Wendung bereit, dessen Stellung an der Oberelbe und Niederelbe im Rücken gleicherweise zu bedrohen.
Bevor jedoch dieser Zug unternommen werden konnte, wurden wir plötzlich durch die Ankunft eines französi¬ schen Offiziers überrascht, der in Begleitung eines russi¬ schen aus dem großen Hauptquartier kam, um auf der ganzen Linie die Feindseligkeiten, zufolge eines geschlos¬ senen Waffenstillstandes, einzustellen; er traf in dem Augenblicke ein, als die Franzosen von mehreren Sei¬ ten gleichzeitig zu einem ernsthaften Angriff auf unsre Vorposten anrückten. Hatte die nachtheilige Wendung der Ereignisse die Gemüther tief betrübt, aber nicht den Kriegsmuth erschüttert, der den Sieg, wenn er sonst nirgends zu finden wäre, im Tode aufzusuchen bereit war, so erfüllte dagegen die Nachricht des Waf¬ fenstillstandes auch die Muthigsten mit Bestürzung, und wurde gleich der Nachricht einer Niederlage ange¬ nommen, gegen welche alles Unglück im Felde nur gering erschien. Lieber geschlagen werden, als zu fech¬ ten aufhören, war die Gesinnung aller Krieger. Die Bedingungen schienen im Ganzen vortheilhaft genug, doch in Rücksicht auf Hamburg konnten sie nur auf's neue den unseligen Schmerz aufreizen, den der Ver¬ lust dieser besten deutschen Stadt uns tief eingedrückt hatte. Breslau zu räumen, hatten die Franzosen ein¬ gewilligt; für Hamburg wäre die gleiche Bedingung möglich gewesen, allein weder Freund noch Feind wußte
Wendung bereit, deſſen Stellung an der Oberelbe und Niederelbe im Ruͤcken gleicherweiſe zu bedrohen.
Bevor jedoch dieſer Zug unternommen werden konnte, wurden wir ploͤtzlich durch die Ankunft eines franzoͤſi¬ ſchen Offiziers uͤberraſcht, der in Begleitung eines ruſſi¬ ſchen aus dem großen Hauptquartier kam, um auf der ganzen Linie die Feindſeligkeiten, zufolge eines geſchloſ¬ ſenen Waffenſtillſtandes, einzuſtellen; er traf in dem Augenblicke ein, als die Franzoſen von mehreren Sei¬ ten gleichzeitig zu einem ernſthaften Angriff auf unſre Vorpoſten anruͤckten. Hatte die nachtheilige Wendung der Ereigniſſe die Gemuͤther tief betruͤbt, aber nicht den Kriegsmuth erſchuͤttert, der den Sieg, wenn er ſonſt nirgends zu finden waͤre, im Tode aufzuſuchen bereit war, ſo erfuͤllte dagegen die Nachricht des Waf¬ fenſtillſtandes auch die Muthigſten mit Beſtuͤrzung, und wurde gleich der Nachricht einer Niederlage ange¬ nommen, gegen welche alles Ungluͤck im Felde nur gering erſchien. Lieber geſchlagen werden, als zu fech¬ ten aufhoͤren, war die Geſinnung aller Krieger. Die Bedingungen ſchienen im Ganzen vortheilhaft genug, doch in Ruͤckſicht auf Hamburg konnten ſie nur auf's neue den unſeligen Schmerz aufreizen, den der Ver¬ luſt dieſer beſten deutſchen Stadt uns tief eingedruͤckt hatte. Breslau zu raͤumen, hatten die Franzoſen ein¬ gewilligt; fuͤr Hamburg waͤre die gleiche Bedingung moͤglich geweſen, allein weder Freund noch Feind wußte
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Wendung bereit, deſſen Stellung an der Oberelbe und
Niederelbe im Ruͤcken gleicherweiſe zu bedrohen.
Bevor jedoch dieſer Zug unternommen werden konnte,
wurden wir ploͤtzlich durch die Ankunft eines franzoͤſi¬
ſchen Offiziers uͤberraſcht, der in Begleitung eines ruſſi¬
ſchen aus dem großen Hauptquartier kam, um auf der
ganzen Linie die Feindſeligkeiten, zufolge eines geſchloſ¬
ſenen Waffenſtillſtandes, einzuſtellen; er traf in dem
Augenblicke ein, als die Franzoſen von mehreren Sei¬
ten gleichzeitig zu einem ernſthaften Angriff auf unſre
Vorpoſten anruͤckten. Hatte die nachtheilige Wendung
der Ereigniſſe die Gemuͤther tief betruͤbt, aber nicht
den Kriegsmuth erſchuͤttert, der den Sieg, wenn er
ſonſt nirgends zu finden waͤre, im Tode aufzuſuchen
bereit war, ſo erfuͤllte dagegen die Nachricht des Waf¬
fenſtillſtandes auch die Muthigſten mit Beſtuͤrzung,
und wurde gleich der Nachricht einer Niederlage ange¬
nommen, gegen welche alles Ungluͤck im Felde nur
gering erſchien. Lieber geſchlagen werden, als zu fech¬
ten aufhoͤren, war die Geſinnung aller Krieger. Die
Bedingungen ſchienen im Ganzen vortheilhaft genug,
doch in Ruͤckſicht auf Hamburg konnten ſie nur auf's
neue den unſeligen Schmerz aufreizen, den der Ver¬
luſt dieſer beſten deutſchen Stadt uns tief eingedruͤckt
hatte. Breslau zu raͤumen, hatten die Franzoſen ein¬
gewilligt; fuͤr Hamburg waͤre die gleiche Bedingung
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/402>, abgerufen am 24.11.2024.
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