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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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tag, nicht übermorgen, komm' ich erst nach Breslau, wohin
ich mich sehne -- nun könnt ihr euch denken: Gestern Mor-
gen um 10 Uhr reisten wir von Hirschberg ab, wo wir dritte-
halb Tage in einem Wirthshaus vorm Thor lagen, ohne einen
Menschen zu sehen, und schlecht Wetter en compagnie ab-
warten mußten. Zwei Komödien sahen wir zu meiner Ret-
tung dort, und der Wirth hatte ein Klavier, sonst wäre dort
meine heilige Grabstätte geworden; nun wird wohl dieses
Dorf den Ruhm erlangen; denn ich halt' es nicht aus. Ge-
stern um 6 Uhr Abends gelangten wir auf bergigten, steinig-
ten Dorfnebenwegen, unter Platzregen und Wind, bis auf die
Knochen naß, hier an; auf einem Edelhof, der vielfältig schöne
Aussichten hat, die aber fast bis jetzt noch alle vernebelt lie-
gen, obgleich die Sonne so weit über die Wolken gesiegt hat,
daß sie sie doch müssen durchblicken lassen, aber dies ist erst
der erste Moment. Dieses Gut gehört dem Herrn Kriegsrath
Balde. Keine Beschreibung, de grace! Seine Tochter, eine
nicht ununterrichtete Frau, Wittwe eines Kriegsraths, empfängt
uns, nachdem er uns in ein enormes Haus geführt hat, an
der Treppe, mit einem weißatlasnen Rock, der ein Florfalbala
hat, das so hoch geht, daß man nur den wenigsten Theil vom
Rocke sieht, und einer karmoisin tuchenen Levite; ein schwar-
zer Florhut von agreabler Facon, worauf eine weiße Aster-
guirlande residirt, bemüht sich umsonst eine großquastige Frisur
zu bedecken, die hinten ein langer langer Cadogan schließt.
Nichtsdestoweniger siehst du hier viel Silber, nichts als Bou-
gies, den besten Tisch, Wein und Dessert, Koch, Jäger, Schrei-
ber, Verwalter, enorme Zimmer, und wenn man zu Tische

tag, nicht übermorgen, komm’ ich erſt nach Breslau, wohin
ich mich ſehne — nun könnt ihr euch denken: Geſtern Mor-
gen um 10 Uhr reiſten wir von Hirſchberg ab, wo wir dritte-
halb Tage in einem Wirthshaus vorm Thor lagen, ohne einen
Menſchen zu ſehen, und ſchlecht Wetter en compagnie ab-
warten mußten. Zwei Komödien ſahen wir zu meiner Ret-
tung dort, und der Wirth hatte ein Klavier, ſonſt wäre dort
meine heilige Grabſtätte geworden; nun wird wohl dieſes
Dorf den Ruhm erlangen; denn ich halt’ es nicht aus. Ge-
ſtern um 6 Uhr Abends gelangten wir auf bergigten, ſteinig-
ten Dorfnebenwegen, unter Platzregen und Wind, bis auf die
Knochen naß, hier an; auf einem Edelhof, der vielfältig ſchöne
Ausſichten hat, die aber faſt bis jetzt noch alle vernebelt lie-
gen, obgleich die Sonne ſo weit über die Wolken geſiegt hat,
daß ſie ſie doch müſſen durchblicken laſſen, aber dies iſt erſt
der erſte Moment. Dieſes Gut gehört dem Herrn Kriegsrath
Balde. Keine Beſchreibung, de grâce! Seine Tochter, eine
nicht ununterrichtete Frau, Wittwe eines Kriegsraths, empfängt
uns, nachdem er uns in ein enormes Haus geführt hat, an
der Treppe, mit einem weißatlasnen Rock, der ein Florfalbala
hat, das ſo hoch geht, daß man nur den wenigſten Theil vom
Rocke ſieht, und einer karmoiſin tuchenen Levite; ein ſchwar-
zer Florhut von agreabler Façon, worauf eine weiße Aſter-
guirlande reſidirt, bemüht ſich umſonſt eine großquaſtige Friſur
zu bedecken, die hinten ein langer langer Cadogan ſchließt.
Nichtsdeſtoweniger ſiehſt du hier viel Silber, nichts als Bou-
gies, den beſten Tiſch, Wein und Deſſert, Koch, Jäger, Schrei-
ber, Verwalter, enorme Zimmer, und wenn man zu Tiſche

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[94/0108] tag, nicht übermorgen, komm’ ich erſt nach Breslau, wohin ich mich ſehne — nun könnt ihr euch denken: Geſtern Mor- gen um 10 Uhr reiſten wir von Hirſchberg ab, wo wir dritte- halb Tage in einem Wirthshaus vorm Thor lagen, ohne einen Menſchen zu ſehen, und ſchlecht Wetter en compagnie ab- warten mußten. Zwei Komödien ſahen wir zu meiner Ret- tung dort, und der Wirth hatte ein Klavier, ſonſt wäre dort meine heilige Grabſtätte geworden; nun wird wohl dieſes Dorf den Ruhm erlangen; denn ich halt’ es nicht aus. Ge- ſtern um 6 Uhr Abends gelangten wir auf bergigten, ſteinig- ten Dorfnebenwegen, unter Platzregen und Wind, bis auf die Knochen naß, hier an; auf einem Edelhof, der vielfältig ſchöne Ausſichten hat, die aber faſt bis jetzt noch alle vernebelt lie- gen, obgleich die Sonne ſo weit über die Wolken geſiegt hat, daß ſie ſie doch müſſen durchblicken laſſen, aber dies iſt erſt der erſte Moment. Dieſes Gut gehört dem Herrn Kriegsrath Balde. Keine Beſchreibung, de grâce! Seine Tochter, eine nicht ununterrichtete Frau, Wittwe eines Kriegsraths, empfängt uns, nachdem er uns in ein enormes Haus geführt hat, an der Treppe, mit einem weißatlasnen Rock, der ein Florfalbala hat, das ſo hoch geht, daß man nur den wenigſten Theil vom Rocke ſieht, und einer karmoiſin tuchenen Levite; ein ſchwar- zer Florhut von agreabler Façon, worauf eine weiße Aſter- guirlande reſidirt, bemüht ſich umſonſt eine großquaſtige Friſur zu bedecken, die hinten ein langer langer Cadogan ſchließt. Nichtsdeſtoweniger ſiehſt du hier viel Silber, nichts als Bou- gies, den beſten Tiſch, Wein und Deſſert, Koch, Jäger, Schrei- ber, Verwalter, enorme Zimmer, und wenn man zu Tiſche

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/108>, abgerufen am 22.12.2024.