ohne ihm den Frevel zu bekennen. Ich erzählte ihm also die Entstehung des Buches, den ungefähren In¬ halt, und daß und wie neben Johannes von Müller und Johann Heinrich Voß auch er selber darin vor¬ komme. Er hörte mich ganz gelassen an, freute sich des Scherzes, den er als gut und gelungen anzuer¬ kennen hoffte, und rechnete es mir besonders an, daß ich den Drang gefühlt, ihm davon zu sprechen. Er verstand vollkommen, wie es gemeint war, und begriff die Stimmung, die uns verleiten gekonnt, gerade unsre gefeierten Helden mit dergleichen Muthwillen anzugrei¬ fen; er wisse recht gut, sagte er, daß die Soldaten Cäsars, die bei dessen Triumphzuge die bekannten Spott¬ lieder sangen, darum doch die tapfersten und treusten blieben, auf die jener sich in Gefahr und Kampf am sichersten verlassen konnte. "Alles, alles aber, rief er aus, kommt darauf an, daß die Sache wirklich gelun¬ gen ist! Das Aesthetische muß euch retten, ist das nicht gut, dann habt ihr auch das Moralische zu verantwor¬ ten; kann ich jenem aber Beifall geben, so nehm' ich dieses auf mich!" Es gefiel ihm nicht übel, daß auch wir uns selber, wie ich ihm erzählte, in dem Buche nicht geschont, sondern zu starken Zerrbildern verarbei¬ tet hätten. "So ist die Jugend, sagte er lachend, gilt es einen durch den Regen zu jagen, so scheut sie selber die Traufe nicht! Doch wenn die Wirthe denn mit¬ essen, werden die Gäste ja wohl auch das Vorgesetzte
ohne ihm den Frevel zu bekennen. Ich erzaͤhlte ihm alſo die Entſtehung des Buches, den ungefaͤhren In¬ halt, und daß und wie neben Johannes von Muͤller und Johann Heinrich Voß auch er ſelber darin vor¬ komme. Er hoͤrte mich ganz gelaſſen an, freute ſich des Scherzes, den er als gut und gelungen anzuer¬ kennen hoffte, und rechnete es mir beſonders an, daß ich den Drang gefuͤhlt, ihm davon zu ſprechen. Er verſtand vollkommen, wie es gemeint war, und begriff die Stimmung, die uns verleiten gekonnt, gerade unſre gefeierten Helden mit dergleichen Muthwillen anzugrei¬ fen; er wiſſe recht gut, ſagte er, daß die Soldaten Caͤſars, die bei deſſen Triumphzuge die bekannten Spott¬ lieder ſangen, darum doch die tapferſten und treuſten blieben, auf die jener ſich in Gefahr und Kampf am ſicherſten verlaſſen konnte. „Alles, alles aber, rief er aus, kommt darauf an, daß die Sache wirklich gelun¬ gen iſt! Das Aeſthetiſche muß euch retten, iſt das nicht gut, dann habt ihr auch das Moraliſche zu verantwor¬ ten; kann ich jenem aber Beifall geben, ſo nehm' ich dieſes auf mich!“ Es gefiel ihm nicht uͤbel, daß auch wir uns ſelber, wie ich ihm erzaͤhlte, in dem Buche nicht geſchont, ſondern zu ſtarken Zerrbildern verarbei¬ tet haͤtten. „So iſt die Jugend, ſagte er lachend, gilt es einen durch den Regen zu jagen, ſo ſcheut ſie ſelber die Traufe nicht! Doch wenn die Wirthe denn mit¬ eſſen, werden die Gaͤſte ja wohl auch das Vorgeſetzte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0094"n="82"/>
ohne ihm den Frevel zu bekennen. Ich erzaͤhlte ihm<lb/>
alſo die Entſtehung des Buches, den ungefaͤhren In¬<lb/>
