Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

fortwährend das tiefste Widerstreben. Besonders gegen
Tieck war seine Stimmung jetzt von manchen Seiten
sehr aufgebracht. Er behauptete, Tieck habe eine ganze
Gattung seines Komischen von Bernhardi entlehnt, wie
man deutlich aus den "Bambocciaden" sehe, einen
andern Theil habe er seinen, Jean Pauls, Schriften
nachgebildet, wie er ihm selber einst eingestanden; dann
habe er viel von Shakespear angenommen; sein Ernst¬
haftes und Rührendes aber sei theils aus alten Volks¬
büchern, theils -- wie die schönsten Anklänge der
"Genoveva" -- aus dem Mahler Müller geschöpft; die
Kunstempfindsamkeit in den "Phantasieen" und im
"Sternbald" kam auf Rechnung Wackenroder's, und
die äußerst komische Erzählung vom Schneider Tunelli
sollte fast wörtlich aus einem alten Buche wiederabge¬
druckt sein. So kam es über Tieck hier fast zu einem
ähnlichen concursus creditorum, wie die Schlegel im
Athenäum muthwillig einen über Wieland eröffnet hat¬
ten. Allein ich mußte mich diesem doch sehr ungerechten
und übereilten Verfahren entgegensetzen. Die Anklage
wegen der Benutzung der Genoveva des Mahler Müller
sei, konnte ich mit Grund behaupten, von Tieck schon
längst siegreich zurückgewiesen. Die Bambocciaden, so
wußte ich von Bernhardi selbst, gingen zwar unter dessen
Namen, rührten aber dem bessern Theile nach von
Tieck her. Die Nachbildung alter Stoffe, wandt' ich
ferner ein, sei von jeher den Dichtern erlaubt gewesen;

fortwaͤhrend das tiefſte Widerſtreben. Beſonders gegen
Tieck war ſeine Stimmung jetzt von manchen Seiten
ſehr aufgebracht. Er behauptete, Tieck habe eine ganze
Gattung ſeines Komiſchen von Bernhardi entlehnt, wie
man deutlich aus den „Bambocciaden“ ſehe, einen
andern Theil habe er ſeinen, Jean Pauls, Schriften
nachgebildet, wie er ihm ſelber einſt eingeſtanden; dann
habe er viel von Shakespear angenommen; ſein Ernſt¬
haftes und Ruͤhrendes aber ſei theils aus alten Volks¬
buͤchern, theils — wie die ſchoͤnſten Anklaͤnge der
„Genoveva“ — aus dem Mahler Muͤller geſchoͤpft; die
Kunſtempfindſamkeit in den „Phantaſieen“ und im
„Sternbald“ kam auf Rechnung Wackenroder's, und
die aͤußerſt komiſche Erzaͤhlung vom Schneider Tunelli
ſollte faſt woͤrtlich aus einem alten Buche wiederabge¬
druckt ſein. So kam es uͤber Tieck hier faſt zu einem
aͤhnlichen concursus creditorum, wie die Schlegel im
Athenaͤum muthwillig einen uͤber Wieland eroͤffnet hat¬
ten. Allein ich mußte mich dieſem doch ſehr ungerechten
und uͤbereilten Verfahren entgegenſetzen. Die Anklage
wegen der Benutzung der Genoveva des Mahler Muͤller
ſei, konnte ich mit Grund behaupten, von Tieck ſchon
laͤngſt ſiegreich zuruͤckgewieſen. Die Bambocciaden, ſo
wußte ich von Bernhardi ſelbſt, gingen zwar unter deſſen
Namen, ruͤhrten aber dem beſſern Theile nach von
Tieck her. Die Nachbildung alter Stoffe, wandt' ich
ferner ein, ſei von jeher den Dichtern erlaubt geweſen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="79"/>
fortwa&#x0364;hrend das tief&#x017F;te Wider&#x017F;treben. Be&#x017F;onders gegen<lb/>
Tieck war &#x017F;eine Stimmung jetzt von manchen Seiten<lb/>
&#x017F;ehr aufgebracht. Er behauptete, Tieck habe eine ganze<lb/>
Gattung &#x017F;eines Komi&#x017F;chen von Bernhardi entlehnt, wie<lb/>
man deutlich aus den &#x201E;Bambocciaden&#x201C; &#x017F;ehe, einen<lb/>
andern Theil habe er &#x017F;einen, Jean Pauls, Schriften<lb/>
