Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle drei sind völlig unbefangen, ganz frei und ganz
kindlich, weniger zum Guten erzogen, als darin aufge¬
wachsen. Ich hatte recht herzliche Freude an ihnen,
und sie riefen mir andre liebe Kinder in's Gedächtniß,
mit denen ich noch kürzlich zusammen war! Als der
Vater wieder eintrat, war es ziemlich spät geworden,
ich wollte weggehen, wurde aber nur entlassen, um
meinen Reisegefährten zu benachrichtigen, daß ich nicht
mit ihm essen würde; Harscher zu Jean Pauls Mittags¬
tische mitzubringen, wie ich aufgefordert war, durfte ich
nicht hoffen.

Fortwährend gesprächig und äußerst gutgelaunt ver¬
breitete sich Jean Paul über die mannigfachsten Gegen¬
stände. Ich brachte ihm unter andern auch einen Gruß
von Rahel Levin und die bescheidene Frage, ob er sich
ihrer noch erinnere? Sein Gesicht strahlte von ver¬
gnügter Heiterkeit: "Wie könnte man ein solches Wesen
je vergessen?" rief er lebhaft aus; "Das ist eine in
ihrer Art einzige Person, ich bin ihr von Herzen gut
gewesen, und werde es noch täglich mehr, denn der
Eindruck von ihr wächst mit allem, was sonst in mir
an Sinn und Verständniß zunimmt; sie ist die einzige
Frau, bei der ich ächten Humor gefunden, die einzige
humoristische Frau!" (Jean Paul dachte wohl nicht an
Frau von Sevigne, oder war nicht darauf gekommen,
ihrer Eigenthümlichkeit den rechten Namen zu geben;
denn was die Franzosen an ihr so sehr als Natürlichkeit

Alle drei ſind voͤllig unbefangen, ganz frei und ganz
kindlich, weniger zum Guten erzogen, als darin aufge¬
wachſen. Ich hatte recht herzliche Freude an ihnen,
und ſie riefen mir andre liebe Kinder in's Gedaͤchtniß,
mit denen ich noch kuͤrzlich zuſammen war! Als der
Vater wieder eintrat, war es ziemlich ſpaͤt geworden,
ich wollte weggehen, wurde aber nur entlaſſen, um
meinen Reiſegefaͤhrten zu benachrichtigen, daß ich nicht
mit ihm eſſen wuͤrde; Harſcher zu Jean Pauls Mittags¬
tiſche mitzubringen, wie ich aufgefordert war, durfte ich
nicht hoffen.