halt, und daß und wie neben Johannes von Muͤller<lb/>
und Johann Heinrich Voß auch er ſelber darin vor¬<lb/>
komme. Er hoͤrte mich ganz gelaſſen an, freute ſich<lb/>
des Scherzes, den er als gut und gelungen anzuer¬<lb/>
kennen hoffte, und rechnete es mir beſonders an, daß<lb/>
ich den Drang gefuͤhlt, ihm davon zu ſprechen. Er<lb/>
verſtand vollkommen, wie es gemeint war, und begriff<lb/>
die Stimmung, die uns verleiten gekonnt, gerade unſre<lb/>
gefeierten Helden mit dergleichen Muthwillen anzugrei¬<lb/>
fen; er wiſſe recht gut, ſagte er, daß die Soldaten<lb/>
Caͤſars, die bei deſſen Triumphzuge die bekannten Spott¬<lb/>
lieder ſangen, darum doch die tapferſten und treuſten<lb/>
blieben, auf die jener ſich in Gefahr und Kampf am<lb/>ſicherſten verlaſſen konnte. „Alles, alles aber, rief er<lb/>
aus, kommt darauf an, daß die Sache wirklich gelun¬<lb/>
gen iſt! Das Aeſthetiſche muß euch retten, iſt das nicht<lb/>
gut, dann habt ihr auch das Moraliſche zu verantwor¬<lb/>
ten; kann ich jenem aber Beifall geben, ſo nehm' ich<lb/>
dieſes auf mich!“ Es gefiel ihm nicht uͤbel, daß auch<lb/>
wir uns ſelber, wie ich ihm erzaͤhlte, in dem Buche<lb/>
nicht geſchont, ſondern zu ſtarken Zerrbildern verarbei¬<lb/>
tet haͤtten. „So iſt die Jugend, ſagte er lachend, gilt<lb/>
es einen durch den Regen zu jagen, ſo ſcheut ſie ſelber<lb/>
die Traufe nicht! Doch wenn die Wirthe denn mit¬<lb/>
eſſen, werden die Gaͤſte ja wohl auch das Vorgeſetzte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[82/0094]
ohne ihm den Frevel zu bekennen. Ich erzaͤhlte ihm
alſo die Entſtehung des Buches, den ungefaͤhren In¬
halt, und daß und wie neben Johannes von Muͤller
und Johann Heinrich Voß auch er ſelber darin vor¬
komme. Er hoͤrte mich ganz gelaſſen an, freute ſich
des Scherzes, den er als gut und gelungen anzuer¬
kennen hoffte, und rechnete es mir beſonders an, daß
ich den Drang gefuͤhlt, ihm davon zu ſprechen. Er
verſtand vollkommen, wie es gemeint war, und begriff
die Stimmung, die uns verleiten gekonnt, gerade unſre
gefeierten Helden mit dergleichen Muthwillen anzugrei¬
fen; er wiſſe recht gut, ſagte er, daß die Soldaten
Caͤſars, die bei deſſen Triumphzuge die bekannten Spott¬
lieder ſangen, darum doch die tapferſten und treuſten
blieben, auf die jener ſich in Gefahr und Kampf am
ſicherſten verlaſſen konnte. „Alles, alles aber, rief er
aus, kommt darauf an, daß die Sache wirklich gelun¬
gen iſt! Das Aeſthetiſche muß euch retten, iſt das nicht
gut, dann habt ihr auch das Moraliſche zu verantwor¬
ten; kann ich jenem aber Beifall geben, ſo nehm' ich
dieſes auf mich!“ Es gefiel ihm nicht uͤbel, daß auch
wir uns ſelber, wie ich ihm erzaͤhlte, in dem Buche
nicht geſchont, ſondern zu ſtarken Zerrbildern verarbei¬
tet haͤtten. „So iſt die Jugend, ſagte er lachend, gilt
es einen durch den Regen zu jagen, ſo ſcheut ſie ſelber
die Traufe nicht! Doch wenn die Wirthe denn mit¬
eſſen, werden die Gaͤſte ja wohl auch das Vorgeſetzte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/94>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.