nachgebildet, wie er ihm &#x017F;elber ein&#x017F;t einge&#x017F;tanden; dann<lb/>
habe er viel von Shakespear angenommen; &#x017F;ein Ern&#x017F;<lb/>
haftes und Ru&#x0364;hrendes aber &#x017F;ei theils aus alten Volks¬<lb/>
bu&#x0364;chern, theils &#x2014; wie die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Ankla&#x0364;nge der<lb/>
&#x201E;Genoveva&#x201C; &#x2014; aus dem Mahler Mu&#x0364;ller ge&#x017F;cho&#x0364;pft; die<lb/>
Kun&#x017F;tempfind&#x017F;amkeit in den &#x201E;Phanta&#x017F;ieen&#x201C; und im<lb/>
&#x201E;Sternbald&#x201C; kam auf Rechnung Wackenroder's, und<lb/>
die a&#x0364;ußer&#x017F;t komi&#x017F;che Erza&#x0364;hlung vom Schneider Tunelli<lb/>
&#x017F;ollte fa&#x017F;t wo&#x0364;rtlich aus einem alten Buche wiederabge¬<lb/>
druckt &#x017F;ein. So kam es u&#x0364;ber Tieck hier fa&#x017F;t zu einem<lb/>
a&#x0364;hnlichen <hi rendition="#aq">concursus creditorum</hi>, wie die Schlegel im<lb/>
Athena&#x0364;um muthwillig einen u&#x0364;ber Wieland ero&#x0364;ffnet hat¬<lb/>
ten. Allein ich mußte mich die&#x017F;em doch &#x017F;ehr ungerechten<lb/>
und u&#x0364;bereilten Verfahren entgegen&#x017F;etzen. Die Anklage<lb/>
wegen der Benutzung der Genoveva des Mahler Mu&#x0364;ller<lb/>
&#x017F;ei, konnte ich mit Grund behaupten, von Tieck &#x017F;chon<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t &#x017F;iegreich zuru&#x0364;ckgewie&#x017F;en. Die Bambocciaden, &#x017F;o<lb/>
wußte ich von Bernhardi &#x017F;elb&#x017F;t, gingen zwar unter de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Namen, ru&#x0364;hrten aber dem be&#x017F;&#x017F;ern Theile nach von<lb/>
Tieck her. Die Nachbildung alter Stoffe, wandt' ich<lb/>
ferner ein, &#x017F;ei von jeher den Dichtern erlaubt gewe&#x017F;en;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0091] fortwaͤhrend das tiefſte Widerſtreben. Beſonders gegen Tieck war ſeine Stimmung jetzt von manchen Seiten ſehr aufgebracht. Er behauptete, Tieck habe eine ganze Gattung ſeines Komiſchen von Bernhardi entlehnt, wie man deutlich aus den „Bambocciaden“ ſehe, einen andern Theil habe er ſeinen, Jean Pauls, Schriften nachgebildet, wie er ihm ſelber einſt eingeſtanden; dann habe er viel von Shakespear angenommen; ſein Ernſt¬ haftes und Ruͤhrendes aber ſei theils aus alten Volks¬ buͤchern, theils — wie die ſchoͤnſten Anklaͤnge der „Genoveva“ — aus dem Mahler Muͤller geſchoͤpft; die Kunſtempfindſamkeit in den „Phantaſieen“ und im „Sternbald“ kam auf Rechnung Wackenroder's, und die aͤußerſt komiſche Erzaͤhlung vom Schneider Tunelli ſollte faſt woͤrtlich aus einem alten Buche wiederabge¬ druckt ſein. So kam es uͤber Tieck hier faſt zu einem aͤhnlichen concursus creditorum, wie die Schlegel im Athenaͤum muthwillig einen uͤber Wieland eroͤffnet hat¬ ten. Allein ich mußte mich dieſem doch ſehr ungerechten und uͤbereilten Verfahren entgegenſetzen. Die Anklage wegen der Benutzung der Genoveva des Mahler Muͤller ſei, konnte ich mit Grund behaupten, von Tieck ſchon laͤngſt ſiegreich zuruͤckgewieſen. Die Bambocciaden, ſo wußte ich von Bernhardi ſelbſt, gingen zwar unter deſſen Namen, ruͤhrten aber dem beſſern Theile nach von Tieck her. Die Nachbildung alter Stoffe, wandt' ich ferner ein, ſei von jeher den Dichtern erlaubt geweſen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/91
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/91>, abgerufen am 28.11.2024.