnt, dieſe zu Regeln gemacht, wie Schönheit bei
Kunſt, und auch die Regel wieder als Schönheit und natür-
liche Konſequenz zergliedert und befeſtigt. Kurz, der weiß das
Beſte nicht, der dieſe Rezenſion nicht verſteht, und wer ſie
nicht über allen Ausdruck bewundert, verſteht ſie nicht.
Nun nennen ſie mich anmaßend, und wie Sie wollen! —
aber noch nicht, das Beſte kommt noch! Sie werden doch
nun gewiß glauben, ich nehme mein Urtheil über Woldemar
zurück? Stellen Sie ſich vor: nein! Ich will einräumen und
muß glauben, auch Jacobi habe alles das über ſein Buch ge-
dacht, was Hr. von Humboldt drüber ſagt: ſo kann ich da-
mit noch nicht zufrieden ſein, und mache eben, was beim Re-
zenſenten das übermäßigſte Lob iſt, beim Verfaſſer zum Tadel.
Ein Roman iſt doch immer ein Kunſtwerk des Genie’s, worin
man alles das wohl finden muß, was Humboldt ſagt, und
was man auch in jeder Schilderung menſchlicher Situationen
findet, wenn ſie mit Wahrheit geſchildert und nicht von ge-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/120>, abgerufen am 22.12.2024.
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