preisen, ist in den meisten Fällen grade das, was wir Humor nennen.) Nun ging er in großes Lob einzelner Eigenschaften ein. Als ich dieses Lob unterbrach, und ihn versicherte, aller Verstand, Klugheit und Witz, die er von Rahel rühme, seien in meinen Augen doch viel geringer, als die Innigkeit und Güte ihres Gemüths, wunderte er sich nicht, sondern glaubte mir dies gern, und wiederholte nur, jene seien aber ungeheuer groß. Er rühmte sich zweier Briefe von Rahel, und sagte, der eine aus Paris sei mehr als zehn Reisebeschreibungen werth, so habe noch nie jemand die Franzosen und die französische Welt auf den ersten Blick eingesehen und karakterisirt; was das für Augen wären, die so scharf und klar gleich die ganze Wahrheit, und nur die Wahr¬ heit, sähen! Als ich ihm sagte, wie viele Briefe ich von ihr besäße, nicht an mich geschriebene, sondern mir geschenkte, wurde er ganz neidisch; wenn ich in derselben Stadt mit ihm wohnte, sagte er, so müßte ich ihm wenigstens zwei Worte aus jedem Briefe mittheilen; das sei ein ungeheurer Schatz, ein einziger; Rahel schreibe vortrefflich, es sei aber nothwendig, daß sie an jemand schreibe, ein persönlicher Anreiz müsse bei ihr alles her¬ vorlocken, mit Vorsatz ein Buch zu schreiben werde sie wohl nie im Stande sein. "Ich bin jetzt fähiger, fuhr er fort, sie zu verstehen, als damals in Berlin; ich möchte sie jetzt wiedersehen! je öfter mir von den Be¬ merkungen und Aussprüchen, die sie nur so hin zu
preiſen, iſt in den meiſten Faͤllen grade das, was wir Humor nennen.) Nun ging er in großes Lob einzelner Eigenſchaften ein. Als ich dieſes Lob unterbrach, und ihn verſicherte, aller Verſtand, Klugheit und Witz, die er von Rahel ruͤhme, ſeien in meinen Augen doch viel geringer, als die Innigkeit und Guͤte ihres Gemuͤths, wunderte er ſich nicht, ſondern glaubte mir dies gern, und wiederholte nur, jene ſeien aber ungeheuer groß. Er ruͤhmte ſich zweier Briefe von Rahel, und ſagte, der eine aus Paris ſei mehr als zehn Reiſebeſchreibungen werth, ſo habe noch nie jemand die Franzoſen und die franzoͤſiſche Welt auf den erſten Blick eingeſehen und karakteriſirt; was das fuͤr Augen waͤren, die ſo ſcharf und klar gleich die ganze Wahrheit, und nur die Wahr¬ heit, ſaͤhen! Als ich ihm ſagte, wie viele Briefe ich von ihr beſaͤße, nicht an mich geſchriebene, ſondern mir geſchenkte, wurde er ganz neidiſch; wenn ich in derſelben Stadt mit ihm wohnte, ſagte er, ſo muͤßte ich ihm wenigſtens zwei Worte aus jedem Briefe mittheilen; das ſei ein ungeheurer Schatz, ein einziger; Rahel ſchreibe vortrefflich, es ſei aber nothwendig, daß ſie an jemand ſchreibe, ein perſoͤnlicher Anreiz muͤſſe bei ihr alles her¬ vorlocken, mit Vorſatz ein Buch zu ſchreiben werde ſie wohl nie im Stande ſein. „Ich bin jetzt faͤhiger, fuhr er fort, ſie zu verſtehen, als damals in Berlin; ich moͤchte ſie jetzt wiederſehen! je oͤfter mir von den Be¬ merkungen und Ausſpruͤchen, die ſie nur ſo hin zu
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preiſen, iſt in den meiſten Faͤllen grade das, was wir
Humor nennen.) Nun ging er in großes Lob einzelner
Eigenſchaften ein. Als ich dieſes Lob unterbrach, und
ihn verſicherte, aller Verſtand, Klugheit und Witz, die
er von Rahel ruͤhme, ſeien in meinen Augen doch viel
geringer, als die Innigkeit und Guͤte ihres Gemuͤths,
wunderte er ſich nicht, ſondern glaubte mir dies gern,
und wiederholte nur, jene ſeien aber ungeheuer groß.
Er ruͤhmte ſich zweier Briefe von Rahel, und ſagte,
der eine aus Paris ſei mehr als zehn Reiſebeſchreibungen
werth, ſo habe noch nie jemand die Franzoſen und die
franzoͤſiſche Welt auf den erſten Blick eingeſehen und
karakteriſirt; was das fuͤr Augen waͤren, die ſo ſcharf
und klar gleich die ganze Wahrheit, und nur die Wahr¬
heit, ſaͤhen! Als ich ihm ſagte, wie viele Briefe ich
von ihr beſaͤße, nicht an mich geſchriebene, ſondern mir
geſchenkte, wurde er ganz neidiſch; wenn ich in derſelben
Stadt mit ihm wohnte, ſagte er, ſo muͤßte ich ihm
wenigſtens zwei Worte aus jedem Briefe mittheilen;
das ſei ein ungeheurer Schatz, ein einziger; Rahel ſchreibe
vortrefflich, es ſei aber nothwendig, daß ſie an jemand
ſchreibe, ein perſoͤnlicher Anreiz muͤſſe bei ihr alles her¬
vorlocken, mit Vorſatz ein Buch zu ſchreiben werde ſie
wohl nie im Stande ſein. „Ich bin jetzt faͤhiger, fuhr
er fort, ſie zu verſtehen, als damals in Berlin; ich
moͤchte ſie jetzt wiederſehen! je oͤfter mir von den Be¬
merkungen und Ausſpruͤchen, die ſie nur ſo hin zu
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/82>, abgerufen am 27.11.2024.
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