aus liebenswürdig und gutmüthig, immer gehaltvoll, aber in ganz schlichtem Ton und Ausdruck. Wiewohl ich es schon wußte, daß sein Witz und Humor nur seiner Schreibfeder angehören, und er nicht leicht ein Zettel¬ chen schreibt, ohne daß jene mit einfließen, dagegen sein mündlicher Ausdruck selten etwas davon verräth, so fiel es mir doch sehr auf, bei dieser beständigen inneren Be¬ wegung, in der ich ihn sah, und bei dieser Lebhaftigkeit, der er sich überließ, von Witz und Humor keine Spur zu sehen. Sein übriges Betragen glich seinem Sprechen; nichts Vornehmes, nichts Gespanntes, nichts Absicht¬ liches, nichts, was über das Bürgerliche hinausginge; seine Höflichkeit war die größte Güte, seine Haltung und Art hausväterlich, für den Fremden gern rücksichts¬ voll, aber für sich selber dabei möglichst ungezwungen. Auch der Eifer, in welchen der Reiz des Besprochenen ihn öfters brachte, veränderte doch jene Grundstimmung niemals, nirgends trat Schärfe hervor, nirgend ein Vorstellenwollen, nirgends lauerndes Beobachten und Spähen, überall Milde, überall freies Walten seiner nicht scharfumgränzten Natur, überall offne Bahn für ihn, und hundert Uebergänge aus einer in die andere, mit völlig unbekümmertem Darstellen seiner selbst. Erst lobte er alles, was von neuern Erscheinungen zur Sprache kam, und wenn wir dann etwas näher in die Sache kamen, war dann alsbald doch Tadel die Hülle und die Fülle. So über Adam Müllers Vorlesungen, über
aus liebenswuͤrdig und gutmuͤthig, immer gehaltvoll, aber in ganz ſchlichtem Ton und Ausdruck. Wiewohl ich es ſchon wußte, daß ſein Witz und Humor nur ſeiner Schreibfeder angehoͤren, und er nicht leicht ein Zettel¬ chen ſchreibt, ohne daß jene mit einfließen, dagegen ſein muͤndlicher Ausdruck ſelten etwas davon verraͤth, ſo fiel es mir doch ſehr auf, bei dieſer beſtaͤndigen inneren Be¬ wegung, in der ich ihn ſah, und bei dieſer Lebhaftigkeit, der er ſich uͤberließ, von Witz und Humor keine Spur zu ſehen. Sein uͤbriges Betragen glich ſeinem Sprechen; nichts Vornehmes, nichts Geſpanntes, nichts Abſicht¬ liches, nichts, was uͤber das Buͤrgerliche hinausginge; ſeine Hoͤflichkeit war die groͤßte Guͤte, ſeine Haltung und Art hausvaͤterlich, fuͤr den Fremden gern ruͤckſichts¬ voll, aber fuͤr ſich ſelber dabei moͤglichſt ungezwungen. Auch der Eifer, in welchen der Reiz des Beſprochenen ihn oͤfters brachte, veraͤnderte doch jene Grundſtimmung niemals, nirgends trat Schaͤrfe hervor, nirgend ein Vorſtellenwollen, nirgends lauerndes Beobachten und Spaͤhen, uͤberall Milde, uͤberall freies Walten ſeiner nicht ſcharfumgraͤnzten Natur, uͤberall offne Bahn fuͤr ihn, und hundert Uebergaͤnge aus einer in die andere, mit voͤllig unbekuͤmmertem Darſtellen ſeiner ſelbſt. Erſt lobte er alles, was von neuern Erſcheinungen zur Sprache kam, und wenn wir dann etwas naͤher in die Sache kamen, war dann alsbald doch Tadel die Huͤlle und die Fuͤlle. So uͤber Adam Muͤllers Vorleſungen, uͤber
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aus liebenswuͤrdig und gutmuͤthig, immer gehaltvoll,
aber in ganz ſchlichtem Ton und Ausdruck. Wiewohl
ich es ſchon wußte, daß ſein Witz und Humor nur ſeiner
Schreibfeder angehoͤren, und er nicht leicht ein Zettel¬
chen ſchreibt, ohne daß jene mit einfließen, dagegen ſein
muͤndlicher Ausdruck ſelten etwas davon verraͤth, ſo fiel
es mir doch ſehr auf, bei dieſer beſtaͤndigen inneren Be¬
wegung, in der ich ihn ſah, und bei dieſer Lebhaftigkeit,
der er ſich uͤberließ, von Witz und Humor keine Spur
zu ſehen. Sein uͤbriges Betragen glich ſeinem Sprechen;
nichts Vornehmes, nichts Geſpanntes, nichts Abſicht¬
liches, nichts, was uͤber das Buͤrgerliche hinausginge;
ſeine Hoͤflichkeit war die groͤßte Guͤte, ſeine Haltung
und Art hausvaͤterlich, fuͤr den Fremden gern ruͤckſichts¬
voll, aber fuͤr ſich ſelber dabei moͤglichſt ungezwungen.
Auch der Eifer, in welchen der Reiz des Beſprochenen
ihn oͤfters brachte, veraͤnderte doch jene Grundſtimmung
niemals, nirgends trat Schaͤrfe hervor, nirgend ein
Vorſtellenwollen, nirgends lauerndes Beobachten und
Spaͤhen, uͤberall Milde, uͤberall freies Walten ſeiner
nicht ſcharfumgraͤnzten Natur, uͤberall offne Bahn fuͤr
ihn, und hundert Uebergaͤnge aus einer in die andere,
mit voͤllig unbekuͤmmertem Darſtellen ſeiner ſelbſt. Erſt
lobte er alles, was von neuern Erſcheinungen zur Sprache
kam, und wenn wir dann etwas naͤher in die Sache
kamen, war dann alsbald doch Tadel die Huͤlle und
die Fuͤlle. So uͤber Adam Muͤllers Vorleſungen, uͤber
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/78>, abgerufen am 27.11.2024.
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