Fortwaͤhrend geſpraͤchig und aͤußerſt gutgelaunt ver¬
breitete ſich Jean Paul uͤber die mannigfachſten Gegen¬
ſtaͤnde. Ich brachte ihm unter andern auch einen Gruß
von Rahel Levin und die beſcheidene Frage, ob er ſich
ihrer noch erinnere? Sein Geſicht ſtrahlte von ver¬
gnuͤgter Heiterkeit: „Wie koͤnnte man ein ſolches Weſen
je vergeſſen?“ rief er lebhaft aus; „Das iſt eine in
ihrer Art einzige Perſon, ich bin ihr von Herzen gut
geweſen, und werde es noch taͤglich mehr, denn der
Eindruck von ihr waͤchſt mit allem, was ſonſt in mir
an Sinn und Verſtaͤndniß zunimmt; ſie iſt die einzige
Frau, bei der ich aͤchten Humor gefunden, die einzige
humoriſtiſche Frau!“ (Jean Paul dachte wohl nicht an
Frau von Sévigné, oder war nicht darauf gekommen,
ihrer Eigenthuͤmlichkeit den rechten Namen zu geben;
denn was die Franzoſen an ihr ſo ſehr als Natuͤrlichkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0081" n="69"/>
        <p>Alle drei &#x017F;ind vo&#x0364;llig unbefangen, ganz frei und ganz<lb/>
kindlich, weniger zum Guten erzogen, als darin aufge¬<lb/>
wach&#x017F;en. Ich hatte recht herzliche Freude an ihnen,<lb/>
und &#x017F;ie riefen mir andre liebe Kinder in's Geda&#x0364;chtniß,<lb/>
mit denen ich noch ku&#x0364;rzlich zu&#x017F;ammen war! Als der<lb/>
Vater wieder eintrat, war es ziemlich &#x017F;pa&#x0364;t geworden,<lb/>
ich wollte weggehen, wurde aber nur entla&#x017F;&#x017F;en, um<lb/>
meinen Rei&#x017F;egefa&#x0364;hrten zu benachrichtigen, daß ich nicht<lb/>
mit ihm e&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde; Har&#x017F;cher zu Jean Pauls Mittags¬<lb/>
ti&#x017F;che mitzubringen, wie ich aufgefordert war, durfte ich<lb/>
nicht hoffen.</p><lb/>
        <p>Fortwa&#x0364;hrend ge&#x017F;pra&#x0364;chig und a&#x0364;ußer&#x017F;t gutgelaunt ver¬<lb/>
breitete &#x017F;ich Jean Paul u&#x0364;ber die mannigfach&#x017F;ten Gegen¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde. Ich brachte ihm unter andern auch einen Gruß<lb/>
von Rahel Levin und die be&#x017F;cheidene Frage, ob er &#x017F;ich<lb/>
ihrer noch erinnere? Sein Ge&#x017F;icht &#x017F;trahlte von ver¬<lb/>
gnu&#x0364;gter Heiterkeit: &#x201E;Wie ko&#x0364;nnte man ein &#x017F;olches We&#x017F;en<lb/>
je verge&#x017F;&#x017F;en?&#x201C; rief er lebhaft aus; &#x201E;Das i&#x017F;t eine in<lb/>
ihrer Art einzige Per&#x017F;on, ich bin ihr von Herzen gut<lb/>
gewe&#x017F;en, und werde es noch ta&#x0364;glich mehr, denn der<lb/>
Eindruck von ihr wa&#x0364;ch&#x017F;t mit allem, was &#x017F;on&#x017F;t in mir<lb/>
an Sinn und Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß zunimmt; &#x017F;ie i&#x017F;t die einzige<lb/>
Frau, bei der ich a&#x0364;chten Humor gefunden, die einzige<lb/>
humori&#x017F;ti&#x017F;che Frau!&#x201C; (Jean Paul dachte wohl nicht an<lb/>
Frau von S<hi rendition="#aq">é</hi>vign<hi rendition="#aq">é</hi>, oder war nicht darauf gekommen,<lb/>
ihrer Eigenthu&#x0364;mlichkeit den rechten Namen zu geben;<lb/>
denn was die Franzo&#x017F;en an ihr &#x017F;o &#x017F;ehr als Natu&#x0364;rlichkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0081] Alle drei ſind voͤllig unbefangen, ganz frei und ganz kindlich, weniger zum Guten erzogen, als darin aufge¬ wachſen. Ich hatte recht herzliche Freude an ihnen, und ſie riefen mir andre liebe Kinder in's Gedaͤchtniß, mit denen ich noch kuͤrzlich zuſammen war! Als der Vater wieder eintrat, war es ziemlich ſpaͤt geworden, ich wollte weggehen, wurde aber nur entlaſſen, um meinen Reiſegefaͤhrten zu benachrichtigen, daß ich nicht mit ihm eſſen wuͤrde; Harſcher zu Jean Pauls Mittags¬ tiſche mitzubringen, wie ich aufgefordert war, durfte ich nicht hoffen. Fortwaͤhrend geſpraͤchig und aͤußerſt gutgelaunt ver¬ breitete ſich Jean Paul uͤber die mannigfachſten Gegen¬ ſtaͤnde. Ich brachte ihm unter andern auch einen Gruß von Rahel Levin und die beſcheidene Frage, ob er ſich ihrer noch erinnere? Sein Geſicht ſtrahlte von ver¬ gnuͤgter Heiterkeit: „Wie koͤnnte man ein ſolches Weſen je vergeſſen?“ rief er lebhaft aus; „Das iſt eine in ihrer Art einzige Perſon, ich bin ihr von Herzen gut geweſen, und werde es noch taͤglich mehr, denn der Eindruck von ihr waͤchſt mit allem, was ſonſt in mir an Sinn und Verſtaͤndniß zunimmt; ſie iſt die einzige Frau, bei der ich aͤchten Humor gefunden, die einzige humoriſtiſche Frau!“ (Jean Paul dachte wohl nicht an Frau von Sévigné, oder war nicht darauf gekommen, ihrer Eigenthuͤmlichkeit den rechten Namen zu geben; denn was die Franzoſen an ihr ſo ſehr als Natuͤrlichkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/81
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/81>, abgerufen am 27.11.2024.