sie nicht zu ordentlichen künstlerischen Zwecken sich ein¬ lenkt, -- und zweitens Ihre Augen. Doch letztere noch bei ihrer feinen, kleinen Handschrift. Haben sie denn so viel Augen als Argus, daß sie nach ein Paar weni¬ ger nicht fragen? -- Sie sind der größte Augenver¬ schwender, da Sie sogar fremde mitverschleudern. In unserm illitterarischen Baireuth kann ich Ihren Roman nicht bekommen, wenn Sie mir ihn nicht schicken. Ist er gut, so hat meine Persönlichkeit keinen Einfluß auf meine Unpartheilichkeit. Ich wünschte ihn sehr. Grüßen Sie Demoiselle Levin, mich könnte sie am besten grüßen lassen durch ein Schock voller Bogen. Leben Sie wohl! Ihr Jean Paul Fr. Richter."
Dieses Briefchen aber traf mich nicht mehr in Tü¬ bingen, sondern irrte in der Welt umher, nach Ham¬ burg, Berlin, Oesterreich und Ungarn, nnd kam erst nach Verlauf eines Jahres, im März 1810, zu Prag in meine Hand. Die Welt hatte unterdessen einen neuen Umschwung erlitten, auch mein persönliches Ge¬ schick entscheidende Wendungen erfahren. Nicht jedes frühere Wort war zu behaupten, nicht jede Anknüpfung fortzusetzen, Verhältnisse und Richtungen hatten gewech¬ selt. Ich mochte das meinem Sinne schon ferngerückte Buch an Jean Paul nicht mehr schicken, auch wäre mir in Prag dergleichen noch schwerer aufzutreiben ge¬ wesen, als ihm in Baireuth. Doch unterließ ich nicht, ihm zu antworten, schon um zu bemerken, daß sein
ſie nicht zu ordentlichen kuͤnſtleriſchen Zwecken ſich ein¬ lenkt, — und zweitens Ihre Augen. Doch letztere noch bei ihrer feinen, kleinen Handſchrift. Haben ſie denn ſo viel Augen als Argus, daß ſie nach ein Paar weni¬ ger nicht fragen? — Sie ſind der groͤßte Augenver¬ ſchwender, da Sie ſogar fremde mitverſchleudern. In unſerm illitterariſchen Baireuth kann ich Ihren Roman nicht bekommen, wenn Sie mir ihn nicht ſchicken. Iſt er gut, ſo hat meine Perſoͤnlichkeit keinen Einfluß auf meine Unpartheilichkeit. Ich wuͤnſchte ihn ſehr. Gruͤßen Sie Demoiſelle Levin, mich koͤnnte ſie am beſten gruͤßen laſſen durch ein Schock voller Bogen. Leben Sie wohl! Ihr Jean Paul Fr. Richter.“
Dieſes Briefchen aber traf mich nicht mehr in Tuͤ¬ bingen, ſondern irrte in der Welt umher, nach Ham¬ burg, Berlin, Oeſterreich und Ungarn, nnd kam erſt nach Verlauf eines Jahres, im Maͤrz 1810, zu Prag in meine Hand. Die Welt hatte unterdeſſen einen neuen Umſchwung erlitten, auch mein perſoͤnliches Ge¬ ſchick entſcheidende Wendungen erfahren. Nicht jedes fruͤhere Wort war zu behaupten, nicht jede Anknuͤpfung fortzuſetzen, Verhaͤltniſſe und Richtungen hatten gewech¬ ſelt. Ich mochte das meinem Sinne ſchon ferngeruͤckte Buch an Jean Paul nicht mehr ſchicken, auch waͤre mir in Prag dergleichen noch ſchwerer aufzutreiben ge¬ weſen, als ihm in Baireuth. Doch unterließ ich nicht, ihm zu antworten, ſchon um zu bemerken, daß ſein
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ſie nicht zu ordentlichen kuͤnſtleriſchen Zwecken ſich ein¬
lenkt, — und zweitens Ihre Augen. Doch letztere noch
bei ihrer feinen, kleinen Handſchrift. Haben ſie denn
ſo viel Augen als Argus, daß ſie nach ein Paar weni¬
ger nicht fragen? — Sie ſind der groͤßte Augenver¬
ſchwender, da Sie ſogar fremde mitverſchleudern. In
unſerm illitterariſchen Baireuth kann ich Ihren Roman
nicht bekommen, wenn Sie mir ihn nicht ſchicken. Iſt
er gut, ſo hat meine Perſoͤnlichkeit keinen Einfluß auf
meine Unpartheilichkeit. Ich wuͤnſchte ihn ſehr. Gruͤßen
Sie Demoiſelle Levin, mich koͤnnte ſie am beſten gruͤßen
laſſen durch ein Schock voller Bogen. Leben Sie wohl!
Ihr Jean Paul Fr. Richter.“
Dieſes Briefchen aber traf mich nicht mehr in Tuͤ¬
bingen, ſondern irrte in der Welt umher, nach Ham¬
burg, Berlin, Oeſterreich und Ungarn, nnd kam erſt
nach Verlauf eines Jahres, im Maͤrz 1810, zu Prag
in meine Hand. Die Welt hatte unterdeſſen einen
neuen Umſchwung erlitten, auch mein perſoͤnliches Ge¬
ſchick entſcheidende Wendungen erfahren. Nicht jedes
fruͤhere Wort war zu behaupten, nicht jede Anknuͤpfung
fortzuſetzen, Verhaͤltniſſe und Richtungen hatten gewech¬
ſelt. Ich mochte das meinem Sinne ſchon ferngeruͤckte
Buch an Jean Paul nicht mehr ſchicken, auch waͤre
mir in Prag dergleichen noch ſchwerer aufzutreiben ge¬
weſen, als ihm in Baireuth. Doch unterließ ich nicht,
ihm zu antworten, ſchon um zu bemerken, daß ſein
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/97>, abgerufen am 29.11.2024.
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